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Verfassungsschutz hilft Neonazi

In der vergangenen Woche hat der NSU-Sonderermittler des Bundestages, Jerzy Montag, den Deutschen Verfassungsschutz scharf kritisiert. Geheimdienstler hätten einen V-Mann aus der rechtsextremen Szene vor Strafverfolgung durch das Bundeskriminalamt geschützt und selbst dabei geholfen, Beweismittel zu vernichten. Bislang hatte der Verfassungsschutz das Gegenteil behauptet. Das besondere dabei: Der V-Mann ist heute tot – und hatte zu Lebzeiten Kontakt zu den Rechtsterroristen des NSU.

von David Schraven

Am 4. November legte Sonderermittler Jerzy Montag seinen Bericht zum Tod von V-Mann "Corelli" vor.© David Schraven

Früher war Jerzy Montag Bundestagsabgeordneter der Grünen und deren rechtspolitischer Sprecher. Er kennt sich aus mit Geheimdiensten und mit Ermittlungen. Deswegen hat ihn das Parlamentarische Kontrollgremium als Sonderermittler eingesetzt, um die Todesursache des V-Mannes mit dem Decknamen „Corelli“ zu untersuchen. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist für die Überwachung der Geheimdienste zuständig.

Jerzy Montag sollte untersuchen, ob „Corelli“ Kontakt zum NSU hatte und dem Verfassungsschutz Hinweise lieferte, die zur Aufdeckung der Rechtsterroristen hätten führen können, wenn diesen nachgegangen worden wäre. „Corelli“ starb vor einer intensiven Befragung durch den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Der Abschlussbericht, den Jerzy Montag vergangene Woche vorlegte, ist geheim.

Nur eine kleine Kurzfassung des Berichts ist derzeit zugänglich. In diesem beschreibt Jerzy Montag detailliert, wie tief „Corelli“ im rechten Sumpf steckte, europaweit, wie er Teil der Szene wurde und diese mit steuerte. „Corelli“ hatte früh Kontakt zu Uwe Mundlos, einem der NSU-Mörder – auch wenn es keine Nachweise für „längerfristige Kontakte“ gab, wie Montag schreibt. Dafür konnte Montag nachweisen, dass „Corelli“ schon 2005 Daten zum NSU auf einer CD an den Verfassungsschutz lieferte und dass dort die Hinweise in einer Ablage vergammelten. Das Bundsamt für Verfassungsschutz (BfV) habe damit „grob regelwidrig“ gehandelt.

Verfassungsschutz behindert Ermittlungen

Doch ein anderes Details aus dem Bericht schockiert nachhaltiger: „Corelli“ galt im BfV als Top-Quelle. Als jemand, der unter allen Umständen geschützt werden musste, um ihm mehr Informationen zu entlocken. Dabei drückten die Verfassungsschützer immer wieder Augen zu. Und zwar so fest, dass kaum noch zu erkennen ist, wer für wen arbeitete. „Corelli“ für das Bundesamt für Verfassungschutz – oder der Gemeindienst für den Rechtsradikalen. Auf jeden Fall bekam „Corelli“ Geld und Ausrüstung vom Verfassungsschutz und lieferte dafür kaum Hinweise zu gewalttätigen Aktionen der rechtsradikalen Szene – dafür aber jede Menge Nazi-Musik.

Und sein V-Mann-Führer tat noch mehr: er setzte sich für „Corelli“ ein. Nach Ansicht von Jerzy Montag hatte der V-Mann-Führer große Teile seiner „Kritikfähigkeit“ verloren. Was das konkret bedeutet, ist „aktenmäßig dokumentiert“:

1995, in dem Jahr, in dem „Corelli“ Kontakt mit Mundlos hatte, meldete sich der damalige V-Mann-Führer von „Corelli“ beim Bundeskriminalamt (BKA). Dort liefen derzeit Ermittlungen gegen den Rechtsradikalen. Der V-Mann-Führer forderte, dass die Beamten des BKA ihn informieren sollten, bevor sie Razzien bei „Corelli“ planen. In einem Telefonat legte das BKA daraufhin dem Verfassungsschutz nahe, dass „Corelli“ sein Haus vor einer Durchsuchung säubert und sich bei einer Vernehmung nicht einlässt. Bei der Staatsanwaltschaft drängte der V-Mann-Führer sogar auf die Einstellung des Verfahrens. Und die Staatsanwaltschaft sagte, sie sei einverstanden, die Ermittlungsakten mindestens ein halbes Jahr an die Seite zu legen.

