Der Prozess

Der Prozess, Tag 15

Ohne die Aussage Martin Porwolls wäre der Skandal um gepanschte Krebsmedikamente vielleicht nie aufgeflogen. Vor Gericht spricht der Whistleblower über Interna der Alten Apotheke. Er berichtet von Mitarbeitern, die zunehmend Verdacht schöpften und von Stadtmanns Mutter, in deren Privatkeller abgelaufene Zytostatika gelagert haben sollen. Porwolls Auftritt ist eloquent und überzeugend. Die Verteidigung bleibt zahnlos.

von Cristina Helberg , Marcus Bensmann

Der Whistleblower Martin Porwoll verfolgt das Statement seines Anwaltes im Landgericht Essen.© CORRECTIV

Das Medieninteresse ist am Tag der Aussage Porwolls fast so groß wie am ersten Verhandlungstag. Mehrere Kamerateams sind vor Ort. Auch der Zuschauerraum ist bis fast auf den letzten Platz besetzt. CORRECTIV berichtet aus dem Gerichtssaal.

Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?

Peter Stadtmann und der Zeuge Martin Porwoll kennen sich seit Kindertagen. Trotzdem würdigen sie sich im Gerichtssaal kaum eines Blickes. „Wir waren keine engen Freunde, aber man hat sich immer in den Augen gehabt“, sagt Martin Porwoll vor Gericht. Sie hätten sich auch zu den gegenseitigen Hochzeiten eingeladen. Porwoll berichtet, Peter Stadtmann sei ein „gläubiger Mensch“, darauf habe er immer viel Wert gelegt. Zuvor hatte die langjährige Mitarbeiterin Teresa K. ausgesagt, dass Stadtmann als Kind Bischof werden wollte. Seit 2014 hat Porwoll fest in der Apotheke gearbeitet  Ab und zu macht Stadtmann sich während der Vernehmung Notizen.

Welchen Eindruck machen die Betroffenen?

Ein Großteil der 44 Nebenklägerinnen und -kläger ist an diesem Tag trotz Sturmwarnung angereist. Viele der Betroffenen sind von Martin Porwoll etwas enttäuscht, sie hätten sich einige Aussagen des Zeugen schärfer gewünscht.

Die wichtigsten Ereignisse des Tages:

  • Richter bügelt Verteidigung ab. „Wenn das alles ist, was Sie vorzuführen haben, ist das wenig“, erwidert der Vorsitzende Richter Johannes Hidding auf einen Antrag der Verteidigung. Als der ganze Saal lacht, rudert er etwas zurück. Die Anwälte Stadtmanns wollen erst eine Akte zu einem früheren Strafverfahren gegen Porwoll auswerten und den Zeugen dann nochmal vorladen. Der Richter hält die Akten im aktuellen Verfahren offensichtlich für wenig relevant und will die Befragung wie geplant an diesem Tag beenden. Die Verteidigung behält sich vor, an den nächsten Verhandlungstagen einen Beweisantrag zu stellen, um Porwoll dann nochmals vorzuladen.

  • Verdachtsmoment unter den Mitarbeitern. Porwoll sagt, dass er von der ersten Anzeige 2014 gehört habe. Dann hätten die zwei wichtigen Zyto-PTAs Sonja C. und Alexandra H. gekündigt, da die Zuständen im Zyto-Labor laut ihren Aussagen untragbar gewesen seien. Erst habe er sich nichts dabei gedacht, aber einen letzten Satz von einer Mitarbeiterin habe er in Erinnerung behalten: Er solle sich mal das Produkt Xgeva ansehen. Aufgrund dieser Äußerungen habe er bei einer Weihnachtsfeier 2014 den frisch in die Zyto-Abteilung beförderten Mitarbeiter Marc F. gewarnt, er solle aufpassen. Eine dabei sitzende Kollegin, die zu diesem Zeitpunkt erst seit kurzem in der Apotheke arbeitete, habe ihm beigepflichtet. Im Jahr 2015 begann laut Porwoll unter den Mitarbeitern des Zyto-Labors das „verbale Umherschiffen“. Man habe versucht „Worte zu finden für etwas, über das man eigentlich nicht sprechen kann.“ Es sei von den Mitarbeitern gesagt worden: „Wirkstoffe werden in Therapien hinein gezaubert“. Am Tag der Razzia habe Marc F., der mittlerweile Leiter der Zyto-Abteilung war, auf Porwolls Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, dass Wirkstoff in den beschlagnahmten Infusionen sei, geantwortet: „Null Prozent“. Porwoll sagt vor Gericht auch über Zweifel des Steuerberaters F. aus. Der Steuerberater F., ein enger Vertrauter der Familie Stadtmann, habe zu ihm über den hohen Gewinn der Alten Apotheke gesagt, dieser sei an der „Grenze zur Erklärbarkeit“. Peter Stadtmann habe laut F. auf Nachfrage erklärt, er sei eben ein guter Einkäufer. F. wollte sich 2016 mit dieser Erklärung nicht mehr zufrieden geben. Kurz danach wurde die Alte Apotheke durchsucht und Peter Stadtmann festgenommen.

