Wem gehört die Stadt?

CORRECTIV startet weitere CrowdNewsroom-Recherche

Unser CrowdNewsroom will den Journalismus den Bürgern öffnen. Heute ist der Auftakt zu unserem dritten Projekt auf der Plattform: Wir wollen herausfinden, wem die Mietwohnungen in Hamburg gehören.

von Jonathan Sachse , Justus von Daniels , Margherita Bettoni

Blick in eine CrowdNewsroom-Besprechung: Die Entwicklung der Software begann bereits im Jahr 2014.© Ivo Mayr / Correctiv

CORRECTIV will den Journalismus stärken. Ein Weg zu diesem Ziel: den Journalismus zu öffnen. Unsere Gesellschaft ist stärker, wenn sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger Informationen beschaffen können, wenn sie das Handeln von Behörden und Firmen überprüfen können. Wir glauben daran, dass jeder als Journalist arbeiten kann, solange er oder sie die Methoden dahinter vermittelt bekommt.

Deswegen arbeiten wir seit drei Jahren an der Software CrowdNewsroom: eine Plattform, auf der Journalisten und Bürger gemeinsam recherchieren können. Wir verstehen die Plattform als eine Art virtuelle Redaktion, ein geschützter Raum, in der wir gemeinsam große Recherchen angehen. Wir möchten mit dem CrowdNewsroom wieder mehr Menschen für Journalismus begeistern.

Für das dritte Projekt mit dem CrowdNewsroom, das heute beginnt, haben wir eines der drängendsten Probleme unserer Zeit ausgewählt: die hohen Mietpreise. In den meisten Städten Deutschlands steigen die Mieten seit einigen Jahren rasant an. In einigen Städten können einfache Familien keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden.

Die Öffentlichkeit hat dabei keinen Überblick, wem das Wohneigentum gehört. Der Wohnungsmarkt ist intransparent.

Vielen Mietern ist nicht bekannt, wem die eigene Wohnung gehört. Nicht selten taucht im Mietvertrag nicht der wahre Eigentümer als Vermieter auf.

Das wollen wir ändern und starten zusammen mit dem „Hamburger Abendblatt“ und dem Hamburger Mieterverein das Projekt „Wem gehört Hamburg?“.

Mit Hilfe des CrowdNewsroom recherchieren wir gemeinsam mit den Mietern Hamburgs. Gemeinsam wollen wir mehr über die Eigentümer erfahren. Wir möchten aufdecken, wer von der Intransparenz im Immobilienmarkt profitiert.

Das Projekt findet in zwei Phasen statt: heute beginnen wir unsere Kampagne, mit der wir die Mieter zur Mitarbeit aufrufen. Im April findet dann die eigentliche Recherche statt: die Mieter können die nötigen Daten zusammen tragen. Anschließend werten wir die Ergebnisse aus.

In den kommenden Wochen berichten wir gemeinsam mit dem „Hamburger Abendblatt“ regelmäßig über den Wohnungsmarkt in Hamburg. Wir verlegen einen Teil unserer Redaktion dafür ins Herz von Hamburg, in ein Café in St. Pauli. Wir organisieren Gespräche mit Mietern, Stadtexperten und Politikern. Zusammen mit dem Mieterverein werden wir für Mieter Veranstaltungen anbieten, auf denen sie mehr über ihre Eigentümer erfahren können.

Diese Recherche über den Hamburger Wohnungsmarkt ist wie so viele Recherchen für eine Redaktion alleine nicht zu stemmen. Deswegen setzen wir auf Kooperationen: für das Aufdecken von strukturellen Missständen sind viele Daten und Hinweise notwendig.  

Der Journalismus braucht dafür neue, kollaborative Tools, mit denen viele Menschen an unterschiedlichen Standorten zusammenarbeiten. Das wollen wir mit dem CrowdNewsroom möglich machen.

Das Projekt wem-gehoert-hamburg.de ist dabei der dritte Versuch dieser Art.