Das Gesamte zusammengefasst: Der Verfassungsschutz behinderte Ermittlungen des BKA und sabotierte die Arbeit der Staatsanwaltschaft.

Der Verfassungsschutz hat solche Vorgänge – direkte Eingriffe in Strafverfahren gegen „Corelli“ – immer bestritten. Ein späterer V-Mann-Führer von „Corelli“ behauptete als Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuss sogar, es habe keine Einflussnahme gegenüber der Polizei oder Staatsanwaltschaft gegeben.

Tatsächlich wahr ist wohl eher das Gegenteil: Als das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt in einem weiteren Verfahren gegen  „Corelli“ ermittelte, lies der V-Mann-Führer Beweismittel verschwinden. Das schreibt Sonderermittler Jerzy Montag in seinem Bericht. In drei Fällen löschte der V-Mann-Führer selbst Daten, die zu weiteren Ermittlungen hätten führen können.

Es ging nur um kleinere Fälle. Verfassungsfeindliche Symbole. Aber sie zeigen, welchen Weg der Verfassungsschutz eingeschlagen hatte.

Der Verfassungsschutz hatte sich mit seiner Quelle verbrüdert. Wie Kumpane waren sie miteinander verschmolzen. Zwei V-Mann-Führer hielten ihre Hand schützend über „Corelli“.

Verbindungen zum Ku-Klux-Klan

Dafür lies sich „Corelli“ auch mit dem Ku-Klux-Klan ein, der in Baden-Württemberg eine Zweigstelle unterhielt, die „European White Knights of the Ku-Klux-Klan“. Unter den Brüdern mehrere Polizisten, als Klanmitglieder oder Sympathisanten. Einer der Klanmänner war in Heilbron Guppenführer von Michele Kiesewetter an dem Tag, den dem sie getötet wurde.

„Corelli“ fuhr für den Klan in die USA, um dort Hintermänner zu treffen. Reisekosten erstattete der Verfassungsschutz.

Ein Mann soll verschwinden

Nach dem Tod „Corellis“ im April 2014 trafen sich zwei Mitarbeiter des BfV, darunter die Abteilungsleiterin der Abteilung 2 des BfV, mit drei Mitgliedern einer Mordkommission und einem Staatsanwalt zu einer Besprechung im Polizeipräsidium Bielefeld.

Die Gruppe verabredete auf Wunsch des BfV, „Corelli“ unter falschen Namen auf einem Friedhof zu bestatten – die Geschwister sollten nicht informiert, „Corellis“ Eigentum der Kommune übergeben werden. Alle Daten auf „Corellis“ Rechnern und Telefonen sollten gelöscht, alle Papiere dem BfV übergeben werden. Einige Kopien der Festplatten sollten bei der Staatsanwaltschaft verbleiben.

„Corelli“ sollte verschwinden, so als habe es ihn nie gegeben.

Erst als die Presse von „Corellis“ Tod erfuhr, wurde der Plan fallengelassen. Die Staatsanwaltschaft ordnete an, den Mann unter seinem tatsächlichen Namen zu beerdigen.

Vor dem Innenausschuss des Bundestages sagte die Abteilungsleiterin der Abteilung 2 des BfV später, es habe nie den Plan gegeben, „Corelli“ verschwinden zu lassen.

Keine Einzelfälle

Immer wieder fallen Mitglieder des Verfassungsschutzes auf, wie sie Neonazis aus dem Terrorumfeld unterstützen. In Dortmund halfen bislang unbekannte Verfassungsschützer einem Mann mit Verbindungen in die Combat 18 und Blood and Honour Netzwerke, zu denen auch die NSU-Mörder gehörten, eine Waffe verschwinden zu lassen, nachdem dieser einen Migranten in einem Dortmunder Discounter niedergeschossen hatte. Die Polizei war dem C-18-Mann auf den Fersen. Der damals verantwortliche Innenminister in NRW untersagte später Ermittlungen gegen den Verfassungsschützer.

Beim NSU-Mord in Kassel saß ein Verfassungsschützer mit im Telefon-Kiosk, in dem das Opfer erschossen wurde.

Der Verfassungsschutz selbst untergräbt das Vertrauen in den Staat.

„Corelli“ wurde am 7. April 2014 tot in seiner Wohnung aufgefunden.

Er starb nach Ansicht von Jerzy Montag an einer natürlichen Ursache.


Mehr zum Thema in unserer grafischen Reportage: WEISSE WÖLFE