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Die #GenerationE über sich selbst

Seit Anfang des Jahres berichten wir über die GenerationE – über junge Südeuropäer, die es nach Nordeuropa zieht. Mehr als 2400 Menschen haben einen Fragebogen ausgefüllt, den wir gemeinsam mit mehreren Medien aus Südeuropa veröffentlicht haben. Alle paar Tage stellen wir einen dieser Menschen vor, auf unserem Tumblr. Jetzt haben wir uns gefragt, wie sich diese jungen Menschen selber sehen. Wir haben uns Blogs der Expats durchgelesen. Sie geben Einblicke in die GenerationE – zwischen Stolz und Absturz.

von Francesca Anelli , Benedict Wermter

Ein Flugzeugflügel über Berlin© Ivo Mayr

“Ich fühle mich nicht als Einwanderer. Das Wort erinnert an diejenigen, die aus der Not heraus ins Ausland gezogen sind. Ich mag das Wort „Expat“ lieber, Generation Expat eben. In meiner Heimatstadt hatten mein Freund und ich einen festen Arbeitsplatz. Unser Umzug ins Ausland war keine Flucht, sondern eine freie Entscheidung.“ Das ist Valentina. Die Italienerin wohnt seit fast zwei Jahren im Ausland. Zusammen mit anderen italienischen Expats, die in der ganzen Welt verstreut sind, schreibt sie den Blog Amiche di Fuso – Zeitzonen-Freundinnen. Andere Frauen der #GenerationE treffen sich auf der Facebook Seite Donne che emigrano all’estero (Frauen, die ins Ausland emigrieren), um Geschichten über die Vor- und Nachteile des Expat-Lebens zu erzählen.

Valentina zeigt: Nicht alle brauchen ins Ausland ziehen. Es ist eine freie Wahl. Das macht es für Freunde und Familie kompliziert, die Entscheidung zu verstehen und zu unterstützen. Auch wenn sie es nachvollziehen können, sind einige Aspekte des GenerationE-Lebens noch außerhalb ihrer Vorstellung. „Du willst dich mit denjenigen unterhalten, die die selben Probleme wie du erleben und verstehen können, wie frustrierend oder spannend einige kleine Expat-Dinge sein können“, sagt Valentina. Amiche di Fuso wuchs aus einer internationalen Freundschaft, die wiederum aus Blogs und Facebook-Seiten entstand. Manche behaupten, dass das Internet die Suche nach wahren Freunden erschwere. In diesem Fall war es wohl umgekehrt.

Bloggen als Therapie gegen die Einsamkeit

“Als ich hier hergekommen bin, habe ich einfach Karriere gemacht. Aber ich fühlte mich einsam und fremd. Mir fehlte ein befriedigendes Lebens jenseits der Arbeit“, Francesca’s online nickname ist Chechi und Vivere a Madrid ist ihr imaginärer Freund. „Ich habe angefangen, zu bloggen, weil ich meinem Herzen Luft machen wollte. Nach einer Weile, haben mich immer mehr Leute kontaktiert und mein Sozialleben ist besser geworden.“ Seitdem hat Chechi ein Buch geschrieben und ist mehrfach im Fernsehen und im Radio aufgetreten. Jetzt fühlt sie sich intergriert. „Das Blog ist ein Grundstein meines Expat-Lebens“.

Und die Leser?

Blogs können einen positiven Einfluss auf den Alltag derer haben, die sie schreiben. Was bedeutet das für die Leser? Sie sind Teil des Prozesses: „Interviews und persönliche Geschichten sind die meist gelesenen Inhalte“, sagt Aldo. Sein Blog Italiansinfuga ist im Laufe der Jahre sein Job geworden und wahrscheinlich der beliebteste GenerationE-Blog unter Italienern. „Praktische Hinweise und Informationen sind sehr wichtig, aber das sind nicht die Posts, die man mit Freunden teilt. Sie haben keine emotionale Ansprache, die vermutlich Italiener am meisten brauchen, wenn sie vor einer großen Entscheidung stehen.“ Die meisten seiner Leser leben immer noch in Italien. Sie nehmen all ihren Mut zusammen, um den großen Sprung zu machen. „Der Umzug ins Ausland ist beängstigend. Die Menschen wollen wissen, wie es sich anfühlt. Sie sind froh, dass schon viele Menschen vor ihnen diesen Schritt getan und alle Hürden überwunden haben“

Aber Hoffnung ist nicht das einzige, was die GenerationE braucht, um ein neues Leben im Ausland zu beginnen. Erfolgreiche Geschichten können manchmal täuschen.

“Mein Ziel ist es, die Wahrheit bloßzulegen. Ich will nicht, dass andere die gleichen Fehler wie ich machen.“ Roberta zog es vor zwei Jahren in eine kleine Stadt in Deutschland. Sie bloggt über das Leben in Deutschland und hat schnell gemerkt wie wichtig es ist, zu wissen, auf was man sich einlässt. „Die meisten Auswanderer sind völlig unvorbereitet. Sie haben keine Ahnung, dass sie deutsche Qualifikationen oder zumindest einige Hinweise benötigen, um eine menschenwürdige Arbeit hier zu finden. Sie denken, dass Deutschland der Himmel auf Erden ist. Und einige Blogger tragen zu dieser Fehlinformation bei.“ Um eine rationale Entscheidung zu treffen, brauchen Expats Aufrichtigkeit. „Ich versuche, meine Leser zu warnen. Aber manchmal wollen sie einfach nicht hören. Sie ziehen trotzdem um und nach ein paar Monaten schreiben sie mir E-Mails und sagen, dass ich von Anfang an Recht hatte.“

“Seltsame Tiere“

Die GenerationE-Blog-Szene ist dynamisch und abwechslungsreich. Oft wird Migration als Last wahrgenommen, doch für einige Menschen ist sie mehr Segen als ein Fluch. Sie wollen andere Kulturen kennenlernen, sind aktiv und organisiert – auch im digitalen Sinn. Und sie sind stolz auf ihre Lebensentscheidungen.

Ornitorinko gibt denjenigen eine Stimme, die „einem interessanten Pfad folgen und ihre Erfahrungen mit anderen teilen wollen“. Das Blog sammelt Geschichten von jungen Hochqualifizierten, die ihr Leben auf den Kopf gestellt haben und ins Ausland umgezogen sind – auch wenn sie in Südeuropa einen festen Arbeitsplatz und eine solide Zukunft hätten haben können. Sie nennen sich „seltsame Tiere“. Auf den Seiten lesen wir, dass viele von ihnen ihren eigenen Blog haben. Manchmal ist es nur ein Hobby, manchmal ist es ihr Job. Einige von ihnen sind „digitale Nomaden“. Personen also, die als Freiberufler im Web arbeiten und deshalb nicht an einem bestimmten Ort sein müssen. Sie sind nicht nur Auswanderer, sondern Reisende. Ihre Motivation liegt nicht nur in besseren Job-Aussichten, sondern auch im Entdecken und Grenzen überschreiten.


Wir stellen die Menschen der GenerationE einen nach dem andern vor. Hier geht es zu unserem Tumblr. Und hier könnt Ihr selbst Eure Erfahrungen in unserem Fragebogen hinterlassen.