Auskunftsrechte

Schweige-Geld

Nach CORRECTIV-Recherchen haben Behörden in den vergangenen Jahren mehr als 700.000 Euro für Prozesse ausgegeben, um Bürgern Informationen zu verweigern. Über 600.000 Euro davon gingen an Anwälte. Eine Kanzlei hat besonders gut verdient: Redeker Sellner Dahs. Wir fragen uns, ob die hohen Ausgaben überhaupt nötig waren.

von Tania Röttger

© Ivo Mayr

Manchmal wollen Behörden mit verdeckten Karten spielen. Dann lehnen sie Anfragen von Bürgern oder Journalisten ab, nach dem Informationsfreiheitsgesetz oder dem Presserecht. Sie wollen Akten nicht herausgeben oder Fragen nicht beantworten. Nicht immer nehmen Bürger oder Journalisten dieses Schweigen hin – sondern klagen vor Gericht auf Auskunft.

Ihnen leuchten die Gründe für die Ablehnung nicht ein, oder sie glauben, die Behörden haben in ihrem Fall nicht richtig über den Informationsantrag entschieden. In der ersten Instanz ist eine Klage auch einfach umzusetzen. Hier braucht niemand einen Anwalt, das ist erst ab dem Oberverwaltungsgericht nötig. Behörden können sich aber auch vor den höheren Instanzen selbst verteidigen. Trotzdem setzen die Beamten wiederholt auf Anwälte. Und das kostet Steuergeld.

In einem Fall wollte beispielsweise CORRECTIV-Reporter Daniel Drepper wissen, wie viele Medaillen die deutschen Sportler bei den Olympischen Spielen 2012 in London holen sollten. Welche Vorgaben hatten die einzelnen Sportverbände bekommen? Das Innenministerium des Bundes verweigerte die Antwort und beauftragte die Kanzlei Redeker Sellner Dahs. Das Ministerium verlor. Nach eigenen Angaben beliefen sich die Anwaltskosten allein in diesem Fall auf 11.840,50 Euro.

Ein Journalist der „Welt“ wollte vom Bundestag, dass die Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes öffentlich gemacht werden. Die Behörde beauftragte auch hier die Kanzlei Redeker Sellner Dahs, und bezahlte nach eigenen Angaben 49.029,05 Euro. Erneut vergeblich.

CORRECTIV fragte beim Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen an, welche Mängel in den Finanzen der Fraktionen und des WDR gefunden wurden. Auch dieser Fall musste vor ein Gericht gebracht werden. Der Landesrechnungshof beauftragte die Kanzlei Redeker Sellner Dahs und zahlte den Anwälten bisher 36.006,88 Euro. In der ersten Instanz hat CORRECTIV gewonnen, eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster steht noch aus.

Die Anfrage

Eine fast paradoxe Situation: Bürger bezahlen die Verwaltung mit ihren Steuern. Die setzt das Geld dann gegen Bürger ein, um ihnen Informationen zu verweigern. Wir wollten deshalb wissen, wie viel Geld die Beamten ausgeben, um Informationen unter Verschluss zu halten. Dazu schickten wir in den vergangenen Monaten folgende Fragen an alle 15 Bundesministerien, den Bundestag, den Bundesrat und das Bundeskanzleramt sowie an die Staatskanzleien der 16 Bundesländer.

Wie viel Geld haben die Ämter zur Abwehr der Auskunftsklagen von Bürgern und Journalisten ausgegeben? Wie viel Geld haben sie an Anwälte und Kanzleien gezahlt? Und welche Kanzleien haben das Geld bekommen?

Einige Bundesländer haben nicht oder nur ausweichend auf unsere Anfrage geantwortet. In Baden-Württemberg zum Beispiel hieß es: „Auf Grundlage der vorhandenen Informationen kann die Anfrage nicht beantwortet werden. Da aber ganz grundsätzlich Gerichtskosten nicht unter einem separaten Titel gebucht werden, wäre es wahrscheinlich, dass auch bei Übermittlung der fehlenden Informationen der Rechercheaufwand zur Beantwortung der Anfrage unverhältnismäßig hoch wäre.“ Kurz: Baden-Württemberg sagt nichts. Andere Behörden, wie etwa in Bremen, wichen aus. Sie schrieben zunächst, eine Recherche im eigenen Haus sei zu aufwändig. Erst auf Nachfragen gab Bremens Senatskanzlei zu, das Kosten von mehr als 10.000 Euro angefallen seien.

Das Hinhalten und Verzögern hat die Recherche erschwert. Aber schließlich konnten wir nachweisen, dass alle Landes- und Bundesbehörden in Deutschland zwischen 2007 und 2015 mindestens 706.621,73 Euro für Prozess- und Gerichtskosten ausgegeben haben.

Die tatsächliche Summe liegt weit darüber. Über etliche Verfahren haben wir keine Auskunft bekommen, etwa gegen nachgeordnete Behörden. Diese werden nicht zentral erfasst. Gerade in den Bundesländern sind die Dunkelziffern hoch. Hier werden viele Verfahren gegen kommunale Behörden und Landesanstalten geführt.

