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Revierkämpfe in den Hunde-Städten

Immer mehr Hunde leben im Ruhrgebiet. Aber auch immer mehr Kinder. Die Zahl der Geburten ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Die Spiel- und Grünflächen in den Großstädten müssen häufig geteilt werden. Konflikte scheinen vorprogrammiert. Doch sind sie das wirklich?

von Mine Önder , Bastian Schlange

Häufig mehr Kindersatz als Haustier. Die Hunde im Revier.© Mine Önder/CORRECTIV.RUHR

Ein verfilzter Hund und eine verzweifelte Friseurin, die nicht weiß, wo sie anfangen soll. Dieses Schauspiel wiederholt sich mehrmals am Tag im Hundesalon von Sandra Uhl in Essen-Holsterhausen. Seit zwei Jahren empfängt die ehemalige Krankenschwester täglich fünf bis sechs Hunde zum Waschen, Schneiden, Föhnen. Heute hat Uhl Glück: Die kleine Yorkshire-Terrier-Dame Gina lässt geduldig das Schaumbad über sich ergehen. Der dezente Duft von feuchten Vierbeinern liegt in der Luft.

Hunde kacken. Die andere Seite der tierischen Medaille. Und damit wird das süße Schoßhündchen oftmals zum Ärgernis für viele Fußgänger. Das ist ein Gefühl. Ein Gefühl, das sich im Ruhrgebiet breit macht. Mehr Hunde, mehr Kot, mehr Konflikte. Doch was steckt dahinter?  

Wie viele Hunde leben derzeit in den Städten?

hunde im revier — anzahl tiere

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Die großen Städte im Ruhrgebiet haben auf unsere Anfrage bestätigt: Die Zahl der Hunde steigt. 5.000 Tiere sind zum Beispiel seit 2006 in Dortmund, Duisburg und Essen dazu gekommen. Im kleineren Hamm rund 3.000. Wirklich aussagekräftig werden diese Werte allerdings erst, wenn man die Zahl der Hunde auf die Einwohner umrechnet. In Essen kommen so auf 1.000 Anwohner 41 Vierbeiner. In Dortmund sind es 45, in Hamm 63 Hunde. In allen drei Städten ist dieses Verhältnis seit 2006 um etwa zehn Tiere gestiegen.

“Hunde bleiben treu und verlassen einen nicht“, sagt Uhl und verpasst der Terrierdame Gina mit ihrem Rasierer einen modischen Kurzhaarschnitt. „Und der Kuschelfaktor bleibt auch, wenn sie älter werden.“ Für die Essenerin sind Hunde ein wichtiger Teil ihres Lebens und Familie. Wie ihr geht es vielen Menschen im Ruhrgebiet. „Es gab immer einen großen Bedarf an Hundefriseuren“, sagt Uhl. Aber auch Hunde-Cafes, -Boutiquen, -Bäckereien oder Schönheitssalons sind beliebt. Häufig werden die Vierbeiner von ihren Herrchen und Frauchen als Kinderersatz gesehen. „Mama kommt gleich wieder“, heißt es dann, wenn der Hund bei Uhl abgesetzt wird. Getreu dem alten Sprichwort: Das letzte Kind hat immer ein Fell.

Kleinkinder und Vierbeiner – die Zahlen steigen.

hunde im revier — hunde vs geburtenrate

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Aber auch die Kinder werden mehr. Die Geburtenraten in den Ruhrgebietsstädten steigen. Und damit die Konfliktpunkte. Parks, Spielplätze, Wiesen – häufig beanspruchen Eltern wie Hundehalter die Grünflächen in den Großstädten. In manchen Freibädern gibt es Hundebadetage. An diesen Daten dürfen keine Kinder ins Becken – egal wie schön das Wetter ist. Dann sind die Hunde dran. Ärgerliche Momente. Ebenso wie der größte Graus vieler Elternteile: von den Vierbeinern verdreckte Spielflächen. „Mit Hundekot haben wir kein Problem, auch nicht auf Spielplätzen“, sagt dagegen eine Sprecherin der Stadt Essen zu der gefühlten Wirklichkeit. Damit ist sie sich mit den übrigen Sprechern der Ruhrgebietsstädte einig. Fäkalien scheinen nirgendwo ein Problem zu sein. Jedenfalls nicht in den Amtsstuben.

