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AKP-Auftritt Oberhausen: Wahlkampf & Machtprobe

Der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım tritt am Samstag in Oberhausen vor Zehntausend Fans auf und wirbt vor der türkischen Gemeinde in Deutschland für Präsident Erdoğan und sein umstrittenes Präsidialsystem. Für die Regierungspartei AKP geht es aber auch darum, Macht zu demonstrieren. Ein Text von #ÖZGÜRÜZ und CORRECTIV.RUHR.

von Margherita Bettoni

Der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım© Correctiv.Ruhr/Özgürüz

Wer türkische Wähler auf seine Seite bringen will, muss in zwei Ländern zum Wahlkampf antreten. Deshalb wird am Samstag Ministerpräsident Binali Yıldırım in der König-Pilsner-Arena in Oberhausen für die Einführung des umstrittenen Präsidialsystems in der Türkei werben — und somit paradoxerweise für die Abschaffung seines eigenen Amtes. Dafür wird er mit dem Motto „Alle, deren Herz für ihr Land schlägt, sagen ja“ auftreten. Zu der Großveranstaltung werden rund 10.000 Menschen erwartet.

Auch sein Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat mit der deutsch-türkischen Community gute Erfahrungen gemacht. Ein Meer aus türkischen Flaggen, mehr als 15.000 jubelnde Menschen, empfingen ihn im Mai 2014, als dieser, damals noch Ministerpräsident, seinen Wahlkampf in Deutschland eröffnete. In der Kölner Lanxess-Arena hatte er damals versucht, Türkei-Stämmige für seine Kandidatur als Staatspräsident zu überzeugen. Mit kämpferischen Tönen hatte er sich bei den Auswanderern bedankt: Die ganze Türkei sei stolz auf ihre „Brüder und Schwestern“. Die Sehnsucht, die sie nach ihrer alten Heimat empfänden, würde auch die Einwohner der Türkei erfassen, wenn sie an die Auslandstürken dächten.

Warum Deutschland, warum ausgerechnet das Ruhrgebiet?

Bei dem Referendum für die Verfassungsänderung am 16. April 2017 dürfen auch die in Deutschland lebenden Türkeistämmigen wählen. Das sind mehr als 1,3 Millionen türkische Staatsbürger, davon 448.991 in Nordrhein-Westfalen (Stand: Dezember 2015). Diese werden laut Angaben des Chefs der Wahlkommission, Sadi Güven, bereits zwischen dem 27. März und dem 9. April für das Referendum bei den türkischen Konsulaten abstimmen können. Seit 2014 dürfen Wahlberechtigten in Deutschland wählen, ohne für die Wahl in die Türkei fahren zu müssen.

Die Regierungspartei AKP will mit Yıldırıms Auftritt möglichst viele Stimmen für die Einrichtung des Präsidialsystem sichern und hofft auf die Treue ihrer Anhänger in Deutschland: Bei den Parlamentswahlen in November 2015 etwa hatten knapp 60 Prozent der in Deutschland lebenden Wähler für die AKP gestimmt.

Dass türkische Ministerpräsidenten im Ruhrgebiet auftreten, ist kein Zufall. Die Wahl sei auf Oberhausen auch deswegen gefallen, schreibt die türkische Zeitung „Hürriyet“, weil die Stadt unweit der belgischen und niederländischen Grenze liegt. Das wiederum ermögliche türkischen Wahlberechtigten aus den Nachbarländern, die Veranstaltung mit Bussen leicht zu erreichen.

Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens in Deutschland

Bei Yıldırıms Auftritt in Oberhausen geht es allerdings für die AKP nicht nur um Stimmenfang, sondern auch darum, Macht zu zeigen. „Die AKP versucht, den zum Teil ausgegrenzten und diskriminierten Türkeistämmigen in Deutschland Halt und Heimatgefühl zu geben“, sagt Politikwissenschaftler Burak Çopur. Für den Türkei-Experten an der Universität Duisburg-Essen seien Auftritte von AKP-Politikern in Deutschland keine Zufälle, sondern Teil der Deutschland-Politik der Türkei: „Das Regime will zeigen, dass AKP-Anhänger jeder Zeit gegen die deutsche Politik mobilisiert werden können“. Damit trage es innertürkische Konflikte eins zu eins nach Deutschland und gefährde das friedliche Zusammenleben.

Hintergrund:

Erdogans Integrationsblocker (CORRECTIV.Ruhr)

Inquisitoren im Namen Erdogans (CORRECTIV.Ruhr)

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch die Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen: „Yıldırıms Propagandatour ist auch eine Machtdemonstration gegenüber der Bundesregierung und integrationsfeindlich für die in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger mit türkischem Pass“, sagt sie. Dağdelen fordert die Bundesregierung auf, den Auftritt zu verhindern: „Ein Einreiseverbot durch die Bundesregierung wäre das Mindeste, um Yildirims Werbefeldzug für die Diktatur hier zu unterbinden.“ Für Dağdelen gehöre Yıldırım in eine Zelle nach Den Haag: „Wer Andersdenkende verfolgt, Oppositionelle einsperrt und kritische Medien schließt, ist in Deutschland nicht willkommen“, sagt sie.

Auch die Grünen kritisieren den geplanten Auftritt von Yldırım. „Es hat schon einen sehr bitteren Beigeschmack, dass Binali Yıldırım sich hier von Tausenden Erdoğan-Anhängern feiern und bejubeln lässt, während die Opposition in der Türkei in den Gefängnissen schmort“, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir. Fairer Wahlkampf sehe anders aus. Kritik kommt auch aus den Reihen der SPD und FDP.

Gegendemos angekündigt

Die Bundesregierung dagegen gehe davon aus, dass die Beteiligten der Veranstaltung in Oberhausen sicherstellen werden, „dass dabei nicht innertürkische Konflikte in irgendeiner Weise hier auf deutschem Boden ausgetragen werden“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert bei der Bundespressekonferenz am vergangenen Mittwoch.

Für Samstag sind in Oberhausen bereits zwei Gegendemonstrationen angemeldet. Das bestätigte die Pressestelle der Polizei Oberhausen. Die Polizei gehe von einem friedlichen Verlauf aus, sei trotzdem auf alles vorbereitet.

Die Verfassungsreform verleiht Erdoğan noch mehr Macht

Kommt es im April beim Referendum zu einer Mehrheit für die Verfassungsreform, wird das parlamentarische System durch ein Präsidialsystem ersetzt. Erdoğan wäre dann zugleich Staats- und Regierungschef und könnte Kabinettsmitglieder ernennen und entlassen. Durch die Verfassungsreform würde der Präsident auch das Recht erhalten, das Parlament in Krisensituationen aufzulösen und Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen. Erdoğan würde auch die Justiz durch die Ernennung von zwölf der 15 Richter des Verfassungsgerichts und sechs der 13 Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte (HSYK) kontrollieren.

Die AKP argumentiert, dass eine starke Führung mehr Stabilität für das Land bringen wird. Das Risiko ist dagegen, dass eine autoritäre Staatsform die politischen und sozialen Konflikte der Türkei noch mehr zuspitzen könnte. Eines ist sicher: Gewinnt am 16. April das „Ja“, wird Erdoğan quasi zum Alleinherrscher der Türkei.