Flug MH17

Was wusste Steinmeier zu Flug MH17?

Es geht um ein monströses Kriegsverbrechen in der Ostukraine. Das Flugzeug MH17 wurde am 17. Juli 2014 abgeschossen. 298 Menschen starben. Darunter vier Deutsche. Was nicht bekannt ist: zehntausende Passagiere wurden gefährdet. Alle tun so, als wäre das Verbrechen aus heiterem Himmel passiert. Doch das ist falsch. Die Bundesregierung wusste um die Gefahr und tat nichts, um die schutzlosen Menschen zu warnen.

von David Crawford , Marcus Bensmann

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Nach Recherchen des gemeinnützigen Recherchebüros CORRECTIV wurde das Auswärtige Amt schon Tage vor dem Abschuss von MH 17 über die Gefahren im Luftraum über der Ostukraine informiert. Doch trotz dieses Wissens versäumte es das Ministerium, die Lufthansa und andere Fluggesellschaften vor einem Überflug des Konfliktgebietes zu warnen. Das Leben von zehntausenden Menschen wurde gefährdet. 298 Menschen starben.

Bis heute verweigert das Auswärtige Amt CORRECTIV Antworten darauf, warum die Lufthansa und andere Fluggesellschaften nicht gewarnt wurden.

CORRECTIV wird das Ministerium nun auf gerichtlichem Wege zwingen, die Wahrheit zu sagen. Wir fordern Antworten ein. Deshalb fahren wir heute Abend zum Auswärtigen Amt. Kommt mit, um 21.30 Uhr. Folgt uns auf Twitter unter @correctiv_org für den genauen Treffpunkt und nehmt an der Aktion online mit dem Hashtag #mh17 teil.

Flug MH 17 wurde am 17. Juli 2014 über der Ostukraine mit einem mobilen Raketensystem abgeschossen.

Dass entsprechende Systeme in der Ostukraine sind, wussten nach Recherchen von CORRECTIV alle EU-Staaten, sowie die USA, Kanada, Brasilien und Japan spätestens seit dem 14. Juli. Drei Tage vor dem Abschuss des Passagierflugzeuges der Malayischen Fluglinie.

Eskalation in Ostukraine war bekannt
Bei einer Konferenz für Spitzendiplomaten westlicher Staaten in Kiew hatten Vertreter der ukrainischen Präsidialverwaltung sowie der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin über die offene russische Einmischung in der Ostukraine und die dramatische Eskalation im Luftkampf berichtet. So erklärten die Ukrainer, dass wenige Stunden zuvor eine ukrainischen Militärmaschine in 6200 Meter Höhe über der Ostukraine abgeschossen worden sei. Dafür konnten nach Aussagen der Ukrainer nur russische Raketen oder russisches Militär verantwortlich sein. Die Separatisten würden über die notwendige militärische Ausrüstung nicht verfügen.

Das Auswärtige Amt behauptet bisher über die Konferenz am 14 Juli: „Zivile Überflüge über die Ostukraine und deren Sicherheit wurden bei dem Treffen nicht erörtert.“

Dem widersprechen Erkenntnisse, die CORRECTIV vorliegen.

Gemäß des Berichtes der niederländischen Diplomatin Gerrie Willems von diesem Treffen wurde auf der Konferenz in Kiew die zivile Luftfahrt zwar nicht ausdrücklich erwähnt, dafür allerdings detailliert über eine Eskalation des Luftkampfes gesprochen. Das Original-Protokoll von Diplomatin Gerrie Willems sowie dessen Übersetzung finden sich am Ende dieses Blogposts.

So wurde den westlichen Diplomaten auf der Konferenz ein Tonband zwischen der Separatistenführung und „Moskau“ abgespielt, auf dem der Einsatz von russischen Kampfflugzeugen erbeten wurde. Zudem sei nach dem Abschuss einer ukrainischen Militärmaschine klar gewesen, dass russische Flugabwehrsysteme in der Ostukraine eingesetzt würden. Damit sei der Luftraum über der Ostukraine in jeder Höhe unsicher geworden.

Hunderte Panzer auf ukrainischem Gebiet
Zudem hätte die Bundesregierung nach Recherchen von CORRECTIV bereits im Juni 2014 von möglichen Gefahren durch russische Flugabwehrsysteme wissen müssen. In jenem Monat veröffentlichte die Nato Bilder von russischen Panzern im Separatistengebiet. Nach Einschätzung von hochrangigen Militärexperten bewegen sich russische Panzer niemals ohne den Schutz von mobiler Flugabwehr. Auf der Konferenz in Kiew am 14. Juli warnt die ukrainische Seite zudem ausdrücklich davor, dass nun nicht mehr Dutzende russische Panzer des Typs T-71 oder T-90 unterwegs sind, sondern „Hunderte“.

