Tierdiebe

Die Tierdiebe

Wilderer fangen in Deutschland Rotbauchunken, Alpensalamander und Buchfinken. Sie fälschen Zuchtpapiere und verkaufen die Tiere in alle Welt. Um ihnen auf die Schliche zu kommen, haben wir das „German Reptile Paradise” gegründet, einen fiktiven Reptilienpark in den USA, der deutsche Tierarten sucht. Und tatsächlich: Schon bald melden sich zwei berüchtigte Händler und bieten uns Reptilien an, ein Vogeldieb folgt. Alle Treffen haben wir mit versteckter Kamera gefilmt.

von Bastian Schlange

Reptilien 4 europ. Sumpfschildkröten, emys orbicularis, ein Gutachter bezeichnete sie als eindeutige Wildfänge

Die Fakten

  • Ermittler gehen von zehntausenden Tieren aus, die jedes Jahr unbemerkt von der Polizei gehandelt werden. Es ist ein Schwarzmarkt auf dem mit heimischen Arten Millionen Euro umgesetzt werden.
  • Bundesweit sind rund 400 Kontrollbehörden für den Artenschutz zuständig. Eine enge Vernetzung zwischen den Stellen besteht nicht, dem Personal fehlt häufig die fachliche Schulung.
  • Bei Vergehen gegen den Artenschutz nach §§ 71 und 71 a des Bundesnaturschutzgestzes kann eine Höchststrafe von bis zu 5 Jahren verhängt werden. Das ist in den letzten drei Jahrzehnten in Deutschland kein einziges Mal vorgekommen.

Stefan R. ist der bekannteste Reptilien-Dieb Deutschlands. Jahrelang stehlen er und seine Helfer Salamander, Eidechsen, Unken, selbst die seltensten Arten aus der Natur. Ende der 1990er Jahre verschwinden in Mecklenburg-Vorpommern die letzten dort lebenden Sumpfschildkröten. Stefan R. bietet später in Annoncen „schöne adulte Tiere aus Freilandhaltung“ an, Herkunft Meck-Pomm. Untersuchungen seiner Schildkröten lassen auf heimische Wildtiere schließen.

Innerhalb von elf Jahren verkauft Stefan R. rund 10.000 heimische Reptilien und Amphibien, angeblich legal gezüchtet. In einem einzigen Jahr deklariert er gut 3000 Tiere als eigene Nachzuchten, 600 Laubfrösche, über 300 Rotbauchunken, hunderte Bergmolche, Zauneidechsen und Feuersalamander. Kann ein einzelner Züchter solche Mengen aufziehen? Biologisch betrachtet völliger Irrsinn.

Tatsächlich beobachten Tierschützer Stefan R., wie er mit Plastiktüten voller Smaragdeidechsen durch den Kaiserstuhl bei Freiburg schleicht. Auswertungen seiner SMS belegen, dass er in Mecklenburg-Vorpommern regelmäßig Tiere ordert, Arbeitslose in Feuchtgebiete schickt und sie dort Kröten, Frösche, Echsen fangen lässt. Meist bekommt er die Tiere per Post. In normalen Paketen, ohne Nahrung oder Wasser, mit teils verheerenden Todesraten. Die Behörden winken trotzdem jahrelang durch, was Stefan R. meldet.

Stefan R. wohnt in Hamm. Vier Mal im Jahr wird dort die Terraristika abgehalten, die größte Reptilienmesse der Welt. Tausende Händler und Züchter reisen an – bringen gutes Geld in die Kassen der Kleinstadt.

Erst nach einem Scheinkauf durch eine verdeckte Ermittlerin zieht sich 2010 die Schlinge um Stefan R. zu. Das Amtsgericht Dortmund verurteilt ihn zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und erteilt ihm ein dreijähriges Berufsverbot. Wobei am Ende nicht die tausendfache Wilderei das Urteil begründet. Stefan R. wird, wie so viele Kriminelle vor ihm, hauptsächlich wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Rund 40.000 Euro hatte er am Fiskus vorbeigeschleust.

Wir wissen: Stefan R. hat nie aufgehört, mit Reptilien und Amphibien zu handeln. Er machte trotz Verurteilung weiter. Bis heute. Als Teil eines Netzwerkes, in dem sich Händler gegenseitig heimische Tiere zuschieben, einander Papiere ausstellen und dann in ganz Europa verkaufen. Kriminell und konspirativ. Zum Schaden der Natur in Deutschland. 

Was damals bekannt wurde, war nur die Spitze des Eisbergs. Dieses Mal werden wir tiefer tauchen.

Die Falle

Wie dringt man in ein kriminelles Netz ein? Wie schafft man Vertrauen? Wie erwirbt man sich die notwendige Expertise, Detailwissen über heimische Arten, Haltung und Zucht?

Ganz einfach – gar nicht. Man lässt die Wilderer zu sich kommen, stellt eine Falle für die Fallensteller und wartet, bis sie hineintappen. Stellt einen Honigtopf auf, so randvoll mit Geld, das sein Glanz sie jede Vorsicht vergessen lässt.

