Neue Rechte

Die Angst der AfD vor Neuwahlen

Vor dem Parteitag in Hannover steht die AfD vor einem neuen Machtkampf zwischen den völkischen und „Moderaten“ in der rechtspopulistischen Partei. Über 30 AfD-Bundestagsabgeordnete scheuen nach CORRECTIV-Recherchen Neuwahlen, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wieder aufgestellt würden.

von Marcus Bensmann

Die neue AfD-Fraktion im Bundestag© Odd Andersen /AFP

Auf dem Parteitag in Hannover steht die AfD erneut vor einem Machtkampf. Es geht um Personal und um die politische Ausrichtung der rechtspopulistischen Partei. Wird sich der völkische Flügel um den Parteichef Jörg Meuthen und Björn Höcke durchsetzen? Oder gewinnen die selbsternannten „moderaten“ Kräfte die Oberhand?

Nach Recherchen von CORRECTIV hat die Mehrheit der Bundestagsfraktion der AfD kein Interesse an einem radikalen Kurs. Die Abgeordneten wollen sich im jetzigen Parlament häuslich einrichten. Eine Neuwahl würden über 30 von insgesamt 92 Abgeordneten verhindern wollen, weil sie befürchten müssten, nicht wiedergewählt zu werden, sagt eine Quelle aus der AfD-Bundestagsfraktion gegenüber CORRECTIV.

Aus der Bundestagsfraktion der AfD kam daher auch der Angriff auf den völkischen Flügel der Partei. Der AfD-Chef des Landesverbandes Berlin, Georg Pazderski, soll Bundesvorsitzender werden. Der Bundeswehroffizier galt lange als treuer Anhänger der ehemaligen Parteichefin Frauke Petry, bis diese nach der Bundestagswahl der Partei den Rücken gekehrt hat. Pazderski ist ein erklärter Gegner rechtsradikaler Ideen und befürwortet das Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke.

Keine Neuwahlen

Dass der Vorschlag für Pazderski aus der Bundestagsfraktion kommt, überrascht nicht. Viele der 92 Abgeordneten stehen vor einem Dilemma. Wie eine gut informierte Quelle aus der Bundestagsfraktion gegenüber CORRECTIV sagte, müssten rund 30 AfD-Politiker befürchten, dass sie bei einer eventuellen Neuwahl kaum die Chance hätten, wieder auf einen aussichtsreichen Listenplatz zu kommen. Diese Sorge könnte auch die Stimmabgabe der Wackelkandidaten beeinflussen, sagt die Quelle. Ihr Interesse sei es, eine Neuwahl zu verhindern.

Bei einer neuen Bundestagswahl könnte die AfD vielleicht als Partei dazugewinnen, aber viele Abgeordnete stünden in der Gefahr ihren Platz zu verlieren, sagt die Quelle. Vor allem die Landesverbände der AfD sind zerstritten.

Die zerstrittenen Landesverbände

Nach Außen tut die Partei so, als würde ihr Neuwahlen recht sein. „Wir als AfD haben keine Angst, sondern würden uns über Neuwahlen sehr freuen“, sagt ausgerechnet Alice Weidel, die Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Dabei hätte die ehemalige Unternehmensberaterin bei Neuwahlen viel zu verlieren. Der Listenplatz 1 aus Baden-Württemberg könnte zur Disposition stehen.

Neben Baden-Württemberg würde eine Neuwahl die Listen vor allem aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen durcheinander wirbeln.

Brüssel oder Berlin?

Für die Quelle aus der AfD-Fraktion im Bundestag ist es nicht ausgeschlossen, dass dann auch Jörg Meuthen ebenfalls in den Bundestag einziehen wolle. Nach dem Einzug der AfD-Fraktion sei den anderen Funktionsträgern der Partei klar geworden, dass „die Musik in Berlin spielt“, sagt die Quelle. Da entstünden viel Neid und Begehrlichkeiten. Hinter vorgehaltener Hand glaubt der AfD-Parlamentarier, dass Meuthen versuchen würde, diesmal in den Bundestag einzuziehen. Der völkische Wirtschaftsprofessor hatte nach der Bundestagswahl und dem Ausscheiden seiner Konkurrentin Petry bereut, nicht für den Bundestag kandidiert zu haben und im Landtag in Stuttgart geblieben zu sein, sagt die Quelle.

Nach der Bundestagswahl wechselte Meuthen erst in das Europäische Parlament, um als AfD-Vorsitzender wenigstens die europäische Bühne zu haben. Auf Anfrage von CORRECTIV hat der AfD-Chef einen erneuten Wechsel ausgeschlossen. Aber wie lange würde das Dementi halten?

Für den Landeschef der AfD von Baden-Württemberg, Ralf Özkara, würde ein solcher Schritt Meuthens die AfD vor Ort in ein „Dilemma“ stürzen. Die Frage nach Neuwahlen sei „hypothetisch“, sagt Özkara. Aber ein Duell Meuthen gegen Weidel könnte die gesamte bisherige Liste gefährden. Es geht um 11 Kandidaten.

NRW nach Pretzell

Auch die Wiederwahl der 14 AfD-Abgeordneten aus NRW wäre fraglich. Die Liste wurde damals von Marcus Pretzell, dem Ehemann von Frauke Petry, durchgedrückt. Beide haben die AfD verlassen. Seither ist der größte Landesverband der AfD ohne Führung. „Nur vier hätten vielleicht eine kleine Chance wieder gewählt zu werden“, sagt Thomas Matzke, der Strippenzieher des selbst ernannten „patriotischen Lagers“ in NRW und erbitterter Gegner des ehemaligen Landeschefs Pretzell.

Streit auch in Niedersachsen

Eine Neuwahl könnte auch das Aus der Hampel-Liste aus sieben Abgeordneten aus Niedersachen bedeuten. Armin-Paul Hampel ist als Spitzenkandidat der AfD aus Niedersachen in den Bundestag eingezogen. Der ehemalige Fernsehjournalist ist ein Anhänger Höckes. In seinem Bundesland tobt schon lange der Machtkampf und Hampel droht sogar die Abwahl als Landesvorsitzender. Bei einer Neuwahl für den Bundestag hätte Hampel und die Mehrheit seiner Liste kaum Chancen, wieder aufgestellt zu werden, sagt die Quelle aus der AfD-Fraktion. Nach außen gibt sich Hampel kämpferisch: „Ich habe vor Neuwahlen keine Angst und werde wieder um mein Mandat kämpfen“, sagt Hampel.

Auch unter den Abgeordneten aus Bayern, Sachsen und Hessen finden sich Wackelkandidaten.