Nach unseren Recherchen haben Behörden von den mehr als 700.000 Euro nur knapp 80.000 Euro für die Erstattung der Kosten gegnerischer Anwälte und der Gerichte ausgegeben. Mehr als 620.000 Euro zahlten die Beamten an eigene Anwälte. Alleine das Bundesministerium für Umwelt hat mehr als 120.000 Euro an verschiedene Kanzleien gezahlt. Das Bundeswirtschaftsministerium gab mehr als 90.000 Euro für Anwälte aus, und der Bundestag fast 100.000 Euro. Bei den Bundesländern war Sachsen führend. Das Land gab mehr als 80.000 Euro aus, um Informationen nicht offen legen zu müssen.  

Kein großer Unterschied zwischen Gewinnen und Verlieren

Die Zahlen sagen wenig darüber aus, ob eine Behörde vor Gericht gewonnen oder verloren hat – oder ob die Richter beiden Seiten teilweise Recht gaben.

Die Sprecherin eines Ministeriums sagt: „Es macht wenig Unterschied, ob wir gewinnen oder verlieren.“ Für die Kosten der Behörden ist der Ausgang eines Verfahren nämlich relativ unerheblich. Denn die Anwälte der Behörden rechnen häufig sehr hohe Stundensätze ab. Diese liegen weit über den Stundensätzen, die bei einem gewonnenen Verfahren von den klagenden Bürger ersetzt werden müssen.    

Die Kanzlei der Wahl

In den Antworten der Behörden taucht eine Kanzlei besonders häufig auf. Die Sozietät Redeker Sellner Dahs, mit Büros in Berlin, Bonn, Leipzig, München, Brüssel und London. Sie erhielt unseren Recherchen zufolge mindestens 360.000 Euro. Aufträge kamen von Ländern, Bundesministerien und nachgeordneten Behörden.

Zahlungen der Behörden an Redeker Sellner Dahs NEU

Daneben beauftragen Behörden häufig Anwälte mit speziellen Fachgebieten. Das Bundesumweltministerium wählte zum Beispiel Heinemann & Partner, die sich viel mit Wasserrecht, Bodenrecht und Abfallwirtschaftsrecht beschäftigen. Das Energie- und Wirtschaftsministerium des Bundes engagierte Anwälte der Kanzlei White and Case LLP, die sich auf alle Variationen von Wirtschaftsrecht spezialisiert haben.

Eine der Spezialitäten von Redeker Sellner Dahs ist die Abwehr von fragenden Bürgern und Journalisten.

Der bekannteste Anwalt der Kanzlei heißt Gernot Lehr. Er vertritt Prominente, wenn sie Aussagen von Journalisten untersagen wollen. Etwa Papst Benedikt XVI, als dieser ein Titelbild des Satiremagazins Titanic verbieten lassen wollte. Oder den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff und dessen Ehefrau. Schon der frühere Präsident Johannes Rau griff auf Lehr zurück, um sich gegen Vorwürfe der Vorteilsnahme zu wehren. Hans Leyendecker bezeichnete Anwalt Lehr einmal als „Azubi der Macht“. Er erklärt sich dessen hochkarätige Mandate mit seiner Seriösität.

Die Kanzlei kennt sich auf beiden Seiten der Öffentlichkeit aus. Anwalt Lehr vertritt auch gelegentlich öffentlich-rechtlichen Sender, etwa als Zeitungs-Verlage gegen die Tagesschau-App klagten. Über andere Mandanten aus der Medienbranche will sich die Kanzlei nicht äußern.

Nicht immer ist die Kanzlei erfolgreich. Ab und an verlieren auch die teuren Anwälte von Redeker Sellner Dahs. Das haben CORRECTIV-Mitarbeiter selbst erfahren, die bereits in mehreren Fällen mit ihnen zu tun hatten. Zum Beispiel in einem Verfahren gegen den Landesrechnungshof in NRW. Dort urteilten die Richter, dass die Geldverschwendung von Fraktionen offengelegt werden muss – obwohl die Anwälte dies zuvor heftig bestritten. 

Wie notwendig sind die Anwälte?

Die Frage ist, ob die teuren Anwälte überhaupt nötig sind. Behörden können sich nämlich selbst vertreten. Selbst da, wo Anwaltszwang herrscht, etwa vor Oberverwaltungsgerichten oder dem Bundesverwaltungsgericht. Sie brauchen nur Mitarbeiter, die eine „Befähigung zum Richteramt“ haben. Das heißt, die Mitarbeiter müssen Volljuristen sein, also ihr zweites Staatsexamen abgeschlossen haben. Im Bundesjustizministerium haben zur Zeit 292 Angestellte diese Qualifikation. Im Bundesumweltministerium 107.

Auch bei der Banken- und Finanzaufsicht arbeiten Volljuristen. Entsprechend knapp fällt die Antwort der Bafin auf unsere Anfrage aus: „Die Bafin lässt sich bei Gerichtsverfahren nicht durch Anwälte vertreten. Mithin entstehen ihr dadurch auch keine Kosten.“ Das gilt auch für ein Verfahren, bei dem die Bafin vor das Bundesverwaltungsgericht gebracht wurde. 