Unser Honigtopf: das German Reptile Paradise in Pennsylvania. Ein fiktiver Reptilienpark in den USA. Die Legende: Ein reicher, deutschstämmiger Geschäftsmann will sich einen Jugendtraum erfüllen und den Amerikanern die faszinierende Welt deutscher Lurche, Frösche und Schlangen nahe bringen. Darum sucht das German Reptile Paradise nun schwer zu züchtende Tiere aus der Deutschlands Natur: hunderte Unken, Salamander und Echsen. Insgesamt über 2000 Tiere, Mengen, wie sie damals Stefan R. gehandelt hat, aber in legalen Zuchten niemals zu bekommen sind. Marktwert: an die 100.000 Euro. Unsere Suche ist eine Provokation für die Szene. Wer sich bei uns meldet, will schnelles Geld und scheißt auf den Naturschutz.

An dieser Stelle muss ich mich vorstellen. Gestatten: Bastian Bayer, Repräsentant des Reptilienparks, in Deutschland zuständig für den Ankauf der Tiere. Das ist zwar nicht nicht mein richtiger Name, und ich kenne mich auch nicht mit den Viechern aus, aber ich war mit dem Sohn des Park-Gründers auf der Uni in Berkeley, Sie wissen ja, wie so was läuft  …

Am 29. Januar 2015 schalten meine Kollegen und ich die Internet-Seite www.germanreptileparadise.com frei. Wir haben eigens ein Maskottchen für den Park entworfen – „Lizbert Lizard“, eine freundliche, grüne Eidechse, haben einen Grundriss des Geländes und der Gehege zeichnen lassen und eine Seite auf Facebook eingerichtet. Pressemappe, Flyer, Pappaufsteller, Sticker: eine komplette Corporate Identity. Wir schalten Annoncen im Internet und verschicken Info-Material an Reptilien-Händler. Man kann uns gar nicht übersehen.

Wenige Tage später brennen die Reptilien-Foren. Naturschützer echauffieren sich. „Hier kann man nur hoffen, dass diese Tiere nicht in der freien Wildbahn entnommen werden, von Leuten, die hier das große Geschäft sehen“, ätzt ein Umweltschützer. Ein anderer tobt: „Und woher sollen diese Stückzahlen kommen? Mit Sicherheit nicht aus Nachzuchten. Ein ziemlich unseriöses Vorhaben!“

Selbst die Behörden schalten sich ein. Bei der Kripo Dortmund ergeht Strafanzeige gegen das German Reptile Paradise. Das Landratsamt Fürstenfeldbruck alarmiert das Bundesamt für Naturschutz. Michael Müller-Boge, der dort die Rechtsabteilung leitet, kontaktiert mich, beziehungsweise Bastian Bayer, und droht mit Anzeige, wenn wir die Seite im Netz lassen. Weil wir mit der Anfrage angeblich Wildentnahmen provozieren, also zu Straftaten aufrufen, was bereits selbst eine Straftat sei. Wir nehmen die Stückzahlen von der Seite – zwei Wochen wurden sie gesehen und diskutiert, das reicht – und betonen nun ausdrücklich, dass wir nur legale Nachzuchten kaufen. Das Bundesamt ist beruhigt, Müller-Boge stellt sogar ausdrücklich in einer Rundmail heraus, dass unser Projekt „leider ernst gemeint ist“ – ein besseres Empfehlungsschreiben hätten wir uns kaum wünschen können.

Die Legende funktioniert. Und nicht nur bei den Gutmeinenden. Auch bei jenen, die seit langem im Verdacht stehen, sich hemmungslos in der deutschen Natur zu bedienen.

Eine verdächtige Mail

Keine Woche ist vergangen, da schreibt ein gewisser Oliver B. eine erstaunliche Email. Er stellt uns in Aussicht, das Artenspektrum des Reptilienparks quasi im Alleingang zu bestücken.

„Hallo, kann Ende Februar die Molche liefern, Berg-, Teich-, Faden-, und Kammmolche sowie Feuer- und Alpensalamander. Ende März / Anfang April Laubfrosch, Gelb- und Rotbauchunken, Wechsel-, Kreuz- und Knoblauchkröte. Die Zaun-, Wald-, Mauereidechse und Smaragdeidechsen Mitte April / Anfang Mai. Viele Grüße.“

Oliver B. – auf den Namen sind wir bei unserer Recherche immer wieder gestoßen. Regelmäßig inseriert der Händler aus Paderborn heimische Arten, häufig bietet er erwachsene Tiere an. Was sehr ungewöhnlich ist. Denn: Warum sollte ein Züchter gerade jene Tiere verkaufen, die er eigentlich braucht, um neue Nachkommen zu produzieren?

Das Angebot, das er uns nun macht, ist in vielerlei Hinsicht dubios. Das breite Artenspektrum, der Lieferzeitpunkt, den er vorschlägt. Im Frühjahr hat man keine aktuellen Nachzuchten, die kommen erst im Spätsommer. Aber es ist die Zeit, in der Tiere aus der Winterstarre erwachen und leichte Beute für versierte Fänger sind.

Oliver B. ist vorgemerkt. Und noch jemand rückt ins Visier: der Reptilienhändler Andreas K., seit drei Jahrzehnten im Geschäft, ein alter Hase, der vermeintliche König der Szene – so stellt er sich jedenfalls am Telefon dar. Von ihm will ich mehr darüber erfahren, wie das Geschäft mit den heimischen Arten läuft. Auf nach Enger!

