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„Armut ist kein Problem der südländischen Jugend“

von Benedict Wermter

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Tausende junge Menschen strömen jedes Jahr aus Südeuropa nach Deutschland. Sie nennen sich GenerationE und suchen im Norden eine neue Heimat und die Chance auf ein besseres Leben. Doch oft fühlt sich die GenerationE ausgebeutet. Einige wollen sich das nicht mehr gefallen lassen. Sie haben in Berlin die „Grupo de Acción Sindical“ gegründet — zu deutsch: gewerkschaftliche Aktionsgruppe — GAS. Sie streiten für ein besseres Leben.

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Marta Cazorla Rodriguez spricht für die Acción Sindical. Sie sagt, es gehe ihnen nicht nur um bessere Verträge, sondern auch um sozialen Beistand. Denn manchmal ist es schwierig, sich in der neuen Heimat zurechtzufinden. Mit uns spricht Marta über alternative Lebensformen, unfähige Gewerkschaften und die Stimmung unter den jungen Einwanderern.

Ist es für die GenerationE eher ein Traum oder ein Alptraum, in der neuen Heimat zu leben?

Traum wäre wohl zu viel gesagt. Es gibt natürlich viele junge Menschen aus Südeuropa, die freiwillig nach Deutschland kommen. Auch ich wäre ohne Krise trotzdem nach Berlin gekommen, weil ich reisen und etwas erleben wollte. Es ist schon eine Art Traum, hier leben zu können. Aber es gibt eben auch die anderen, die nicht aus Spaß hier hingekommen sind, sondern weil sie in ihrer alten Heimat keine Lebensgrundlage gefunden haben, keinen Job und keine Zukunft.
Wir haben Kontakt zu jungen Menschen aus Südeuropa, die in kleinen deutschen Dörfern gelandet sind, weil sie dort endlich einen Job gefunden haben. Und für diese Menschen ähnelt das Leben schon mehr einem Alptraum: Sie sprechen kein Deutsch, sind isoliert und haben kaum Geld.
Die spanische Regierung versucht immer, die Probleme kleiner zu machen, als sie sind. Sie sagt: „Die, die gehen, gehen aus Spaß.“

Manche aus der GenerationE sagen uns, die Einwanderer sollen nicht klagen, sondern froh sein, dass sie in Deutschland leben können. Sind die Klagen berechtigt? Ist die Angst vor Ausbeutung real? Oder jammern da welche auf hohem Niveau?

Wir haben uns für südeuropäische Pflegekräfte eingesetzt, die zwölf Stunden Schichten schieben mussten und 40 Prozent weniger Gehalt bekommen haben, als ihre deutschen Kollegen. Das ist Ausbeutung. Wir wollen dieselben Rechte und auch das gleiche Ansehen wie die deutschen Kollegen. Wir möchten wie sie in unseren Job aufsteigen können. Wir wollen Verantwortung übernehmen dürfen, wenn wir die nötige Ausbildung und das nötige Wissen haben. Doch das wird uns verwehrt. In Spanien muss man mehrere Jahre studieren, um in der Pflege arbeiten zu können. Leider wird aber in Deutschland diese Ausbildung in der Praxis nicht beachtet. Wir werden zu einem geringeren Gehalt angestellt, als uns zusteht. Wir sehen in solchen Strukturen Lohndumping. Das betrifft aber nicht nur uns, sondern den ganzen deutschen Arbeitsmarkt. Wir werden schlecht bezahlt und ersetzen damit gut bezahlte Arbeitsplätze anderer Arbeiter. So wird das ganze Lohnniveau gedrückt.

Welche Gruppen von Südeuropäern leben in Deutschland in besonders schwierigen Verhältnissen?

Wir hören sehr oft, dass viele junge Leute direkt von der Uni nach Deutschland kommen und hier Karriere machen wollen. Sie sind gut motiviert und haben viel Energie. Doch auch sie haben es dann schwer. Daneben gibt es auch ältere Südeuropäer, die mit ihren Familien kommen und sich zurechtfinden müssen. Wir haben mit der GAS gerade 20 Männer zusammengebracht — die meisten von ihnen sind über 40 Jahre alt und leben jetzt in Deutschland mit ihren Frauen und Kindern. Diese Männer sind keine Akademiker, sondern einfache Arbeiter, die aus Not nach Deutschland gekommen sind, weil sie in ihrer Heimat lange Zeit arbeitslos waren.
Armut ist kein Problem der südländischen Jugend. Die Generation E ist nur etwas mehr betroffen, weil die Jugend aus Südeuropa wirtschaftlich und sozial verletzlicher ist. Das heißt aber nicht, dass junge Leute aus Deutschland nicht von Lohndumping betroffen sind. Auch hier gibt es genügend Menschen, die unter Armut leiden.

