Seit Anfang 2018 leiten wir ein groß angelegtes Rechercheprojekt gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern zu Eigentumsstrukturen im Immobilienmarkt. In Kooperation mit lokalen Medienpartnern schaffen wir mittlerweile in neun Städten und dem Saarland mehr Transparenz im Wohnungsmarkt.
Weil kaum etwas über den Markt bekannt ist, beteiligen wir die Bürger an der Recherche. Dafür haben wir eine virtuelle Plattform gebaut, den CrowdNewsroom. In großen Kampagnen aktivieren wir die Bürger, um sich an der Recherche zu beteiligen. Mieter können auf unserer Plattform den Namen des Eigentümers eingeben, einen Beleg dazu hochladen und uns Hinweise geben. Bisher haben sich mehrere tausend Bürger beteiligt. Aus diesen und weiteren Hinweisen veröffentlichen wir mit den Partnern fortlaufend Artikel-Serien über mehrere Monate.
Für das Projekt „Wem gehört die Stadt“ gibt es einen einfachen Grund: Der Wohnungsmarkt ist in hohem Maß intransparent. Mittlerweile aber ist das Eigentum in Städten zu einer der politischen Fragen der Zeit geworden. Denn Wohnen ist für viele zur Existenzfrage geworden. Mieten gehen durch die Decke. Die einen fürchten sich davor, aus ihren Wohnvierteln verdrängt zu werden. Die anderen schaffen es schlicht nicht, in Städten bezahlbare Wohnungen zu finden.
Wir wollen wissen: Wer steht hinter den Häusern? Wer profitiert von den Preisen am Markt? Wo landet die Miete am Ende und wo kommt das Geld her, dass die Immobilienpreise nach oben treibt? Das sind klassische journalistische Ansätze, um mehr Licht ins Dunkel zu bringen.
Da der Markt so undurchsichtig ist, gehen wir einen ebenso ungewöhnlichen wie klaren Weg: Die Bürger können sich mit ihrem Wissen beteiligen. Dafür haben wir die virtuelle Plattform gebaut, den CrowdNewsroom, in dem wir die Informationen der Bürger strukturiert sammeln. In einigen Fällen wissen Mieter selbst nicht, wer der Eigentümer ist. Dafür bieten wir Ihnen an, eine Anfrage beim Grundbuchamt für sie zu stellen. Dies Daten behandeln wir mit großer Sorgfalt und verwenden sie als Grundlage für unsere Recherchen.
Über den CrowdNewsroom haben uns mittlerweile mehr als 6.000 Menschen ihre Mietverträge anvertraut und viele persönliche Mietergeschichten geteilt. Mit diesem Vertrauen gehen wir sorgfältig um. Um möglichst viele Bürger zu erreichen, führen wir eine lang angelegte Serie mit unseren lokalen Medienpartnern über mehrere Monate durch. Neben Artikeln zum Thema laden die lokalen Medien zu Debatten ein, bei denen Investoren, Initiativen, Mieter und Politiker ins Gespräch kommen. Andere Organisationen, Blogs oder Initiativen unterstützen in vielen Orten den Aufruf zur Teilnahme.
Gemeinsam mit unseren Partnern entwickeln wir Ideen, wie wir Leser für das Projekt gewinnen können: Das reicht von öffentlichen Stadtgesprächen über Picknicks, lokalen Ständen auf Marktplätzen bis zu Kunstaktionen. Eine Recherche mit den Bürgern: dieses Motto haben vor allem die Kollegen in Lüneburg mit einer intelligenten und witzigen Kampagne ausgefüllt.
In Hamburg startete die erste Kampagne
Während der Projekt-Kampagne schicken uns auch Hinweisgeber auf anderen Wegen Informationen zu Beständen im Markt. Wir fragen in den jeweiligen Kommunen zudem strukturiert Daten über Verkäufe und Beständen der Städte ab.
Mit den Informationen können wir strukturiert und investigativ recherchieren oder offensichtliche Missstände aufzeigen.
Vor zwei Jahren starteten wir diese Recherchereihe mit dem Pilotprojekt „Wem gehört Hamburg?“. Gemeinsam mit dem Hamburger Abendblatt riefen wir erstmals über zwei Monate Bürgerinnen und Bürger dazu, sich zu beteiligen. An der Recherche haben sich mehr als 1.000 Menschen beteiligtet. Durch die hohe Beteiligung konnten wir mehr als 15.000 Wohnungen konkreten Namen von privaten Eigentümern zuordnen und zu den Problemen recherchieren, die aufgrund der Intransparenz des Immobilienmarktes in Deutschland existieren. Wir konnten berichten, wie die Hansestadt an Firmen in Steueroasen Grundstücke verkaufte; wie eine städtische Immobilienfirma und Pensionskassen am Boom mitverdienen; oder wie die Intransparenz des Wohnungsmarktes die Verfolgung von organisierter Kriminalität erschwert. Überraschend war, dass wir sehr viele Einträge von Genossenschafts-Mietern bekamen und kein einziger davon negativ war. Das gab es bei keinem anderen Eigentümer-Typ. Die Genossenschaften veröffentlichten im Lauf unseres Projektes ihren kompletten Bestand von über 130.000 Wohnungen.
Die Jury des Grimme Online Awards 2019 zeichnete die Recherche in Hamburg als ein „herausragendes Beispiel“ aus, wie Journalismus im Netz und unter Nutzung digitaler Tools seiner gesellschaftlichen Aufgabe und Verantwortung gerecht werden könne.
Sieben abgeschlossene Recherchen
Wir übertrugen die Bürgerrecherche auf weitere Städte, immer in Kooperationen mit lokal verankerten Medien. Mittlerweile haben Redaktionen in den Großstädten Hamburg, Berlin, München und Düsseldorf das Projekt umgesetzt. Und wir suchten ganz bewusst Partner abseits der Metropolen in Städten, die eine ganz eigene Dynamik am Immobilienmarkt erleben. Es beteiligten sich Leserinnen und Lesern von Tageszeitungen in Lüneburg, Heidenheim und Minden. Die Auswertung mit den Lokalpartnern zeigte ganz unterschiedliche Phänomene. In Metropolen wie Berlin können wir über dubiose Firmengeflechte bis hin zu Steueroasen berichten, über Steuervermeidung sowie das Ausnutzen der Regeln zum Schaden der Mieter. In anderen Städten, sei es eine hochpreisige wie Düsseldorf oder eine kleine Stadt wie Minden, ist der Druck in Teilen auf die Mieter ähnlich hoch. Die Phänomene gleichen sich, weil Investoren auch diese Städte längst als Anlagemöglichkeit nutzen. Dadurch verschärfen sich Konflikte auf dem Wohnungsmarkt auch dort.
Mit mehr Informationen kann eine differenzierte Debatte geführt werden. Wir konnten über faire und dubiose Investoren berichten, über nachhaltigen Städtebau und den Ausverkauf von Grundstücken durch die Kommune. In allen Städten, in denen wir mit den Bürgern recherchierten, entstanden durch das gewonnene Wissen über den Markt auch lebhafte und vor allem konstruktive Debatten mit Mietern, Politikern, Vermietern oder Initiativen, wie der Wohnungsmarkt besser reguliert werden kann.
Mittlerweile wird auf politischer Ebene diskutiert, ob es ein Immobilienregister geben sollte, in dem zumindest die Firmen einsehbar sein sollten. Gerade Steuerfahnder und Geldwäsche-Experten fordern das seit Langem.