Ein König ohne Thron

Enger, Ostwestfalen, plattestes Land, Felder, Bauernhöfe, 20.000 Einwohner, ein Hallenbad. Der Terraristik-Laden von Andreas K. mitten im Ort ist von außen kaum zu erkennen. Bastmatten decken die Schaufenster ab, Plastikboxen stapeln sich dahinter. Im Laden ist es schwülwarm, ein einziges großes Terrarium, in dem sich die abgestandene Luft modrig auf die Zunge legt. Lampen brummen, und Echsen huschen schemenhaft hinter Glasscheiben.

Überschwänglich begrüßt mich Andreas K. Shorts und Trekkingsandalen, langes, dünnes Haar, Hornbrille – ein in die Jahre gekommener Sunny- und Surferboy, ein Charismatiker und Selbstdarsteller. Glaubt man seinem fast zweistündigen Monolog, dann ist er die Spinne in einem weltumspannenden Handelsnetz. Tiere kommen aus Neuseeland oder Malaysia, gehen nach Prag oder Barcelona. Unmengen, alles über ihn. Er kenne die Großen, die Wichtigen, Zoll, BfN, Steuerfahndung, national, international. In einem fort betont er, wie sehr man darauf achten müsse, dass alles legal zugehe. Und dann erwähnt er auch, dass Oliver B. ihm regelmäßig zuarbeite.

Ich horche auf, er redet weiter.

„Wie stellst du dir das alles vor?“, fragt Andreas K.. „Wie willst du überhaupt erkennen, ob die Viecher legal sind?“

„Hmm“, brumme ich – wie ein Schuljunge auf der Strafbank.

„Mmhmm“, äfft er mich nach. „Natürlich weißt du das nicht! Woher auch? Wenn ich dir jetzt sage: Komm, ich schreib dir Papiere für ‘nen Kumpel, wie willst du dann sagen, das stimmt nicht? Das sind alles die alten Tricks. Ey! Wenn ich türken will, wenn ich bescheißen will, dann nehme ich jetzt so ein Papier und dann schreib ich das! Nicht Absender ‚ich‘, sondern Absender ‚Sandra Vergiss-mich-mal‘. Wohnhaft ‚Apfelstraße-Ecke-Abgebissen‘. Trallala. Und dann sieht das so richtig echt aus! Da steht alles drauf. Aber weißt du was das ist? Klopapier!“

„Und was ist mit den Behörden?“, frage ich.

„Prüfen die eh nicht. Solange du die Tiere zuhause hast, prüft keiner. Dann passiert dir auch nichts.“

Nur beim Export müsse man verdammt aufpassen, sagt er, da würden die Papiere geprüft. Er hätte auch schon die Behörden im Haus gehabt. „Mit das Größte, was illegal ist, sind der Tierhandel und der Drogenhandel. Sind beide gleich. Vor ein paar Jahren ist einer fast in den Knast gegangen. Stefan R. Kommt aus Hamm. Hat ganze Populationen ausgelöscht. In Brandenburg gibt es, glaube ich, fast keine weibliche Smaragdeidechse mehr, die haben die alle verscheuert.“

Ich schüttle ungläubig den Kopf, als ich den Namen des vorbestraften Wilderers höre. Obwohl ich genau weiß, wovon Andreas K. redet. Zwischen 2006 und 2009 brachen die Populationen von Brandenburgischen Smaragdeidechsen um fast 90 Prozent ein – allerdings nur in Feuchtgebieten, die bekannt und gut zugänglich waren, wie eine Studie des Landesumweltamtes belegt. Hauptsächlich verschwanden damals die Weibchen. Es war die Blütezeit von Stefan R.

Ich fahre ab. Andreas K. und ich verabreden, dass ich den Transport und die Flüge in die USA organisiere. Dann können wir ins Geschäft kommen.

Die Falle ist gestellt, die Händler haben angebissen. Oliver B. will uns Tiere verkaufen, Andreas K. ebenfalls.

Und sogar Stefan R.. Wahrscheinlich. Über einen holländischen Züchter aus seinem Netzwerk besorgen wir uns seine Handynummer und rufen ihn kurz vor Pfingsten an. Er sagt, er könne Smaragdeidechsen liefern, hochträchtige Weibchen, 80 Euro das Stück. Nach den Feiertagen will er sich wieder bei uns melden.

Zeit, abzuwarten. Zeit, sich einer anderen Branche zuzuwenden – und ins Dickicht der Vogelfänger vorzudringen.

Der Vogeldieb

Das erste, das an Horst D. auffällt, ist sein dickes, graues Haar, beeindruckend voll für einen 76-Jährigen, fast wie eine Federhaube zur Balzzeit. Überhaupt ist er eine imposante Erscheinung, dieser Horst D., ein ehemaliger Sportler, kräftig und groß, der mittlerweile mit den kleinen Schritten eines alten Mannes durch das Leben schlurft und sich unentwegt die Hände reibt. Vermutlich Gicht. Andernfalls wäre es die typische Geste eines geldgierigen alten Knackers.

