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Korrekturen bei Wahlergebnissen in NRW: Einzelfall oder Normalität?

Am Mittwoch verkündete der Landeswahlleiter von NRW Wolfgang Schellen das endgültige Wahlergebnis der Landtagswahl vom 14. Mai 2017. Die AfD erhält zu ihren 624.552 Stimmen nach der Überprüfung noch 2.204 mehr. In absoluten Zahlen erscheint es viel, aber ergebnisrelevant ist es bei über acht Millionen Wählern nicht. Ein Blick zurück zeigt, dass es Korrekturen zwischen vorläufigem und endgültigem Ergebnis auch bei vorherigen Landtagswahlen gegeben hat.

von Pauline Schinkels , Marcus Bensmann , Stefan Wehrmeyer

© Festakt Genossenschaften 2012_08 von VdW Rheinland Westfalen unter Lizenz CC BY-ND 2.0

Mehr als 15.000 Stimmbezirke, rund 110.000 ehrenamtliche Wahlhelfer und über acht Millionen abgegebene Stimmen. Das ist die Landtagswahl 2017 in Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, in Zahlen. Aber es gibt auch noch ganz andere Zahlen zum 14. Mai. Es geht um exakt 2.204 Stimmen, die fälschlicherweise beim vorläufigen Wahlergebnis nicht der Alternative für Deutschland zugerechnet wurden. Deswegen gingen ein Dutzend Beschwerden beim Landeswahlleiter Wolfgang Schellen ein. Hauptsächlich von der AfD.

AfD mehr Stimmen, aber das Ergebnis bleibt

Am Mittwoch verkündete Schellen das endgültige Wahlergebnis. Die AfD erhält demnach die 2.204 Stimmen mehr, für einen zusätzlichen Sitz im Landtag hätte die Partei aber weitere 9.800 Stimmen gebraucht. Auch insgesamt ändert sich am Wahlergebnis nichts — die Partei um Spitzenkandidat Marcus Pretzell bleibt bei 7,4 Prozent.

Mehr als acht Millionen gültige Stimmen wurden bei der Wahl abgegeben, gemessen daran handelt es sich bei den anfänglich nicht gezählten AfD-Stimmen um eine verschwindend geringe Prozentzahl im Nullbereich. Unterdessen sind auch andere Parteien betroffen, auch hier kam es zu Fehlern. „Aber nicht in dem Größenumfang wie bei der AfD“, räumt Landeswahlleiter Schellen ein. Deshalb habe man auch sofort reagiert und eine Überprüfung in den 128 Wahlkreisen veranlasst. „Die Änderungen zwischen vorläufigem und endgültigem Wahlergebnis spielen sich aber nur im marginalen Bereich ab“, sagt Schellen.

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Die Abweichungen zwischen vorläufigem und und endgültigem Endergebnis bei den Wahlen in NRW 2010, 2012, 2017

Vergleicht man vorläufiges und endgültiges Wahlergebnis fällt neben dem Stimmenzuwachs für die AfD auf, dass vor allem die Partei AD-Demokraten NRW Stimmen abgeben musste. Der Erdogan-nahen Partei wurden im endgültigen Wahlergebnis 965 Stimmen abgezogen. Bei der ersten Auszählung wurden der ADD Stimmen zugesprochen, die eigentlich der AfD galten. Dass willentlich manipuliert wurde, davon geht Wahlleiter Schellen derzeit nicht aus. Die meisten dieser Fehler seien wohl aus Versehen passiert. In Gütersloh und Bonn wird die Namensähnlichkeit beider Parteien als Grund angegeben.   

Auch bei anderen Landtagswahlen wurde korrigiert

Nach der Korrektur erhielten im endgültigen Wahlergebnis die Linken noch 128, die FDP bekam weitere 98 und die Grünen drei Stimmen mehr. Der SPD wurden allerdings 308 und der CDU 401 Stimmen abgezogen.

Ist eine solche Korrektur einmalig? Wir von CORRECTIV haben uns die vorläufigen und endgültigen Ergebnisse der beiden vorherigen Landtagswahlen in NRW angesehen. Korrekturen hat es auch bei den anderen Landtagswahlen gegeben. 2012 war der Unterschied zwischen vorläufigem und endgültigem Wahlergebnis gering. Zwei Beispiele: Die Freien Wähler bekamen 248 Stimmen mehr, der CDU wurden 312 Stimmen abgezogen.