Gewerkschaften in Deutschland haben eine lange Tradition, Armut zu bekämpfen, vertreten sie auch eure Interessen?

Sicher könnten die Gewerkschaften auch etwas für uns tun. Wenn es sie nur interessieren würde. Ein Mitarbeiter von Ver.di hat uns beispielsweise bei unserem Einsatz für Pflegekräfte sehr geholfen. Er war wirklich sehr engagiert. Pflege ist eben ein wichtiges Thema für Ver.di. Das war eine gute Erfahrung. Wir haben aber auch schlechte gemacht. Zu Details will ich lieber nichts sagen.
Es hängt sehr oft von einzelnen Personen in den Gewerkschaften ab, ob wir gut zusammenarbeiten können. Manchmal gibt es aber auch unterschiedliche Ansichten in der Strategie. Während der Krise vor einigen Jahren zum Beispiel gab es in Spanien und Italien Aufrufe zum Generalstreik. Diese Aufrufe wurden weitgehend befolgt. Auch deutsche Gewerkschaften sollten sich dem Generalstreik anschließen. Aber der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte gar keine Absicht, das zu tun. Wir erleben, dass die meisten deutschen Gewerkschaften zu viel mit der deutschen Wirtschaft kooperieren.

Wie wollt ihr mit Arbeitgebern einen Dialog in Deutschland führen, wenn ihr sehr kämpferisch auftretet?

Meinst du, unsere linke Identifikation ist ein Problem?

Es löst zumindest bei vielen Arbeitgebern Unbehagen aus. Die denken, ihr seid Krawallmacher. In Deutschland gibt es starke Vorbehalte gegenüber Krawallmachern.

Glaubst du die kennen uns? (lacht) Unsere Botschaft ist einfach: „Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit.“ Wir schämen uns nicht und treten für unsere Interessen ein. Wir kämpfen auch gegen solche Klischees wie „linke Krawallmacher“. Wir wollen unsere Zukunft in die Hand nehmen und unsere Arbeitswelt mitgestalten. Wir können es uns einfach nicht leisten, nicht mit Arbeitgebern zusammenzuarbeiten und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Über Politik zu reden, ist einfach, aber man muss auch etwas tun, um seine Anliegen durchzusetzen.

Spanien hat eine große alternative Szene. Warum ist trotzdem eine GenerationE entstanden, die ihre Zukunft in anderen Ländern sucht?

Auch um alternativ leben zu können, braucht man Geld. Es ist schwierig, die Situation in Spanien aus der deutschen Perspektive zu verstehen. In Spanien liegt die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen bei fast 55 Prozent. Einer von zwei jungen Menschen hat keinen Job. Die Leute leben bei ihren Eltern bis sie 30 sind. Das macht niemand aus Spaß. Die Kindheit wird immer weiter verlängert. Du kannst dein Leben nicht gestalten und irgendwann willst du nur noch weg.

Wollen die Menschen nicht in ihrer Heimat etwas verändern?

Sie versuchen es ja. Es gibt Nachbarschaftsinitiativen, es gibt Vereinigungen, die mit Banken verhandeln, damit diese Familien oder jungen Menschen Schulden erlassen. Es gibt außerdem neue Parteien. Viele Menschen haben kreative Ideen und sind auf der Suche nach einer neuen politischen Kultur. Der Slogan einer sehr erfolgreichen Bürgerinitiative gegen Zwangsräumungen von Wohnungen, deren Mieter die Miete nicht mehr zahlen können, lautet: „Si se puede“. Das bedeutet: „Ja man kann.“ Aber ein Problem haben alle: Um etwas neues anzufangen, braucht man Geld.

Warum bleibt ihr, wenn ihr unzufrieden seid?

Wir glauben, wenn wir uns organisieren und versuchen, zu kämpfen, dann wird unser Leben hier besser. Etliche von uns haben es auch schon geschafft. Sie haben gute Jobs. Wir dürfen nur die Hoffnung nicht verlieren.

Interview: Benedict Wermter

Wie leben junge Auswanderer aus Südeuropa in Deutschland?  Was sind ihre persönlichen Hintergründe und Motive? Welche Erfahrungen haben sie in Deutschland gemacht und welche Situationen haben sie besonders beeindruckt? In unserem tumblr kommt die GenerationE zu Wort: Hier veröffentlichen wir die Geschichten der Südeuropäer, die in den Norden gekommen sind.

http://generatione-correctiv.tumblr.com/