Bei den Vögeln ist die Sache genauso klar wie bei den Reptilien und Amphibien: Es ist verboten, wild lebende Tiere zu fangen. Punkt. Ganz gleich, ob die jeweilige Art vom Aussterben bedroht ist oder nicht. Man darf der Natur diese Tiere nicht entnehmen. Ausschließlich Tiere, die in Gefangenschaft geboren und aufgewachsen sind, dürfen mit besonderen Nachweisen gehalten und verkauft werden. Jegliche Bestandsänderung eines Halters, sei es durch Käufe oder Nachzuchten, muss bei der jeweiligen Behörde an-, um- und abgemeldet werden.

Das ist die Theorie. In der Praxis greift das nicht immer. Erfasst und überprüft werden die Papiere von den Naturschutzbehörden auf Kreisebene, bundesweit sind das an die 400 Kontrollbehörden. In vielen Ämtern kennen sich die zuständigen Beamten nicht gut genug mit der Materie aus, Austausch zwischen den verschiedenen Behörden findet kaum statt, so dass selten abgeglichen wird, was in dem einen Kreis ab- und in dem anderen angemeldet wird. Mit etwas krimineller Energie können so über zwei gemeldete Nachzuchten, werden sie nur in verschiedene Kreise verkauft, mit Leichtigkeit ein Dutzend Tiere legalisiert werden.

Bei Vögeln gibt es immerhin den Vorteil, dass die Tiere einen Ring tragen müssen. Wer erwachsene Vögel nachträglich beringt, begeht Urkundenfälschung. Wer unberingte Vögel verkauft, verstößt gegen das Naturschutzgesetz.

Um in die Tiefen des illegalen Vogelhandels abzutauchen, docken wir uns zum Schein an die italienische Vogelfänger-Szene an. Meine Freundin ist Italienerin, wir haben eine zwei Monate alte Tochter. Die Legende: Mein Schwiegervater ist ein bekannter Vogelfänger aus Norditalien und stinksauer, dass ich mich an seiner Tochter vergangen habe. Um die Sache mit la famiglia gerade zu biegen, soll ich ihm in Deutschland Vögel beschaffen, die er, wenn sich die Tiere im Herbst auf die Reise machen, als Lockvögel für seine Fallen einsetzen will. Berg- und Buchfinken hat er bestellt, Wacholderdrosseln und Wiesenpieper, eine lange Auftragsliste. Ich mache mich auf die Suche.

Abonniere Fachzeitschriften, gehe auf Messen, durchforste den Anzeigenmarkt. Über ein Onlineforum gelange ich bald zu Bernie, „Bernie aus dem Ruhrpott“, wie er sich auf seiner Internetseite vorstellt. Sein Name fiel auch auf einer Vogelmesse in Hamm, er habe dort Standverbot, weil er mit illegalen Tieren handelte.

Als ich mit Bernie telefoniere, winkt er ab, er habe vor Jahren aufgehört. Und rät: „Frag den Horst. Wenn dir einer weiterhelfen kann, dann er. Horst ist unser Waldvogelpapst.“

Ich stutze, muss ein zweites Mal nachfragen.

„Na, beim Horst. Horst D. aus Bottrop“, wiederholt Bernie. „Der hat Tiere.“

Horst D. ist der berüchtigtste Vogeldieb Deutschlands. 2012 fand die vorerst letzte Razzia bei ihm statt. Ermittler stellten 150 Vögel sicher, untergebracht in 20 Volieren. Ebenso sein akribisch geführtes Geschäftsbuch. 100.000 Euro hatte Horst D. in fünf Jahren als Reingewinn verbucht. Mit Blaumeisen, Kleibern, Buchfinken, Gimpeln und Stieglitzen. Im April 2015 wird er in 111 Fällen schuldig gesprochen, besonders geschützte Vögel zum Weiterverkauf gefangen zu haben. Das Urteil: ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und die Zahlung von 100.000 Euro.

Und jetzt soll Horst D., Wochen, nachdem das Urteil gegen ihn rechtskräftig geworden ist, erneut mit Vögeln handeln? Wird er erwischt, droht ihm Knast. Warum sollte er das Risiko eingehen?

Ich rufe ihn an. Der Satz: „Bernie hat mich geschickt“, genügt als Türöffner. Die ungewollte Schwangerschaft, der zürnende Schwiegervater reichen als Tarnung, um vor ihm als Laie zu bestehen. Nach nicht einmal einer Minute will D. wissen, was für Vögel ich denn suche. Nach höchstens drei Minuten fragt er: „Müssen die Tiere beringt sein?“

Ich schlucke, blähe meine Wangen und puste lautstark in den Hörer. „Keine Ahnung. Aber ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass das meinen Schwiegervatta da unten wirklich interessiert.“

Wir verbleiben: Ich halte Rücksprache mit der italienischen Sippe, D. schaut sich nach Vögeln von unserer Liste um.

Ringe?

„Naja, da kann man noch über alles reden“, sagt er.

Zwei weitere Telefonate, und unser Deal steht. Wir verabreden den Ankauf für Ende Mai, wenn der Schwiegerpapa angeblich zu Besuch ist, um seine Enkeltochter zu sehen.