2010 sticht hingegen hervor. Hier erhielten beim endgültigen Wahlergebnis die Piraten im Nachgang 1.465 mehr und Die PARTEI 1.122 Stimmen weniger als im vorläufigen Ergebnis. Schaut man sich die Namen der Parteien an, liegt es nahe, dass es ähnlich wie der Wahl 2017 zwischen ADD und AfD auch 2010 möglicherweise bei der Zuordnung der Stimmen zu Verwechslungen kam. Beim endgültigen Wahlergebnis 2010 erhielten auch Grünen 392 und die Linken sogar 781 Stimmen mehr.

Stimmenunterschied im vierstelligen Bereich

Bei allen Wahlen fällt der Unterschied zwischen gültigen und ungültigen Stimmen ins Auge. Im vorläufigen Endergebnis waren 2017 rund 1.800 ungültige Stimmen im Endergebnis weniger, 2010 waren es rund 3.500 weniger. Der Vergleich der Landtagswahlen zeigt, Korrekturen bei den Wahlergebnissen gab es auch vorher. 2010 und 2017 auch im vierstelligen Bereich. Der Wahlausgang wurde weder 2010 noch 2017 durch die Korrekturen in irgendeinem Fall beeinträchtigt.  

Eine genaue Ursachenanalyse für die Wahl 2017 liegt noch nicht vor. Bekannt ist, dass es in rund 70 der mehr als 15.000 Stimmbezirken zu Unregelmäßigkeiten kam, CORRECTIV berichtete. Der Wahlleiter geht in diesen Fällen von einer Vielzahl von Fehlerquellen aus.

Bei über 100.000 Wahlhelfern sind viele Fehler vorstellbar: Verhören bei der telefonischen Übermittlung der Ergebnisse, Müdigkeit, Schlampigkeit  – aber auch Manipulationen durch einzelne Wahlhelfer können nicht ausgeschlossen werden.

In Mönchengladbach ermittelt die Polizei inzwischen wegen des Verdachts der Wahlfälschung. „Bei uns ist ein anonymer Hinweis eingegangen“, sagt eine Polizeisprecherin. Demnach wurde im Mönchengladbacher Stimmbezirk Altenheim Eicken zunächst 37 der für die AfD abgegebenen Zweitstimmen als ungültige Stimmen gewertet. Seitens der Staatsanwaltschaft heißt es, die Unstimmigkeiten seien auffällig. Mehr werde erst bekanntgegeben, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind.

Nicht nur in NRW wird nachgebessert

Korrekturen zwischen dem vorläufigen und endgültigen Wahlergebnis sind keine Spezialität von NRW. Der kuriose Fall von null Zweitstimmen wie bei der AfD ist auch den Grünen 2004 in einem Wahlbezirk in Brandenburg passiert. Die vier gültigen Zweitstimmen der Partei waren aufgrund eines Übertragungsfehlers zunächst der rechten Partei Deutsche Volksunion zugeschrieben worden.

Ursachensuche läuft

Fehler bei der Erstellung des vorläufigen Wahlergebnisses seien unvermeidbar, sagte eine Sprecherin der Stadt Bonn im Gespräch mit CORRECTIV. Ähnlich äußerte sich auch Landeswahlleiter Schellen. An einem Wahlsonntag sind viele ehrenamtliche Wahlhelfern im Einsatz. Die Organisation der Wahllokale übernehmen die Gemeinden. Hier wird festgelegt, wer einem Wahllokal vorsteht. Hier wird darüber gesprochen, wer in der nächsthöheren Instanz, dem Kreiswahlausschuss, sitzt. Dieser zählt die Stimmen nicht noch einmal aus, überprüft aber, ob alle formalen Kriterien erfüllt wurden – wie etwa die richtige Übermittlung oder Zuordnung. Dafür bekommen die Freiwilligen eine geringe Aufwandsentschädigung, das sogenannte Erfrischungsgeld. Bei den Gemeinden liegt auch die Verantwortung alle Helfer zu schulen. Auch mangelhafte Schulungen können ein Fehlerquell sein.

In NRW läuft unterdessen die Suche nach den Ursachen für die Zählpanne bei dieser Landtagswahl. Denn „bei der nächsten Wahl gilt es, die Fehler zu vermeiden“, sagt der Landeswahlleiter.     

Fazit: Das Ergebnis der AfD wurde um 2.204 Stimmen nach oben korrigiert. Auswirkung auf das Wahlergebnis hat die Überprüfung nicht. Der Vergleich mit zwei anderen Landtagswahlen zeigt, dass es bereits in der Vergangenheit Korrekturen im vierstelligen Bereich gab – wenn auch weniger als bei der AfD jetzt. Die Fehler, die im vorläufigen Endergebnis auffielen wurden im endgültigen behoben. Die Unregelmäßigkeiten beziehen sich nur auf 0,5 Prozent aller Stimmbezirke, die in Einzelfällen wie Mönchengladbach noch polizeilich untersucht werden.