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Peruanischer Bauer klagt wegen Klimaschäden gegen RWE

Der Vergleich David gegen Goliath liegt nahe, wenn ein peruanischer Kleinbauer gegen den zweitgrößten Energiekonzern in Deutschland vor Gericht zieht. Im Streit Lliuya./.RWE AG geht es allerdings um mehr, als nur die punktuelle Hilfe für ein kleines Dorf in den Anden. Die erste Klage dieser Art vor einem europäischen Gericht könnte zu einem Präzedenzfall und damit zum Schrecken der globalen CO2-Produzenten werden. Dabei steht viel auf dem Spiel – nicht nur für die Menschen in Peru.

von Bastian Schlange

© Saul Luciano Lliuya im Gespräch mit CORRECTIV.RUHR

Huaraz, eine kleine peruanische Stadt in den Anden, etwa 450 Kilometer nördlich von Lima. Vor 75 Jahren krachte Gletschereis in den höher gelegenen Palcacocha-See, brachte den Moränenwall Richtung Tal zum Bersten. Weite Teile von Huaraz wurden von den Fluten einer Schlammlawine zerstört, knapp 7000 Menschen starben.

Heute sieht sich Huaraz wieder bedroht. Wieder sind es die Wassermassen der idyllischen Bergseen. Die globale Erwärmung lässt das Eis der Anden schmelzen. Die Wasserstände der Gletscherseen schwellen bedrohlich an. „Die Menschen hier haben sich an die Gefahr gewöhnt“, sagt Saúl Luciano Lliuya. „Aber wenn wir nichts machen, dann sterben wir.“ Luciano Lliuya ist Kleinbauer und Bergführer und einer der 120.000 Menschen, die im Tal von Huaraz unter der drohenden Katastrophe leben. Er weiß, dass gehandelt werden muss.

David gegen den Energieriesen

Der dreifache Vater ist für sich und sein Dorf in den Kampf gezogen – „David gegen Goliath“ – und klagt gegen den deutschen Energieriesen RWE. Ein tollkühnes, eigentlich aussichtsloses Vorhaben: Luciano Lliuya will, dass der Essener Konzern, als der größte CO2-Produzent in Europa, die Kosten für künftige Schutzmaßnahmen in den Anden trägt – und zwar entsprechend seines Anteils am weltweiten CO2-Ausstoß.

Das Unternehmen ist, bezieht man sich wie der Kläger auf eine offizielle Untersuchung von 2014, für rund ein halbes Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, die weltweit seit Beginn der Industrialisierung durch menschliches Handeln freigesetzt worden sind. Das hieße im Falle einer Schadensbegrenzung 0,5 Prozent der anfallenden Kosten. Alternativ fordert Luciano Lliuya 17.000 Euro für die Schutzmaßnahmen der betroffenen Gemeinde oder wenigstens die 6300 Euro, die er für die Sicherung seines eigenen Hauses ausgegeben hat – für einen zweiter Stock, falls das Wasser kommt.

Jedes Jahr höhere Schäden

Die Forderungen klingen absurd, nach Peanuts, bedenkt man, dass RWE jährlich einen Umsatz von rund 50 Milliarden Euro verbucht. Doch dieses eine Zugeständnis könnte Dämme brechen lassen. Weltweit. Versicherer verzeichnen jährlich steigende Kosten für die Schäden des globalen Klimawandels, ihre exakte Erfassung ist allerdings schwierig. Folgt man dem Stern-Report, einem Bericht von Nicholas Stern, dem ehemaligen Weltbank-Chefökonomen und jetzigen Leiter des volkswirtschaftlichen Dienstes der britischen Regierung, könnten sich die Schäden auf 20 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts belaufen. Sterns Bericht ist von 2006. 2011 bezifferten amerikanische Versicherer die in den USA entstandenen Schäden durch Unwetter mit rund 75 Milliarden Dollar. Das war in etwa die Schadenssumme der drei vorangegangenen Jahre zusammengenommen.

RWE will diese Lawine von Klagen und Zahlungen mit dem ersten Stein verhindern. „Für das Begehren des Klägers gebe es keine Rechtsgrundlage“, heißt es in der Prozessvorbringung des Unternehmens. Der Energiekonzern stellt die grundsätzliche Bedrohung für Huaraz durch das Gletschereis in Frage. „Außerdem existiere keine lineare Ursachenkette vom CO2-Ausstoß bis zur behaupteten Flutgefahr.“ Und zu guter Letzt sei nichts an den CO2-Emissionen auszusetzen, weil RWE ja für Genehmigungen nach dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz bezahle.

Bereits in den 1990er Jahren hätten Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht eine Haftung einzelner Anlagenbetreiber für allgemeine Luftverunreinigungen verneint, sagt eine Sprecherin des Energiekonzerns. Der Klimawandel sei ein globales Problem, das auf staatlicher und internationaler Ebene gelöst werden müsse. Einzelnen Unternehmen die Verantwortung zuzuschieben sei falsch. 2013 wies so zum Beispiel der US Supreme Court eine Klage der Stadt Kivalina gegen ExxonMobil ab. Der Ölkonzern sollte zahlen, weil die Stadt ihn für den Anstieg des Meeresspiegels und drohende Flutschäden verantwortlich machte.

Zeit zu handeln

Das Leugnen jedoch wird schwieriger. Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich an allen Ecken der Weltkugel – aktuell deutlicher denn je: Die Meereisdecke in der Arktis ist gut eine Million Quadratkilometer kleiner als üblich zu dieser Jahreszeit – ein Negativrekord seit Beginn der Satellitenmessungen vor knapp 40 Jahren. Auf der anderen Seite taut das Meereis um die Antarktis ungewöhnlich stark ab. Auch Deutschland bekommt die damit verbundenen Folgen dieser Klimaerwärmung zu spüren: Seit Jahrzehnten steigen die Pegelstände an deutschen Küsten an. Es ist Zeit zu handeln. Wenn es nicht schon zu spät ist.

Luciano Lliuya ist für den Prozess gegen RWE extra nach Deutschland gereist. Den ersten Tag am Essener Landgericht bewertet er positiv. Er wurde angehört und ernst genommen. Am 15. Dezember wird das Gericht entscheiden, ob die Klage zugelassen wird. Das wäre ein großer Schritt für Luciano Lliuya und das kleine Dorf Huaraz. Aber auch für den Rest der Welt.

Wir haben mit Saul Luciano Lliuya und Noah Walker-Crawford von der Umweltorganisation Germanwatch am Abend nach der Anhörung gesprochen.