Warum setzen nicht alle Behörden eigene Juristen ein? Wir schickten eine Anfrage an die Ämter, die am meisten Geld für Anwälte ausgaben. Alle gaben an, zu prüfen, ob eigene Mitarbeiter vor Gericht ziehen können. Eine Sprecherin vom Bundestag schrieb zum Beispiel: „Ein Anwalt wird nur beauftragt, wenn dies für notwendig erachtet wird.“ Und ein Sprecher vom Landesrechnungshof NRW antwortete: „(…) wenn unter Würdigung der Umstände im jeweiligen Einzelfall eine Eigenvertretung durch Beschäftigte mit der Befähigung zum Richteramt nicht in Betracht kam“, würden externe Anwälte beschäftigt.

Nur wenn eine Eigenvertretung nicht in Betracht kommt? Im Fall einer Anfrage von CORRECTIV an den Landesrechnungshof NRW wurde etwa für die Beantwortung einer Email die Kanzlei Redeker Sellner Dahs beauftragt. Die Kosten für die Email lagen laut Rechnungshof „im mittleren dreistelligen Bereich“. Es ging um die Frage, ob die Behörde Luxuswaren beschafft hatte, was glaubhaft verneint wurde.

Der Bundesrechnungshof verfasste schon im Jahr 2007 einen Bericht, in dem er anregte, verstärkt eigene Mitarbeiter einzusetzen. Zu oft würden externe Berater mit „Kernaufgaben einer verantwortlich handelnden Verwaltung“ beauftragt. Der Bundesrechnungshof schreibt: „Die Verwaltung muss zunächst prüfen, ob sie die Leistung selbst erbringen kann, bevor sie die Auftragsvergabe an externe Kräfte in Betracht zieht.“

Der Bundesrechnungshof erklärt, dass Externe dann notwendig werden, wenn „keine verwaltungseigenen Erkenntnisse vorliegen oder aufgebaut werden können“. Es solle nicht einfach um „bessere Durchsetzbarkeit“ gehen. Das bedeutet, dass eine Behörde zuerst auf eigene Ressourcen zurückgreifen soll – gerade dann, wenn sie immer wieder mit einer Frage konfrontiert wird.

Für die Auskunftsrechte sollte diese Forderung gelten. Denn mittlerweile verlangen Bürger und Journalisten regelmäßig Auskunft von Behörden. Daher sollten die Beamten selbst wissen, was sie frei geben müssen und was nicht.

Allenfalls für Spezialthemen kann der Einsatz von externen Anwälten sinnvoll sein. So beauftragte zum Beispiel das Justizministerium „wegen der grundsätzlichen Bedeutung“ einen Hochschullehrer. Der Experte für Urheberrecht vertrat das Ministerium in drei Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und bekam dafür eine Pauschale von 27.500 Euro. Das liegt im Mittelfeld der Ausgaben für Anwälte.

Einen weiteren Grund für den Einsatz von Anwälten nennt eine Sprecherin des Bundestags: Das behördeninterne Justitiariat soll nicht überlastet werden. Sonst müssten mehr Mitarbeiter eingestellt werden: „Durch Anwaltsbeauftragungen kann schließlich vermieden werden, dass die personelle Ausstattung des Justitiariats an eine maximale Belastungssituation angepasst werden muss.“

Welche Folge hat die Nutzung von Anwälten?

Der Einsatz von Anwälten ist aber riskant. Zum Einen steigt durch die privaten Verteidiger das Kostenrisiko für Bürger und Journalisten, die an ihrem Recht festhalten wollen. Denn wenn sie verlieren, müssen sie die gegnerischen Anwälte bis zu einer gewissen Grenze bezahlen. Zum Anderen sind aber die Anwälte auch für die Behörden teuer. Ihre Honorare liegen häufig über den Kosten, die im Fall eines Sieges von den Unterlegenen erstattet werden müssen.

Nach eigenen Angaben verlangen Kanzleien bei öffentlichen Aufträgen zwischen 250 und 300 Euro pro Stunde. Erstattet werden allerdings keine Stundensätze – sondern nur Kosten bezogen auf einen Streitwert. Das bedeutet: Im Fall einer normalen Auskunftsklage vor dem Verwaltungsgericht mit einem Streitwert von 5000 Euro werden rund 900 Euro für den gegnerischen Anwalt erstattet. Ein privater Anwalt aus einer normalen Kanzlei würde für diese Summe knapp vier Stunden arbeiten. Ein Rechtsstreit dauert wesentlich länger. Die Differenz zwischen dem erstatteten Betrag und den tatsächlich in Rechnung gestellten Stunden bezahlt der Auftraggeber. In diesem Fall der Staat.

Damit ist ein Ergebnis von solchen Rechtsstreitigkeiten fast immer: Bürger zahlen für die externen Anwälte – ob sie das Verfahren verlieren oder gewinnen. Entweder direkt aus eigener Tasche oder über ihre Steuern.  

 

Mehr zu den Daten hinter dieser Recherche veröffentlichen wir hier in Kürze.