Jetzt brauchen wir nur noch einen italienischen Vogelfachmann. Über das „Komitee gegen Vogelmord“, einer in ganz Europa aktiven Naturschutzorganisation, gelangen wir an Massimo, einen italienischen Jagdaufseher. Er ist bereit, uns zu helfen, wir lassen ihn nach Dortmund einfliegen. Massimo spricht ausschließlich italienisch. Bei der Lagebesprechung am Vorabend in der CORRECTIV-Redaktion ist meine Freundin dabei, sie wird für Massimo übersetzen. Unsere Tochter quiekt in ihrem Schalensitz. Die Fake-Familie ist komplett.

Am nächsten Morgen brechen wir auf. Horst D. wohnt in Bottrop-Kirchhellen, einem der feineren Teile der Stadt, schickes Haus, großer Garten, in der Doppelgarage parken ein BMW und ein Mercedes. Gute Grundausstattung für einen Frührentner.

Horst D. öffnet in Schlabberjeans und Puschen, bittet uns durch die Garage herein. Beim zweiten Wagen bleiben wir stehen, Gezwitscher und wildes Geflatter. Auf einem Holzbrett an der Wand stehen fünf kleine Käfige, in denen Vögel aufgeregt umherspringen. Buchfinken, unberingt, das Paar zu 55 Euro.

„Beringt wären sie etwas teurer“, sagt Horst D. und hebt einen der Käfige an, zeigt auf den kleineren der beiden Vögel.

„Der junge Buchfink hier wird noch vom Hahn gefüttert.“ Von seinem Vater also, dem größeren der beiden. „Sehen Sie, der hat nur einen Fuß, der andere ist halb ab.

Massimo fragt nach: „E la mamma?“

„Da muss was passiert sein.“ D. zuckt mit den Schultern. „Sonst hätte der Hahn auch noch beide Füße. Irgendwas in der Natur.“

Als Ermittler 2012 das Haus von Horst D. untersuchten, finden sie auf einer Arbeitsbank im Keller eine Heißluftpistole und Werkzeug, mit denen man Ringe erhitzen und erweitern kann. Um sie ausgewachsenen Vögeln nachträglich überzuziehen. Wenn das schief geht, fehlt schnell mal eines der millimeterdünnen Beinchen. Eine typische Beringungsverletzung.

Im Garten dann das nächste Vogeldrama. Ein weit verzweigtes Netz von Volieren. In zweien davon züchtet Horst D. Kanarienvögel und Kamingimpel. Dazwischen flattern Dompfaffen, das Paar 90 Euro; unberingt, wir kaufen sie. In einem kleinen Käfig auf der Wiese hockt ein junger Star. Massimo zeigt auf den Kasten, an dem von außen zwischen den Gitterstäben Holzstangen angebracht sind. Meine Freundin übersetzt.

„Mein Vater möchte wissen, warum da Stangen von außen dran sind.“

„Der Alte kam immer, und da hab ich das hierhin getan.“ Horst D. zieht eine der Sitzstangen gerade und steckt sie wieder fester zwischen die Stäbe. „Und dann ist der Alte da drauf gegangen und hat den Jungen gefüttert.“

Horst D. lächelt wie ein alter Mann, der zu Halloween vergiftete Süßigkeiten verteilt. „Aber jetzt frisst er selbst.“

Ein junger Star im Käfig. Von außen stecken Sitzstangen zwischen den Gitterstäben, damit das Vatertier von außen den Jungvogel weiterhin füttern kann.

Junger Star — die Stäbe von außen wurden für das Vatertier angebracht.

CORRECTIV

Ich bin fassungslos in Gegenwart von so wenig Unrechtsbewusstsein. Warum hängt er nicht gleich ein Schild an den Käfig? „WILDFANG!“ Der kleine Star, zu jung, um sich selbst zu ernähren, anscheinend im eigenen Garten gefangen, und der Vater kommt noch immer, um sein Junges durch die Gitterstäbe zu füttern. Als sich Massimo und Horst D. später im Wohnzimmer mit Hilfe von Vögelbüchern, vielen Bewegungen und ein paar Hilfen meiner Freundin verständigen, sagt D.: „Es ist auch gerade eine schlechte Zeit, um viele Vögel zu kaufen. Alle brüten, da fängt man die nicht gerne weg.“

Wir kaufen insgesamt 17 Vögel, alle unberingt, für 435 Euro. Einem Buchfinken zieht er vor uns einen Ring drüber. Beim nächsten Mal, wenn er etwas mehr Zeit habe und wir ihm italienische Ringe schicken, könne er sie uns auch alle beringen, sagt er.
 

Als wir gehen wollen, zieht Horst D. uns zu einer Hecke bei seinen Volieren und greift hinein. Eine wütend schimpfende Amsel schießt aus dem Gebüsch. Horst D. zieht seine Hand zurück und hält darin einen nackten Jungvogel, höchstens ein paar Wochen alt. Er zeigt ihn uns mit sichtlicher Freude, und setzt ihn wieder zurück.

Wir verabschieden uns. 

Die gekauften Vögel übergeben wir an Axel Hirschfeld vom Komitee gegen Vogelmord. Er sagt: „Die Tatsache, dass der Händler trotz Strafverfahrens weiter macht, versteht kein normaler Mensch. Es zeigt, wie geldgierig der Mann ist. Weil das ist der einzige Grund sein kann, warum er die Vögel weiter verkauft. Mit Tierliebe hat das rein gar nichts zu tun.“

Wir informieren die Behörden. Am 24. Juni stürmen zwei Polizisten, mehrere Vertreter des Verterinäramtes und Jürgen Hintzmann von der Stabsstelle für Umweltkriminalität NRW das Haus von Horst D. Sie finden im Garten ausgelegte Netzfallen, tragen unberingte Waldvögel in Säcken vom Grundstück.