Die Hundesteuer ist mittlerweile eine echte Einnahmequelle für die Städte geworden. Hunde bedeuten gutes Geld. In Mühlheim stiegen zum Beispiel die Einnahmen pro Einwohner von 5 Euro im Jahr 2006 auf 8,19 Euro im Jahr 2016. Dortmund nimmt mittlerweile pro Kopf statt 4,78 Euro 7,17 Euro Hundesteuer ein. Insgesamt fließen so 4,2 Millionen Euro jährlich in die Dortmunder Stadtkassen. Über die Hundesteuer fällt für manche Städten mittlerweile mehr Geld ab als durch ihre Beteiligungen an dem Energieriesen RWE. Werden da nicht vielleicht mal bei Hundeproblemen die Augen zugedrückt?

Wie viel Geld bringen die Hunde den Städten ein?

hunde im revier — hundesteuer

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Uhl hat nie Probleme mit der Stadt oder den Behörden gehabt. Seit ihrer Kindheit hatte die Essenerin Hunde. Aktuell besitzt sie drei. Alle mittelgroß bis groß. Besonders die großen Tiere brauchen Auslauf, sagt sie. Platz zum Spielen, Grünflächen. Das ist in den Großstädten nicht immer einfach. In Essen lassen sich 30 Hundewiesen finden. „Das sind aber leider nur begrünte Flächen, auf denen Hunde einfach nur rumlaufen“, sagt Uhl. Trotzdem besser als in Bottrop, da gibt es keine einzige.

Konfliktpunkte Grün- und Spielflächen

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Unter Sandra Uhls pelzigen Lieblingen findet sich auch ein Kangal-Mischling, ein bulliger türkischer Hirtenhund mit einer Widerristhöhe – also dem Abstand vom Boden bis zum Nacken – von über 70 cm. Kangals werden von manchen Besitzern auch gern zum Kampfhund abgerichtet wird. Übergriffe, Konfrontationen oder gar Bissattacken mit Spaziergänger hat Uhl aber noch nie erlebt. Sie bestätigt damit die Statistiken der Städte. Verletzungen durch Hundebisse haben sich in den vergangenen Jahren auffällig gesenkt. Ausschließlich in Essen und Dortmund haben sich die Verletzungen durch Vierbeiner ein wenig erhöht.

Vielleicht liegt es an den Sachkundenachweisen und Schulungen, die die Städte bei größeren, gefährlicheren Hunden mittlerweile abverlangen. Ab einer eine Widerristhöhe von über 40 Zentimetern oder einem Gewicht von über 20 Kilogramm, muss ein Sachkundenachweis vorgelegt werden. Den bekommt der Halter, wenn er nachweisen kann, dass er mit seinem Vierbeiner umgehen kann, und weiß, was zutun ist, wenn der Riese mal Probleme macht. Neben einer Haftpflichtversicherung muss der Hund auch fälschungssicher mit einem Mikrochip gekennzeichnet werden. So fühlen sich Halter stärker in die Pflicht genommen.

Verletzungen durch Hunde

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Sandra Uhl weiß, wie wichtig Erziehung und Fachwissen für jeden Hundehalter sind. „Kleine Tiere sind meistens frecher. Große werden in der Regel besser erzogen, weil man sich nicht leisten kann, sie plötzlich nicht unter Kontrolle zu haben“, sagt sie. Uhl selbst ist Mutter einer 18-jährigen Tochter. In der ganzen Zeit gab es nie Probleme zwischen ihrem Kind und ihren Hunden. „Das ist einfach Erziehungssache“, sagt Uhl.

Vermutlich gilt das für beide Seiten.