Der Auftakt: Sparkassen durchleuchten

Ein Lineal wird unter ein Sparkassen Logo gehalten

Hunderte Leser haben im CrowdNewsroom die wirtschaftliche Lage der Sparkassen ausgemessen

Ivo Mayr

Im November 2015 haben wir den CrowdNewsroom mit einer aufwändigen Recherche zu den Sparkassen ins Leben gerufen. Mehr als 800 Bürger meldeten sich im CrowdNewsroom an. Sie halfen bei der Analyse von Jahresabschlüssen, fotografierten Gebührenlisten und fragten Spendenlisten bei ihrer Sparkasse an. So sammelten wir gemeinsam Informationen über faule Kredite, Vorstandsgehälter und überhöhte Dispozinsen. Die daraus entstandenen Geschichten streckten sich über Monate, erschienen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und zahlreichen Lokalzeitungen.

Die Sparkassen reagierten empört auf diese neue Art der journalistischen Recherche. Sie entwarfen eine Gegenkampagne. In einer Grundsatzrede appellierte der damalige Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon im April 2016 an die Vorstände der mehr als 400 öffentlichen-rechtlichen Kreditinstitute. „Ich halte es nicht für richtig, Gehälter und Pensionen Einzelner auf dem offenen Markt zu handeln“, sagte Fahrenschon.

Am Ende deckten Bürger und Journalisten gemeinsam Interessenkonflikte auf: wenn zum Beispiel Sparkassen-Vorstände Spenden an örtliche Vereine verteilen, in denen sie selber aktiv sind. Unsere Recherchen zeigten, dass sieben Sparkassenvorstände in Nordrhein-Westfalen gegen Richtlinien für Bonuszahlungen verstießen.

Die Aufbereitung ermöglichte Lokaljournalisten einen Vergleich ihrer örtlichen Sparkasse mit anderen, und damit eine bessere Einordnung: zum Beispiel der Höhe der faulen Kredite. Diese kann Hinweise liefern, dass das Risikomanagement einer Sparkasse nicht funktioniert oder dass Kredite an Freunde der Politiker im Aufsichtsrat vergeben werden.

Zweites Projekt: Unterrichtsausfall erfassen

Zeichnung von Schülern, die im Klassenraum toben. Im Hintergrund läuft ein Fernseher.

Ein typisches Bild in NRW-Schulen: Der geplante Unterricht fällt aus, in der Vertretungsstunde läuft der Fernseher.

Charlotte Hintzmann

Anfang 2017 starteten wir den Unterrichtsausfall-Check in NRW und damit das zweite Projekt im CrowdNewsroom. Wir haben uns gefragt, wie viel Unterricht fällt in unseren Schulen aus? Und damit verbunden: Wie groß ist der Lehrermangel tatsächlich?

Einen Monat lang haben wir den Unterrichtsausfall in Dortmund erfasst. Über 500 Eltern, Lehrer und Schüler trugen im CrowdNewsroom ein, welche Stunden an ihrer Schule ausfielen.

Das Ergebnis: Das Problem ist größer, als es die Behörden in dem größten Bundesland Deutschlands in ihren Statistiken ausweisen. Vier von zehn Stunden, die nicht planmäßig unterrichtet werden, fallen ersatzlos aus. Das sind doppelt so viele, wie eine Stichprobe des Schulministeriums ergab.

Auch bei dieser CrowdNewsroom-Recherche arbeiteten wir mit Partnern zusammen. Mit den „Ruhrnachrichten“ berichteten wir fortlaufend über das Projekt. Schülerzeitungen organisierten die Datensammlung an der eigenen Schule und schrieben Artikel über die Lage an ihrer Schule. Bildung wurde zum großen Wahlkampfthema in NRW. Die Opposition am Düsseldorfer Landtag griff die Recherche auf, stellte über 50 kleine Anfragen zum Schulausfall.

Auf dritte Recherche folgt Ausbau 

Auch das Projekt „Wem gehört Hamburg?“ ist nur ein Zwischenschritt in der Entwicklung des CrowdNewsrooms. In Zukunft soll die Plattform allen Redaktionen offen stehen, damit sie solche Recherchen gemeinsam mit ihren Lesern umsetzen können.

Aber jetzt konzentrieren wir uns die Recherche zum Wohnungsmarkt. Wichtig ist, das viele Bürgerinnen und Bürger mitmachen: je mehr sich beteiligen, desto mehr Schlüsse über den Immobilienmarkt lassen sich ziehen. Mit einem Klick auf das Bild geht es zu unserer Projektseite. Wir würden uns freuen, wenn dieser Link viele Hamburger erreicht.

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