Hintzmann sagt, der Fall von Horst D. sei der größte bekanntgewordene Fall eines Vogelfängers in Deutschland. Nun muss sich Horst D. erneut vor Gericht verantworten. Nach Ende der Recherche haben wir Horst D. mit den Vorwürfen konfrontiert. Er hat keine der an ihn gestellten Fragen beantwortet.

Der Ankauf

Reptilien-Händler sind ungleich vorsichtiger. Sie würden niemals am Telefon zugeben, dass sie mit illegal gefangenen Tieren handeln. Warum auch? Bei Unken, Echsen oder Salamandern ist es kaum möglich, Zucht- von Wildtieren zu unterscheiden. Die Papiere, die sich die Händler gegenseitig ausstellen, und die dann von den Ämtern durchgewunken werden, sind den Tieren nicht individuell zuzuordnen. Nur ein Gen-Test kann wirklich Aufschluss darüber geben, woher ein Tier stammt. Aber wer macht sich bei Kleintieren schon solche Mühe?

Nun folgt auch hier der nächste Schritt: Wir versuchen, zum Schein einige Arten anzukaufen.

Stefan R. springt ab. Obwohl uns der verurteilte Wilderer noch vor den Feiertagen zugesagt hatte, Smaragdeidechsen zu liefern, macht er plötzlich einen Rückzieher. Die Ausrede ist fadenscheinig. „Der Olli“, für den er angeblich die Tiere verkaufen würde, habe keine mehr. Der Olli? Ja, der aus Paderborn, sagt Stefan R.

Wir erinnern uns und kontaktieren Oliver B. – der uns vor Wochen jene schmerzfreie Email geschickt hatte, mit der er den halben Park bestücken konnte, und zufällig aus Paderborn kommt. Aktuell inseriert er Smaragdeidechsen, aber auch Alpensalamander. Auf die zielen wir. Oliver B. antwortet prompt. Als Ort der Übergabe schlägt er einen McDonald’s- Parkplatz in Hamm vor. Frühmorgens um halb sieben. Danach wolle er weiter fahren auf die Terraristika, wo er regelmäßig einen Stand angemietet hat.

Die weltgrößte Reptilienmesse.

Warum wir den Kauf nicht dort machen können?

Weil es, sagt Oliver B., auf der Reptilienbörse „zu warm und zu stressig“ für die Tiere sei.

Um kurz vor halb sieben biegt Oliver B. in seinem dunkelblauen Kombi auf den Parkplatz. Er ist sicher einsneunzig groß und drei Zentner schwer, ein Bauch wie zwei Bierkästen. Auf Mitte 40 schätze ich ihn, er hat einen grauen Vollbart und rote Pausbacken. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein liebes Bärchen in XXL, aber so recht will ich nicht mit ihm kuscheln. Irgendetwas lässt ihn hinterfotzig und falsch erscheinen, was ist es nur?

„Olli“, stellt er sich vor.

„Bastian.“

Wir reichen uns die Hände.

Er holt eine weiße Styroporbox aus seinem Kofferraum, bringt sie zu unserem Wagen, stellt sie auf die Rückbank, öffnet sie. Kühlelemente sind darin, Zeitungspapier und zwei kleinere Plastikboxen mit Moos, vielleicht 10 mal 10 Zentimeter groß. In jeder krabbeln zwei Alpensalamander. Faszinierende Tiere, pechschwarz, viel zierlicher als Feuersalamander. Als mir eines der Tiere vorsichtig auf die Hand kriecht, fühlt es sich an, als würden die feucht-klebrigen Patschehändchen meiner Tochter nach Halt suchen.

Alpensalamander stammen, der Name sagt es, aus den Alpen und sind in der Terraristik-Szene etwas Besonderes. In einem Salamander-Forum schreibt ein „Philip“: „Es ist extrem schwer, an echte Nachzuchten heran zu kommen, und ohne die richtigen Kontakte nahezu unmöglich. Hin und wieder werden Alpensalamander für viel Geld im Internet angeboten, aber ob diese Tiere wirklich Nachzuchten sind, sei dahingestellt.“

„Die sind in Paderborn gemeldet, die melde ich da auch wieder ab“, sagt Oliver B. Da müsse er ganz genau sein. „Mit den Strafgeldern sind die immer ganz schnell dabei. Da habe ich auch schon viel Lehrgeld zahlen müssen.“ Fünf bis sechs Mal im Jahr würden sich die Behörden bei ihm zur Kontrolle anmelden. Er sagt, er habe noch mehr Alpensalamander, seine Stammtiere bei sich zuhause, den Rest auf vier oder fünf Freunde verteilt.

Ich erzähle ihm von einem Ukrainer, der mir – tatsächlich – angeboten hat, lasterweise Eidechsen und Salamander aus dem Osten zu liefern. Wildfänge. Ohne Papiere.

