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Blindflug im Kampf gegen Rocker

Die Bekämpfung der Rockerkriminalität hat für das Innenministerium NRW angeblich Priorität. Leider werden die Straftaten der Rocker nicht ausreichend erfasst, was die Verfolgung der Banden nicht leichter macht.

von Stefan Laurin

© Hells Angels Vereinsheim von Travis unter Lizenz CC BY-NC 2.0

Der Kampf gegen Rockerbanden liegt dem Innenministerium in NRW am Herzen. So heißt es immer wieder. Innenminister Ralf Jäger (SPD) sagt, dieser Kampf sei einer der Schwerpunkte der polizeilichen Arbeit. Das Problem: Das Innenministerium erfasst nicht systematisch die Straftaten der Rockerbanden. Die Behörde weiß somit überhaupt nicht, ob Maßnahmen gegen Bandidos, Hells Angels oder Mitglieder anderer Rockergruppen erfolgreich sind. Statt auf der Basis von Fakten steuert das Ministerium seine Bekämfungsstrategien offenbar aus dem Bauch heraus.

Von außen betrachtet scheint die Sache einfach: Rocker agieren kaum verdeckt. Sie tragen Kutten, etliche haben Tattoos, sie gehen gern in ihre Vereinsheime oder in Puffs. Das Innenministerium hat entsprechend die Zahl der Rocker grob gezählt: Insgesamt soll es rund 2070 aktive Mitglieder geben. Den stärkster Club stellen laut Ministerium die Bandidos mit 750 Mitgliedern in 20 Chaptern – so heißen die lokalen Niederlassungen der orange-roten Motorradfahrer. Mit großem Abstand folgt der Gremium MC, der 390 Mitglieder in 8 Chaptern haben soll. Die Hells Angels sollen angeblich 370 Mitglieder in 12 Chaptern verwalten, die Freeway Riders haben ebenfalls 370 Mitglieder in 28 Chaptern, die Outlaws noch 110 Mitglieder in 9 Chaptern. Auf dem letzten Platz liegen abgeschlagen die Rocker vom Brothers MC mit rund 80 Mitgliedern in 6 Chaptern.

Innenminister Ralf Jäger will gegen diese Banden vorgehen. Er versuchte es zunächst mit einem Kuttenverbot. Die Rocker sollten nicht mehr ihre Uniformen anziehen dürfen. Das scheiterte aber im vergangenen Jahr vor dem Bundesgerichtshof. Jetzt will Jäger mit einer Null-Toleranz-Strategie punkten: „Es ist wichtig, dass wir die ganze Palette der Gesetze ausschöpfen und alle Aktivitäten der Rockerbanden unter die Lupe nehmen.“ Selbst kleinste Verstöße sollen geahndet werden, heißt es.

Und genau hier fängt das Problem an: Das Innenministerium weiß überhaupt nicht, wie kriminell die Rockerbanden tatsächlich sind. Es fehlen schlicht die Zahlen. Auf Anfrage teilt die Landesregierung mit, Rocker seien „Bestandteil der Organisierten Kriminalität und bedienen damit die typischen Deliktsfelder wie das Begehen von Rohheits- und Gewaltdelikten sowie von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz.“ Ebenso würden sich die Rocker im „Rotlichtmilieu“ bewegen. Dort seien sie in Bereichen wie Zwangsprostitution, illegalem Menschenhandel, sexueller Ausbeutung sowie Erpressung aktiv.

Aber welche Straftaten die Rocker genau begehen und wie viele es sind, weiß das Innenministerium nicht. Es schreibt auf eine schriftliche Anfrage hin: „In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) findet keine gesonderte Auswertung nach Mitgliedschaft in bzw. Zugehörigkeit zu einer OMCG statt.“ OMCG steht hier für Rockerbande. Einzige Ausnahme seien Delikte, die Rockerbanden als ganze Organisationen begehen. Diese Übergriffe werden dann in der Statistik als Straftaten der Organisierten Kriminalität erfasst — im Jahr 2014 waren das insgesamt 19.

Neuere Zahlen gibt es nicht.

Das Problem ist offensichtlich. Nur selten wird ein ganzer Rockerclub einen Puff überfallen. Die Kriminalitäts-Probleme gehen von den einzelnen Mitgliedern der Banden aus. Nur wenn es gelingt, diese zu erfassen, kann man sehen, ob Maßnahmen der Null-Tolleranz gegen Rocker wirksam sind — sprich, ob die Deliktzahlen zurückgehen, wenn man beispielsweise Knöllchen an Rocker-Motorräder vor Bordellen verteilt.

Ohne eine vernünftige Auswertung kann das Innenministerium nur einen Showkampf gegen Kutten führen, aber keine wirksamen Maßnahmen gegen die Rockerkriminalität entwickeln. Weder können lokale Schwerpunkte festgestellt noch bekämpft werden. Statt auf Fakten muss sich die Polizei auf Gefühle verlassen.

Sinnvolle Konsequenz aus dieser Tatsache wäre eine Anpassung der Statistik an die Notwendigkeiten der Kriminalitätsbekämpfung.


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