Ungerechte Arbeit

Sanktionen treffen junge Hartz IV-Empfänger am häufigsten und härtesten

Junge Hartz IV-Empfänger werden besonders schnell unter das Existenzminimum gekürzt – bis hin zur Obdachlosigkeit. Teile der Regierung, Opposition und Experten fordern seit Jahren, die Strafen abzumildern. Doch die CSU blockiert.

von Timo Stukenberg

Auf dem Weg zur Bundesagentur für Arbeit. Wer Termine verpasst, kann sanktioniert werden.© Ivo Mayrr

Deutsche Jobcenter sanktionieren ihre Kunden unterschiedlich häufig. Bei jungen Menschen ist die Diskrepanz noch größer. In einigen Regionen wurden sie 2016 wesentlich härter und häufiger sanktioniert als ältere Hartz IV-Empfänger. Das zeigt eine Analyse der Daten aller 407 Jobcenter in Deutschland durch CORRECTIV und „BuzzFeed News“.

Deutschlandweit wurden im vergangenen Jahr im Schnitt vier Prozent der Unter-25-Jährigen sanktioniert. In einigen Regionen, wie im Hochtaunuskreis, lag die Quote bei weit unter einem Prozent. Im Jobcenter Gotha lag sie 19 Mal höher, die dortigen Mitarbeiter sanktionierten fast zehn Prozent aller Hartz IV-Empfänger unter 25 Jahren (Daten für alle Jobcenter).

Junge Hartz IV-Empfänger werden nicht nur häufiger, sondern auch härter sanktioniert. Im Schnitt kürzten die Jobcenter den jungen Arbeitslosen fast ein Drittel ihres monatlichen Regelbedarfes – rund zehn Prozentpunkte mehr als im Vergleich zu allen Altersklassen. Das haben CORRECTIV und „BuzzFeed News“ auf Basis der offiziellen Daten der Bundesagentur aus dem Jahr 2016 berechnet. Die traurige Spitze bilden junge Menschen auch bei der Zahl der Vollsanktionen, also der kompletten Kürzung aller Leistungen für Essen, Miete und Heizung.

Top 3 Tops & Flops: Sanktionen für U25-Jährige

Jobcenter U25 Sanktionsquoten

„Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“

Dass junge Menschen härter bestraft werden sollen als ältere, steht so im Gesetz – obwohl eine breite Mehrheit von Experten und Politikern diese Regel  schon lange abschaffen will. „Wir haben erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, ob diese Unterscheidung zwischen Ü25 und U25 gerechtfertigt ist“, sagt Michael Löher, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, im Gespräch mit CORRECTIV und mit BuzzFeed News. „Die führen gerade bei jungen Menschen eher zu einer Verhärtung, zu einem Aussteigen aus dem System.“

Der Deutsche Verein ist ein Think Tank, der meist abseits der Öffentlichkeit Kompromisse zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und Wohlfahrtsverbänden verhandelt, die alle auch Mitglied im Deutschen Verein sind. Nur bei aus seiner Sicht besonders schwerwiegenden Problemen äußert sich Löher öffentlich.

Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, glaubt, dass es stark vom jeweiligen Jobcenter abhängt, wie hart die jungen Erwachsenen bestraft werden. „Einige Jobcenter tun mehr für Jugendliche und andere greifen gleich zu dem Mittel der Sanktion“, sagt sie. Ihre Partei hält die harten Sanktionen gegen junge Menschen für völlig verfehlt. „Wir verlieren hier die jungen Menschen, und das dürfen wir nicht zulassen“, sagt Zimmermann.

Auch  das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit empfiehlt, die Sonderregelungen für junge Menschen abzumildern. Studienautor Joachim Wolff sagt, man solle den Betroffenen niemals das ganze Geld kürzen, sondern lieber mildere Sanktionen über einen längeren Zeitraum strecken. Das solle die Härten abfedern.

Wolff hat mit Kollegen im Februar eine Studie veröffentlicht, die zeigt: Rund sechs Prozent der jungen Menschen brechen den Kontakt zum Jobcenter nach einer Sanktion ab. Und zwar viermal häufiger als ohne Sanktion. Die Folgen sind ungewiss, sie können von Mangelernährung über wachsende Schuldenberge bis zur Kleinkriminalität reichen.

Die CSU blockiert Reformen

Das Arbeitsministerium von SPD-Ministerin Andrea Nahles versucht seit Jahren vergeblich, die Sanktionen abzuschwächen. 2013 trafen sich die Arbeits- und Sozialminister der Länder mit der Bundesagentur für Arbeit und Nahles’ Ministerium. Auf der Tagesordnung standen viele Vorschläge für mildere  Sanktionen. Das CSU-geführte bayerische Sozialministerium lehnte ab. Es fürchte eine „Verwässerung des Sanktionsinstrumentariums“, teilt es auf Anfrage von CORRECTIV und „BuzzFeed News“ per E-Mail mit. Die Vorschläge von Arbeitsministerin Nahles seien ein „Deckmantel für eine Teil-Revision der Agenda 2010“.

Im Jahr 2014 legt SPD-Ministerin Nahles trotzdem ein Konzept vor, um alle Sanktionen für junge und ältere Arbeitslose zu überarbeiten. Auch bei geplatzten Terminen oder abgebrochenen Maßnahmen sollte zumindest die Miete weiter vom Amt übernommen werden. Zudem will Nahles  die harten Sonderregeln für Unter-25-Jährige abschaffen. Doch darauf kann sich die Bundesregierung nicht einigen. Wieder blockiert die CSU.

Stephan Stracke, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, wirft hingegen der Arbeitsministerin Blockade vor. Auf eine Angleichung der Sanktionen gegen junge und ältere Hartz IV-Empfänger könne sich die CSU einlassen – aber nur, wenn die Sanktionen generell verschärft werden, sagt er im Gespräch „An uns hätte es nicht gelegen. Letztlich hat das Bundesarbeitsministerium die Tür zugemacht.“

Laut einer Auswertung der offiziellen Sanktionsstatistik von CORRECTIV und „BuzzFeed News“ wurden im vergangenen Jahr nirgendwo mehr Unter 25-Jährige sanktioniert als vom Jobcenter Gotha. Dort halte man sich strikt an die Vorgaben im Gesetz, teilt das Jobcenter auf Anfrage mit. Die Sanktionsquote liege über alle Altersgruppen hinweg bei weniger als fünf Prozent. „Es gibt also lediglich eine kleine Minderheit, der nur wenig an einer guten Zusammenarbeit mit ihren Beratern gelegen ist und die häufig auch von mehreren Sanktionen betroffen ist“, schreibt die Pressestelle des Jobcenters auf Anfrage.

Dass man mit jungen Hartz-IV-Empfängern auch anders umgehen kann, zeigt das Beispiel des Jobcenters im Landkreis Landshut. Dort liegt die Sanktionsquote mit 0,9 Prozent bei nicht einmal einem Zehntel der Gothaer Strafen. Das Jobcenter Gotha verweist darauf, dass die Sachbearbeiter eng mit dem Jugendamt, der Familienhilfe und konfessionellen Trägern zusammenarbeiten. „Geeignete Angebote zur Betreuung der Jugendlichen mit motivierender und engmaschiger Unterstützung halten wir für das geeignete Mittel der Aktivierung.“


Timo Stukenberg arbeitet als freier Journalist in Berlin. Die mehrteilige Recherche zu den Sanktionen der Jobcenter entstand in Kooperation mit „BuzzFeed News“ und ist ein Teil der Themenreihe zu Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt bei CORRECTIV.