„Ach, wenn du jemanden hast, den sie noch nie auf dem Kieker gehabt haben“, sagt Oliver B., „und der hat ein großes Freilandterrain – wenn der 300 Zauneidechsen-Babys anmeldet, dann geht das so durch.“

„Der muss dann nur Elterntiere haben?“

„Ja. Wenn der Elterntiere hat, dann klappt das mit dem Anmelden.“

So hat es Stefan R. damals auch gemacht. Zwei angemeldete Elterntiere, die dann Hunderte von Wildfängen legalisieren, weil alle als deren Nachkommen deklariert werden. Der „Züchter“ schreibt einfach irgendetwas in die Papiere, die Behörden nicken es ab. So hat es auch Andreas K. erklärt.

Ich frage, wie wir in Zukunft weiter arbeiten werden. Schließlich brauche der Park noch mehr Tiere. Auch in den kommenden Saisons.

„Was wir machen können“, sagt Oliver B., „ist, von jeder neuen Art erst einmal zwei Probeexemplare im Flieger zu schicken, und wenn das dann gut ist, sind die einmal beim Zoll abgehakt. Dann ist der Rest nur Formsache. Da gucken die später nur: Aha, die Tiere sind von den gleichen Elterntieren wie letztes Mal auch – da geht das dann wieder durch. Bei den Eidechsen und bei den Molchen habe ich eh nicht so viel Bange, weil ich schonmal nach Schweden öfters was rausgebracht habe. Das ist damals auch über den Andreas gelaufen.“

Andreas K.? Den vermeintlichen Reptilien-König aus Enger?

Genau der. „Ich liefere bei ihm auch Tiere an“, sagt Oliver B. „Er macht halt viel mit dem Ausland, da komme ich an die Leute nicht so ran. Da ist es doch besser, er verdient noch ein paar Euro extra.“

Interessant. Oliver B. hängt also nicht nur mit Stefan R. zusammen – sondern auch mit Andreas K. Ein Netzwerk zeichnet sich ab.

Oliver B. will mir seine Preisliste per Mail schicken, ich bekomme sie zwei Wochen später. Junge Zaun- und Smaragdeidechse – 25 Euro. Geburtshelferkröten – 60 Euro. Ausgewachsene Gelbbauchunken – 40 Euro.

Für die vier Alpensalamander verlangt er 1000 Euro. Das Doppelte des Marktpreises – als persönliche Rückversicherung, wie er sagt. 500 Euro, um sein Vertrauen zu kaufen. Entblößend, wie er sich die dicken Lippen leckt, während ich die Fünfziger und Hunderter abzähle.

Auf den Papieren, die Oliver B. uns reicht, weist er die vier Salamander als seine eigenen Nachzuchten aus und führt sie auf zwei Elterntiere zurück. Wir werden den genetischen Gegencheck machen – unsere Rückversicherung – und dann mal sehen, wer hier am Ende oben liegt.

Auch bei Andreas K., dem vermeintlichen König der Branche, kaufen wir ein, vier Sumpfschildkröten für insgesamt 380 Euro. Wir holen sie einige Tage später in Enger ab. Als ich nach Stau und Feierabendverkehr um kurz nach 18 Uhr seinen Laden betrete, sitzt Andreas K. zurückgelehnt in der tropischen Schwüle seines Arbeitsplatzes und genehmigt sich inmitten der Eidechsen und Frösche ein Bier. Wie einen alten Bekannten begrüßt er mich.

21 Sumpfschildkröten habe er insgesamt von einem Züchter geliefert bekommen. Ich kriege die letzten vier Exemplare. „Vom Diplom-Herpetologen und Diplom-Biologen des Zoos von San Diego und Los Angeles“, behauptet Andreas K. „Alles sauber. Andere Papiere nehme ich auch gar nicht. Ich bin ja nicht bescheuert.“

Auf den Papieren sehe ich keine Anschrift in San Diego oder Los Angeles, nur eine holländische Adresse, als Name lediglich „Vila Sanchez de Camilo“.

Die Tiere sind in einem miserablen Zustand.

Unter der Adresse findet sich im Internet ein Salsa-Club. Und ein Mann, der Terrarien verkauft.

Was sind das für Tiere?

Das Netzwerk

Der Reihe nach. Beginnen wir mit Oliver B. und den vier schwarzen Alpensalamandern.

In unseren Papieren steht, dass alle vier Nachzuchten aus dem Jahr 2013 stammen, dass sie die gleichen Eltern haben. Ein Weibchen, vier Nachkommen – eine biologische Unmöglichkeit. Um Schwierigkeiten mit dem Zoll und Transport auszuschließen, reicht Oliver B. Unterlagen nach, schickt uns die Dokumente der vermeintlichen Eltern. Nun sind es plötzlich drei Elterntiere, ein Männchen und zwei Weibchen. Demnach wären unsere Exemplare Stiefgeschwister.

Wir haben die Verwandtschaftsverhältnisse genetisch überprüfen lassen. Keiner der Salamander ist direkt miteinander verwandt, sie haben keine gemeinsamen Elterntiere.

Die Papiere sind falsch.

Die nächste Ungereimtheit: Uns gegenüber hat Oliver B. behauptet, die vier schwarzen Salamander seien eigene Nachzuchten. Gegenüber den Behörden gibt er an, dass die Tiere, plötzlich fünf an der Zahl, aus Holland stammen, gezüchtet von einem gewissen Willy S. aus Hoofddorp bei Amsterdam.