Das Wissen um die Verbindung zwischen Panzereinsätzen und dem damit einhergehenden Einsatz mobiler Luftabwehrsysteme ist in der Bundeswehr und bei den Militärs der Nato-Staaten vorhanden. Weiter ist klar, dass die russischen Luftabwehrsysteme auch Flugzeuge im Luftraum über 10.000 Meter abschießen können. Das wissen die Militärexperten in Kiew und in Berlin.

Doch trotz dieses Wissens hat die Bundesregierung zivile Fluggesellschaften, wie die Lufhansa, nicht vor den Gefahren gewarnt.

In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus dem August 2014 zum Abschuss von MH17 heißt es: „Die Bundesregierung konnte nicht davon ausgehen, dass der zivile Flugverkehr in der betreffenden Flughöhe Ziel von Angriffen sein würde.“ Auf diese Aussage beruft sich das Auswärtige Amt bis heute. Zudem hätten die ukrainischen Behörden nach dem Abschuss des Militärflugzeuges am 14. Juli lediglich den zivilen Luftraum bis auf 10.000 Metern gesperrt. Eine Warnung an die zivilen Fluggesellschaften sei also nicht erforderlich gewesen, da diese höher geflogen seien.

Anfrage nach Transparenz lehnt Steinmeier ab
Nach Recherchen von CORRECTIV hat auch der deutsche Botschafter in Kiew, Christof Weil, einen Bericht über die Konferenz an das Auswärtige Amt gesendet. Im Februar lehnte das Auswärtige Amt eine Anfrage von CORRECTIV ab, den Bericht von Botschafter Weil auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes herauszugeben.

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Der deutsche Botschafter Christof Weil macht sich am 14. Juli 2014 — drei Tage vor dem Abschuss von MH17 Notizen über den Abschuss eines ukrainischen Militärflugzeuges. Foto: Ukrainisches Präsidialamt.

Es bestünde kein Anspruch auf Informationszugang, „wenn das Bekanntwerden nachhaltige Auswirkungen auf die internationale Beziehung haben kann“. Das Auswärtige Amt sieht Deutschland im ukrainischen Konflikt in einer Vermittlerolle. Diese könne gefährdet werden, wenn das Vertrauen zur ukrainischen Seite durch die Herausgabe des Berichtes beeinträchtigt würde.

„Das Briefing fand im vertraulichen Rahmen statt, der anwesende Außenminister und die übrigen Anwesenden gingen alle erkennbar davon aus, dass der Inhalt der Gespräche nicht nach außen dringen würde“, so die Ablehnung des auswärtigen Amtes.

Die Notizen des deutschen Botschafters
Die Ukrainer sehen das anders. Sie informierten bereits am 15. Juli 2014 über dieses „vertrauliche“ Treffen auf ihrer Webseite. Sie zeigten Fotos, auf denen der deutsche Botschafter Christof Weil Notizen zum Thema machte.

Das Auswärtige Amt sorgt sich zudem um die ukrainische Regierung; der Bericht des Botschafters enthalte Aussagen von Amtspersonen, deren bekannt werden die Verhandlungsposition der ukrainischen Regierung in irgendwelchen Gesprächen schwächen könnten, heißt es.

CORRECTIV legte gegen die Ablehnung des IFG-Antrages Widerspruch ein, der bis heute noch nicht beschieden wurde. Die Ablehnung und unser Widerspruch finden sich am Ende des Textes im Original.

Anfragen auf Basis der deutschen Pressegesetzgebung hat das Auswärtige Amt nicht beantwortet.

Wir klagen auf Auskunft
Aus diesem Grund verklagt CORRECTIV nun das Auswärtige Amt auf Auskunft. Das Recherchebüro will detailliert wissen, was Botschafter Weil aus Kiew nach Berlin über den Panzereinmarsch aus Russland in die Ostukraine gemeldet und was er zur Gefährdung des Luftraumes berichtet hat.

Durch das Schweigen des Bundesregierung wurden über Wochen viele Zehntausende Passagiere in zivilen Flugzeugen über dem Kampfgebiet der Ostukraine Lebensgefahr ausgesetzt.

Durch eine frühzeitige Warnung hätte der Abschuss von MH17 verhindert werden können. 298 Menschen darunter vier Deutsche sind gestorben, da das Auswärtige Amt nichts tat, um so zu warnen.

CORRECTIV will wissen, warum diese Warnung ausblieb. Deshalb holen wir uns heute Antworten. Kommt mit uns zum Auswärtigen Amt, um 21.30 Uhr. Folgt uns auf Twitter unter @correctiv_org für den genauen Treffpunkt.

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