Ungerechte Arbeit

Geschönte Statistik: Mehr als eine Million Arbeitslose in NRW

In NRW sind mehr Menschen arbeitslos, als die Bundesagentur für Arbeit offiziell angibt. Die aktuelle Arbeitslosenzahl ist um 260.000 Menschen zu niedrig. Ein Grund für die geschönte Statistik sind Gesetze, die bestimmte Gruppen von Arbeitslosen herausrechnen. Die echte Zahl zeigt: Etwa eine Million Menschen suchen in Nordrhein-Westfalen Arbeit.

von Jonathan Sachse

© Ivo Mayr

Offiziell sind in Nordrhein-Westfalen 697.630 Menschen in der Statistik als arbeitslos erfasst. So hat es jedenfalls die Bundesagentur für Arbeit heute Morgen verkündet. Ein rekordverdächtig niedriger Wert. Vor einem Jahr gab es im Bundesland mit der höchsten Einwohnerzahl noch 20.000 Arbeitslose mehr. Zumindest scheint es so.

Dieser Rekordwert spiegelt nämlich nicht die echte Zahl der Menschen wider, die in NRW keine Arbeit haben. Im Juni waren das mindestens 955.000 Personen. Damit ist die echte Arbeitslosenzahl um mindestens eine viertel Million Menschen höher, als von der Arbeitsagentur offiziell angegeben. Tatsächlich werden nämlich nicht mehr Menschen in Arbeit vermittelt. Die offizielle Zahl verzerrt das Bild der Arbeitsmarktsituation in NRW. Vergleicht man diesen Wert mit dem von 2016, sind im Juni dieses Jahres nicht 20.000 weniger sondern 13.000 Menschen mehr arbeitslos als vor einem Jahr.

Entwicklung der Arbeitslosenzahl in NRW (Juni 2016-Juni 2017)

Wie kommen diese Unterschiede zustande?

Die echte Arbeitslosenzahl wird nicht verschwiegen. Sie wird nur unter dem schwer zugänglichen Begriff „Unterbeschäftigung“ veröffentlicht und in den Mitteilungen unter der offiziellen Arbeitslosenzahl angeordnet. Das Resultat: Viele Medien berichten nur über diese offizielle Arbeitslosenzahl. Die echte Zahl der Menschen, die keinen Job haben, ist kaum bekannt. Gerade die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern lässt sich dadurch nur schwer nachvollziehen.

Welche Menschen fallen in NRW aus der offiziellen Statistik? Wer zum Beispiel über 58 Jahre oder älter ist und seit 12 Monaten Hartz IV bezieht, gilt nicht als arbeitslos. Immerhin 44.000 Personen werden somit im Juni aus der Statistik gerechnet. Dasselbe gilt für Menschen in Bewerbungstrainings, Sprach- und Integrationskursen oder Weiterbildungen. Auch wer am Stichtag der Erfassung krank war, wird nicht gezählt.

Mit der „stillen Reserve“ mehr als eine Million

Vor einem Monat haben wir bereits über das Thema berichtet. Gegenüber CORRECTIV sagten selbst Vorstandsmitglieder der Bundesagentur für Arbeit, dass sie selber lieber eine höhere Arbeitslosenzahl ausweisen würden. Die Politiker würden der Arbeitsagentur jedoch durch Änderungen im Sozialgesetz vorschreiben – gerade zu wichtigen Wahlkampfzeiten – bestimmte Gruppen von Arbeitssuchenden aus der offiziellen Zahl herauszurechnen.

Selbst die echte Arbeitslosenzahl stellt am Ende nicht das echte Ausmaß der Arbeitslosigkeit eines Landes dar. In der Statistik tauchen nämlich nur die Personen auf, die sich auch arbeitslos melden. Das Forschungsinstitut der Arbeitsagentur (IAB) schätzt, dass in Deutschland etwa 232.200 Arbeitslose nicht in der Statistik erfasst werden. Das IAB spricht von einer „stillen Reserve“. Rechnet man diese Dunkelziffer noch dazu, gibt es in Nordrhein Westfalen sicherlich mehr als eine Million Arbeitslose.