Wir stutzen: Es ist dieselbe Anschrift, die wir unter „Vila Sanchez de Camilo“ auf den Papieren von Andreas K. finden. Willy S. liefert, welch Zufall, neben zwei Dutzend Sumpfschildkröten auch gleich noch eine Handvoll Alpensalamander an Oliver B.

Die der dann auf einem McDonald’s-Parkplatz, frühmorgens um halb sieben, weiterverkauft.

Wir wissen von insgesamt zwölf Alpensalamandern, die Oliver B. angeboten hat, höchstwahrscheinlich sind es mehr. In dieser Größenordnung, bei dieser Tierart — ein klares Indiz für Wildentnahmen.

Die Sache stinkt.

Kommen wir zu den Sumpfschildkröten, die Andreas K. verkauft hat. Laut Papieren sind es Nachzüchtungen von 2010. Norbert Schneeweiß von der der Naturschutzstation Rhinluch, Herpetologe und Leiter eines deutschlandweit einzigartigen Wiederansiedlungsprojekts für die europäische Sumpfschildkröte, kann nur mit dem Kopf schütteln.

„Diese Tiere sind zu 99,9 Prozent illegal entnommen worden. Der glatte Panzer deutet darauf hin, dass sie aus freier Wildbahn kommen. Sie sehen überhaupt nicht aus wie Nachzuchttiere. Geschweige denn, dass eines der Tiere 2010 nachgezogen sein kann. Das ist völlig unmöglich. Zwei der Tiere sind wesentlich älter, ich schätze sie auf 15 bis 20 Jahre. Bei den anderen beiden würde ich das Alter auf mindestens acht bis neun Jahre ansetzen.“

Das heißt: Auch die Sumpfschildkröten, angeblich gezüchtet von Willy S. in der „Vila Sanchez de Camilo“, Holland – sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Wildfänge.

Wer ist dieser ominöse Willi S., über den die Händler anscheinend ihre Tiere „waschen“? Wir haben uns bei holländischen Ermittlern erkundigt. Der Züchter existiert tatsächlich. Naturschutzbehörden ermitteln gegen ihn, weil er Tiere nicht artgerecht hält. In Sachen illegaler Tierhandel liegt bislang nichts gegen ihn vor. Aber auch die holländischen Behörden gehen davon aus, dass ein internationaler Händlerring existiert, in dem europäische Tiere hin- und hergeschoben, legalisiert und verkauft werden.

In Deutschland sind es die drei Großen der Branche, die eng zusammen hängen. Andreas K. mit seinen internationalen Kontakten, Oliver B., der noch legal vor den Behörden agieren kann, Stefan R., der verurteilte Wilderer. Händler und Abnehmer bestätigten uns, dass Oliver B. und Stefan R. eine enge Freundschaft verbindet und sie immer wieder gemeinsam bei Geschäften auftreten. Nach Ende der Recherche haben wir Stefan R, Oliver B. und Andreas K. mit den Vorwürfen konfrontiert und ihnen Fragen gestellt. Stefan R. und Oliver B. haben es vorgezogen, nicht zu antworten. Andreas K. teilt schriftlich mit: „Unsere geschäftlichen Verbindungen sind Interna. Auch Ihre diversen Fragen kann ich nicht beantworten. (…) Außerdem bitte ich doch, von haltlosen Unterstellungen Abstand zu nehmen.“

2014 lieferte die Lebensgefährtin von Stefan R, sie wohnt mit ihm in Hamm unter der gleichen Adresse, große Mengen Eidechsen und Kröten an Oliver B.. Der verkaufte sie zusammen mit Stefan R. binnen weniger Tage ins Ausland, nach Dänemark, England, Schweden. Ein Schwede, der einige Zauneidechsen abgenommen hatte, sagte uns gegenüber, er werde nie wieder mit den beiden Geschäfte machen. Die Tiere waren in einem schlechten Zustand, Schwänze fehlten, er war sich sicher, Wildfänge bekommen zu haben. Die Papiere bekam er erst nach etlichen Nachfragen – und dann stand nicht die Lebensgefährtin von Stefan R. als Züchterin darin, sondern Oliver B.

Mit anderen Worten: Das Wilderer-Netzwerk, von dem einst nur die hässliche Spitze, Stefan R., sichtbar wurde, ist weiter aktiv.

Keine gute Nachricht für Deutschlands Tierwelt.

 

Ein besonderer Dank geht an Jörg Lippert vom Landesumweltamt Brandenburg. Ohne seine Unterstützung wäre dieses Recherche nicht möglich gewesen. Des Weiteren danken wir für die Hilfe beim Versorgen und Unterbringen der Tiere dem Zoo Eberswalde, der Naturschutzstation Rhinluch und dem Komitee gegen Vogelmord.


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Artikelbild: CORRECTIV
Illustration: Nils Küter, Carolin Rörig
Textchef: Ariel Hauptmeier
Mitarbeit: David Schraven, Julia Brötz, Stefan Wehrmeyer, Jonathan Sachse
Recherche: Jonas Mueller-Töwe
Verantwortlich: Markus Grill