Alte Apotheke

Gepanschte Krebsmedikamente: Die Nebelkerzen der Verteidigung

Die Verteidiger des Bottroper Pansch-Apothekers setzen auf Schwarzhandel, Fakeretouren und alte Lagerbestände. Doch der Pharmariese Hexal und andere Apotheker widersprechen den Behauptungen der Anwälte.

von Cristina Helberg , Marcus Bensmann

Die Alte Apotheke in Bottrop steht im Zentrum eines der größten Medizinskandale der Nachkriegszeit.© Correctiv.Ruhr

Die Anwälte von Peter Stadtmann verteidigen den Bottroper Apotheker mit steilen Thesen. Um sich gegen den Vorwurf zu wehren, er hätte weniger Krebsmittel eingekauft als verkauft, setzen sie auf Schwarzkauf, Fakeretouren und angebliche Lagerbestände, die die Lücken in der Buchhaltung der Alten Apotheke erklären sollen. Vor dem dritten Prozesstag hat CORRECTIV.Ruhr die Aussagen der Anwälte untersucht. Sie sind wenig glaubhaft.

Der Apotheker Peter Stadtmann muss sich seit dem 13.11.2017 vor dem Landgericht in Essen verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Bottroper vor über 60.000 Krebsmittel gestreckt und so die Krankenkassen um mehr als 56 Millionen Euro betrogen zu haben. Als wichtiges Indiz gilt für die Anklage die beschlagnahmte Buchhaltung der Alten Apotheke, nach der weit weniger Wirkstoffe eingekauft wurden, als an die Patienten vergeben. Am dritten Prozesstag (Freitag, 17.11.2017)  ist vorgesehen, dass unter anderem der Fachmann der Kripo für Wirtschaftsverbrechen im Prozess als Zeuge erscheint. Er hatte im Fall der Alten Apotheke ermittelt.

Zum Thema:

Pharmariese Hexal widerspricht Verteidigung (CORRECTIV.Ruhr)

Das Prozess-Tagebuch (CORRECTIV.Ruhr)

Rechercheschwerpunkt: Der Fall der Alten Apotheke (CORRECTIV.Ruhr)

Im Zentrum der Verteidigungsstrategie steht bei den Anwälten von Peter Stadtmann das Pharmaunternehmen Hexal. Die Hexal AG wehrt sich allerdings mit Dementis.

Missverhältnis nur schwer erklärbar

Nach Unterlagen, die CORRECTIV vorliegen, schreiben die Anwälte, dass Retouren von Zytostatika tatsächlich nicht stattgefunden hätten. Retour heisst, Krebsmittel, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen, kann der Apotheker an den Hersteller zurückgegeben, und er erhält dafür den vollen Kaufpreis zurück. Die Verteidiger von Stadtmann behaupten, diese Waren hätten die Apotheke faktisch nie verlassen. Die Retouren seien zwar verbucht worden, aber die Krebsmittel seien in der Apotheke zur Weiterverwendung verblieben. Ein solches Vorgehen würde von den Pharmafirmen hingenommen, schreiben die Verteidiger. Als Beispiel nennen sie die Hexal AG. Die Pharmafirma widerspricht.

„Die Hexal AG weist diese Darstellung zurück“, sagt der Sprecher des Pharmakonzerns. Das Unternehmen lasse entweder die Retouren abholen und vernichte sie dann selbst, oder aber es müsse ein glaubhaftes Vernichtungsprotokoll aus der betreffenden Apotheker vorliegen. Dieses Protokoll müsste von drei Personen unterschrieben werden, sagt der Unternehmenssprecher.

Retouren könnten auch sonst das Missverhältnis nur schwer erklären.

