In eigener Sache

Faktencheck: Werden Parlamente bei TTIP ausgeschaltet?

Ist das Freihandelsabkommen eine Chance oder eine Gefahr für die Demokratie? Letzteres behauptet Thilo Bode von foodwatch. Wir haben die Aussage überprüft

von Justus von Daniels

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Thilo Bode, Chef von foodwatch und Autor des Bestsellers „TTIP — Die Freihandelslüge“ behauptete im hitzigen Verlauf des CORRECTIV-Streitgespräches folgendes:

Nach Plänen der EU-Kommission wird das EU-Parlament bald von der Schaffung neuer Handelsregeln ausgeschlossen werden. (…) Das EU-Parlament muss künftig nur noch informiert werden, wenn die EU-Kommission mit ihren Handelspartnern die Handelsabkommen weiter entwickelt. (…) Dann sind Parlamente nicht mehr an wichtigen Entscheidungen beteiligt. (…) Das Abkommen selbst (TTIP, die Red.) muss zwar von den Parlamenten abgesegnet werden, aber alle Entscheidungen, die daraus folgen, liegen dann in der Hand von einigen Beamten.

Thilo Bode sagte, aus dem Entwurf für das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) gehe hervor, dass spezielle Gremien bindend Gesetze erlassen können in den Bereichen, die in den Handelsabkommen festgelegt werden. Ähnliches würde für TTIP gelten.

Stormy Mildner vom Bund der Deutschen Industrie (BDI) verteidigte bei unserem Streitgespräch die geplanten Freihandelsabkommen. Sie ist dort für die Wirtschaftsbeziehungen mit den USA zuständig. Bei TTIP gehe es vor allem darum, dass Standards, die gleichwertig sind, gegenseitig leichter anerkannt werden können. Mildner sieht keine Gefahr für die Demokratie. „Was die EU bisher an Plänen veröffentlicht, deutet nicht darauf hin, dass die Parlamente geschwächt werden“, sagte sie.

Foto vom Publikum des Streitgesprächs

Bode vertrat die Auffassung, dass die neuen Handelsabkommen die Demokratie aushöhlen. Er warnte vor den EU-Plänen, dass dort Gremien eingerichtet werden, die die Regeln der Verträge nach Abschluss weiter entwickeln sollen. „Dann sind Parlamente nicht mehr an wichtigen Entscheidungen beteiligt“, sagte er.

Bisher weist die EU ausdrücklich darauf hin, dass die Rechte der Parlamente nicht berührt werden. Sie plant, mit den USA einen gemeinsamen Rat zu bilden, der Vorschläge machen soll, in welchen Bereichen in Zukunft gemeinsam Gesetze entwickelt werden könnten. Dieser Rat solle aber keine Entscheidungen treffen dürfen.

Bode bezog sich bei seiner Aussage nicht direkt auf die TTIP-Pläne, sondern auf den CETA-Entwurf. „Wenn CETA Vorbild für TTIP werden soll, könnten auch dort ein paar Beamte über die Absenkung von Pestizidwerten entscheiden, ohne dass das EU-Parlament einbezogen wird.“

Stimmt das? BDI-Frau Mildner bestritt dies. CORRECTIV hat nach dem Streitgespräch die Behauptungen überprüft:

EU-Kommission: Ja, aber

Auf eine Anfrage von CORRECTIV teilte ein Sprecher der EU-Kommission mit, dass nach dem CETA-Vertrag Gremien eingerichtet werden sollen, die Regeln erlassen dürfen in den Bereichen, die im Vertrag stehen. Laut der Kommission gehe es aber nur darum, die Inhalte des Vertrages umzusetzen. „Diese Beschlüsse sind in den einzelnen Ländern gültig, ohne dass die Parlamente einbezogen werden müssen“, bestätigte der Kommissionssprecher.

Vertrag zu vage

Nach Einschätzung des Völkerrechtlers Peter-Tobias Stoll von der Universität Göttingen könnten diese Gremien wichtige Entscheidungen treffen, da die Verträge von Pestizidwerten über Finanzprodukte bis zur Anwendung von rechtlichen Verfahren sensible Bereiche umfassen. „In den Gremien können die Amerikaner und die EU-Vertreter zusammen verbindliche Beschlüsse fassen“, sagte er. Nach EU-Regeln bestimme allein der Ministerrat der EU die Marschroute für die EU-Vertreter. Ob solche Beschlüsse noch vom Parlament abgesegnet werden müssen, ist im CETA-Vertrag nicht eindeutig geregelt. „Allgemein steht dem europäischen Parlament nach Zustimmung zu dem Gesamtvertrag nur noch ein Informationsrecht zu.“ Zu Recht fordere das EU-Parlament nun eine Vereinbarung über seine künftige Beteiligung, wie es sie in anderen Fällen gäbe.

Verstoß gegen die Verfassung

Auch der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano von der Universität Bremen bestätigt, dass die Gremien Regeln ändern können. „Wenn sie allerdings wichtige Bereiche betreffen, muss das Parlament einbezogen werden, sonst würde es gegen Europarecht und das Grundgesetz verstoßen“, sagt er. Um sicherzugehen, dass CETA nicht unions- und verfassungswidrig ist, müßte die EU einen Weg finden, dass diese Gremien keine erheblichen Entscheidungen treffen könnten, ohne die Parlamente zu beteiligen.

Fazit des Faktenchecks: Thilo Bode hat bedingt recht — allerdings nur für die Bereiche, die von TTIP direkt betroffen sind. Seine Warnung gilt nicht für andere Regeln im Freihandel, die nicht von TTIP abgedeckt werden. Zudem steckt in seiner Warnung viel Spekulation. Nach dem CETA-Entwurf könnten Entscheidungen ohne das Parlament getroffen werden. Es kommt aber darauf an, wie die Verträge überhaupt gestaltet und angewendet werden und ob die EU neue Regeln für TTIP entwickelt, um das Parlament im Vorfeld zu beteiligen. Ansonsten könnten die Handelsabkommen gegen das Grundgesetz und EU-Recht verstoßen. Zudem sind die endgültigen Regelungen im Fall von TTIP noch nicht klar.