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Frauen fallen durchs Netz

Frauen spielen beim Thema Drogen kaum eine Rolle, machen nur zehn bis 20 Prozent der Klienten aus. Haben Frauen kein Suchtproblem? Fünf Fragen an die Geschäftsführerin der Frauensuchthilfe Bella Donna in Essen, Martina Tödte.

von Karen Grass

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CORRECT!V: Frau Tödte, Frauen fallen weit seltener mit Drogenproblemen auf als Männer – sind spezialisierte Angebote für Frauen wie Bella Donna überflüssig?

Martina Tödte: Der Schein trügt. Das Problem ist, dass viele Frauen die gewöhnlichen Angebote der Suchthilfe nicht in Anspruch nehmen, weil dort nicht auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird. Frauen geraten häufig durch Gewalt von Männern in den Drogenkonsum, bei uns haben 90 Prozent der Klientinnen Gewalt in ihrer Kindheit oder sexuelle Gewalt durch Männer erlebt. Um diese Erfahrungen ertragen oder verdrängen zu können, greifen sie etwa zu Alkohol, Cannabis und Medikamenten. Am Ende landen viele dann bei Heroin – weil es am effektivsten jegliche Empfindung und somit auch den Psychostress auslöscht. So kommen sie in die Abhängigkeit. Diese Frauen sind traumatisiert und haben kein normales Verhältnis mehr zu Männern. Deshalb ist es kein Wunder, dass sie nicht zu gewöhnlichen Anlaufstellen kommen, wo Männer teils auch noch im Rauschzustand auflaufen. Aber die meisten Suchthilfe- und Beratungsstellen haben kein geschlechterspezifisches Angebot, das sie alternativ nutzen könnten. Deshalb fallen diese Frauen durch das Versorgungsnetz, denn Stellen wie unsere gibt es bundesweit nur sehr selten.


Karen Grass ist Rudolf Augstein Datenfellow bei CORRECTIV. Ihre Arbeit wird möglich gemacht durch die Rudolf Augstein Stiftung. In einem Themenschwerpunkt veröffentlichen wir verschiedene Beiträge zur deutschen Drogenpolitik. Karen Grass hat dafür mehrere Monate lang in allen Bundesländern recherchiert und einen umfassenden Report zusammengestellt.


Gibt es über die Traumata durch Gewalt hinaus Punkte, bei denen sich süchtige Frauen von Männern unterscheiden?

Süchtige Frauen setzen komplett andere Prioritäten. Während es bei süchtigen Männern oft darum geht, nach der Sucht einen Job und wieder sinnvolle Hobbies zu finden, dreht sich bei vielen süchtigen Frauen alles um das Thema Familie. Das erscheint für Außenstehende geradezu absurd, wie passt das zusammen: Eine Drogenabhängige und Kinder? Doch einige Frauen reizt gerade diese Diskrepanz. Die Mutterrolle ist eine, die gesellschaftlich akzeptiert ist, Mütter übernehmen Verantwortung. Drogensüchtige sehnen sich nach der Wertschätzung, denn das ist etwas, das sie viele jahrelang nicht mehr spüren konnten. Dabei idealisieren sie natürlich das Familienleben total – als ob damit alle Probleme verschwinden würden.

Also gründen viele nach Ihrer Beratung hier eine Familie?

Wenn es gut läuft, treffen die Frauen mit unserer Hilfe eine bewusste Entscheidung und wir helfen ihnen dann auf dem Weg dorthin. Aber es läuft nicht immer so optimal. Manchmal kommen Frauen zu uns, die schon im siebten, achten Monat schwanger sind und das lange ignoriert haben. Teils sind das Leute, die seit einiger Zeit clean sind oder eine Ersatzbehandlung mit Diamorphin oder Methadon angefangen haben. In den ersten Monaten halten manche Frauen die Schwangerschaftssymptome deshalb für Entzugserscheinungen. Wenn es dann deutlicher wird, dass es eine Schwangerschaft ist, gehen viele dieser Frauen immer noch nicht zum Arzt – aus Scham, dass sie als Junkie oder Substituierte ein Kind bekommen und weil sie glauben, dass sie keine Hilfe verdient haben. Wenn die Frauen in diesem späten Stadium bei uns aufschlagen, wird es sehr stressig. Dann muss man teils in vier Wochen das regeln, was sonst in vier Monaten organisiert wird.

Es gibt immer mehr Kritik, dass für Angebote wie Bella Donna zu wenig Ressourcen gibt, während die Strafverfolgung in der deutschen Drogenpolitik eine zu große Rolle spielt. Sehen Sie das als Problem?

Ja. Ich habe oft den Eindruck, dass vor allem in konservativ regierten Ländern die Repression sehr stark ist. Unter der schwarz-gelben Landesregierung bis 2012 wurden massenhaft Frauengesundheitsangebote gestrichen, auch unsere Landeskoordinierungsstelle Frauen und Sucht bei Bella Donna. Mit der sensibilisieren wir andere Suchthelfer für frauenspezifische Angebote und bilden sie dafür aus. Erst Rot-Grün hat das ab 2012 wieder aufgebaut, diese Regierung ist noch eher sozialen Angeboten verbunden. Und dennoch ist die Lage katastrophal, weil vor allem die Kommunen die Lasten tragen müssen, obwohl sie so klamm sind. Da wird zuerst bei Fortbildung von Fachkräften im Suchtbereich gespart, auch zu den genderspezifischen Angeboten, die wir als Koordinierungsstelle anbieten. Dabei wäre es sehr wichtig, dass mehr Suchtstellen solche Angebote mit unserer Beratung aufbauen, aber die Leute werden eben nicht mehr freigestellt oder bekommen die Fahrtkosten nicht bezahlt. An Frauen und Kinder wird in der deutschen Drogenpolitik eben noch zu wenig gedacht.