Weder Kofferraumverkäufe noch Fakeretouren

„Retouren sind in der Regel eher selten“, sagt der Apotheker Gregor Müller aus Düsseldorf. Müller belieferte bis 2010 den Brustkrebsspezialisten Mahdi Rezai mit Zytostatika. Dann zog Rezai in ein Medical Center und wurde ab 2010 von Peter Stadtmann aus der Alten Apotheke in Bottrop beliefert. Stadtmann hatte im Medical Center eine Filiale errichtet. „Wir hatten im letzten halben Jahr nur eine Retour“, sagt Müller, die sei aber in der Apotheke vernichtet worden. Dazu gebe es ein Vernichtungsprotokoll, sagt der Apotheker.

Die Fakeretouren sind das zweite Mal, dass die Hexal AG einer Behauptung der Anwälte Stadtmanns widerspricht.

Am zweiten Prozesstag berichtete der Richter Johannes Hidding im Gericht aus einem Schreiben der Verteidiger, dass ein Hexal-Vertreter aus dem Kofferraum heraus Peter Stadtmann Krebsmedikamente schwarz verkauft hätte.

Das Pharmaunternehmen dementiert den Vorwurf mit einem einfachen Grund, „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Außendienst kommen mit Ware nicht in Kontakt und können demnach Ware auch nicht selbst verkaufen“, sagt ein Sprecher der Hexal AG. Der vom Richter genannte Mitarbeiter habe „klargestellt, dass es die geschilderten Verkäufe nicht gegeben hat“. Das Unternehmen behält sich rechtliche Schritte gegen die Behauptungen der Verteidigung von Stadtmann vor.

Die Räuberpistole von Krebsmittel-Schwarzverkäufen der Hexal AG macht auch wirtschaftlich wenig Sinn.

Das Unternehmen aus Bayern produziert Generika, also patentfreie Arzneimittel, die im ordnungsgemäßen Einkauf  schon preiswert sind. So kosten 300 ml des Krebsmittels Paclitaxel im Einkauf 50,- bis 70,-  Euro, aber der Apotheker bekommt nach der Verarbeitung dieser Dosis 464 Euro.

Krebsmittel bunkern

Stadtmanns Anwälte haben noch ein anderes vermeintliches Ass im Ärmel: Die angeblichen Lagerbestände von Zytostatika in der Alten Apotheke, die von vor 2012 stammen. Die Staatsanwaltschaft hätte vergessen, sie zu berechnen.

Das Problem hier: Krebsmittel sind keine Weihnachtsstollen.

Krebsmittel zu bunkern, macht keinen Sinn, denn je länger sie auf dem Markt sind, desto billiger werden sie. Sobald das Patent abläuft, kann sie jedes anderes Pharmaunternehmen herstellen. Dann werden sie billiger. Zudem müssen die Therapien durchgehend gekühlt werden. Das macht eine lange Lagerung wirtschaftlich unsinnig.

Das bestätigt auch der Apotheker Müller aus Düsseldorf. „Zytostatika werden in der Regel  just-in-time geliefert“, sagt Müller, die maximale Vorhaltung für Krebsmedikamente sei ein Monat.

Hamsterargument unschlüssig

Das Hamsterargument der Verteidiger spielt bei Medikamenten keine Rolle, die  erst nach 2012 zugelassen wurden und besonders teuer sind. Diese Medikamente schützt ein Patent noch vor der Konkurrenz.

Von den fünf Medikamenten, die der Whistleblower Martin Porwoll in seiner Anzeige gegen Stadtmann genannt hatte,  wurden zum Beispiel drei nach 2012 zugelassen.

Darunter auch das Zytostatikum Opdivo. Es wird gegen Haut- und Lungenkrebs eingesetzt. Porwoll berechnete, dass Peter Stadtmann von Juni 2015 bis Januar 2016  16.400 mg Opdivo einkaufte. Im selben Zeitraum verschrieben die Ärzte ihren Patienten jedoch knapp das Dreifache: 52.174 mg. Das rechnete Stadtmann auch gegenüber den Krankenkassen ab. Dadurch erzielte Stadtmann innerhalb von sechs Monaten statt 34.000 Euro Gewinn 615.000 Euro allein mit Opdivo.

Dieses Minus erklären kaum ein angebliches Lager,  Schwarzhandel oder  Fakeretouren.