  • Porwolls Beobachtungen. Auch Porwoll bestätigt, Peter Stadtmann regelmäßig in Straßenkleidung im Zyto-Labor gesehen zu haben. Zudem habe er einmal auf Stadtmanns PC-Bildschirm gesehen, wie er die Bestandsdaten im Dokumentationsprogramm Zenzy manipuliert habe. Dort habe eine Rechnung über drei Ampullen eines Produktes gelegen, eingetragen habe Stadtmann aber acht. Inventuren habe es in unregelmäßigen Abständen gegeben, allerdings sei der Zyto-Bereich auf Anweisung Stadtmanns ausgespart worden.

  • Stadtmanns Eltern. Auch Stadtmanns Eltern sind an diesem Tag mehrfach Thema im Gerichtssaal. Wieder fragt der Richter dezidiert nach der Mutter. Martin Porwoll berichtet, wie andere Mitarbeiter zuvor, von einer Doppelherrschaft in der Alten Apotheke. Auch als ihr Sohn Chef der Apotheke war, habe die Mutter intensiv zusammen mit ihm in der Geschäftsführung gearbeitet, sagt Martin Porwoll vor Gericht. Sie sei sehr gut über die Vorgänge in der Apotheke informiert gewesen. Das Gespräch darüber sei ein tägliches Ritual gewesen. Wir haben ausführlich zur zweifelhaften Rolle der Mutter berichtet. Auch Stadtmanns Vater taucht immer wieder in Porwolls Aussagen auf. Laut dem Zeugen sagte der Vater am Tag der Verhaftung: „Ich hab doch immer gesagt, dass Peter nicht mit seinem Anzug ins Labor gehen soll.“ Porwoll berichtet, wie er nach der Razzia in die Apotheke zitiert wurde. Er habe sich eine Stunde Vorwürfe anhören müssen. Wortführer sei Peter Stadtmanns Anwalt Strüwe gewesen. Am Ende habe man ihm die fristlose Kündigung ausgesprochen. Auf Anraten seines Anwalt habe er zu den Vorwürfen geschwiegen, sagt Porwoll. Als er schon gehen wollte, habe Stadtmanns Vater zu ihm gesagt: „Das hätte man auch irgendwie anders regeln können. Man hätte ja die Apotheke von Peter wieder zurück übertragen können.“

  • Schwacher Staatsanwalt. Der Staatsanwalt Jakubowski möchte Fragen zu einer bereits am letzten Verhandlungstag thematisierten Kopfverletzung Stadtmanns stellen. Der Richter will wissen, was diese Frage mit den Vorwürfen der Anklage zu tun habe. Jakubowski verhaspelt sich und findet keine rechte Antwort. Der Richter und die Verteidiger fahren dem Staatsanwalt über den Mund. Die Anwälte der Nebenklage springen bei und erklären, dass eine Kopfverletzung wegen möglicher psychischer Folgen durchaus relevant sei. Der Richter lässt die Frage zu, allerdings, wie bereits am vergangenen Verhandlungstag, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Presse und Publikum müssen den Saal verlassen, solange es um die Kopfverletzung geht. Der Staatsanwalt wirkt wie im ganzen Verfahren blass und  fahrig. Seine Fragen an die Zeugen dienen mehr dazu, das Vorgehen der Staatsanwaltschaft zu rechtfertigen als die Anklage zu stärken. Jakubowksi zeigt sich pikiert, dass Porwoll die Anzeige ursprünglich an die Staatsanwaltschaft in Bochum übergeben habe, die auf Wirtschaftsdelikte spezialisiert ist.  Er fragt Porwoll, ob er anfänglich auch von einem Kapitalverbrechen ausgegangen sei oder nur von einem Wirtschaftsdelikt. Porwoll sagt, dass er anfänglich nur das Wirtschaftsdelikt im Auge hatte.

  • Zyto-Lagerungen im Privatkeller. Martin Porwoll sagt, dass auch im Privatkeller der Eltern abgelaufene Zytostatika gelagert worden seien. Damit bestätigt er die Schilderungen mehrerer Mitarbeiter.

  • Das Crowdfunding und die Abmahnung. Stadtmanns Anwälte befragen Martin Porwoll zu einem von CORRECTIV initiierten Crowdfunding. Damit wurde die Abmahnung der Anwaltskanzlei Höcker gegen Porwoll bezahlt. Die Anwälte der Nebenklage wollen wissen, ob die Abmahnung die Aussagen des Zeugen vor Gericht beeinflußt. Porwoll verneint die Frage; er würde nur nicht den abgemahnten Satz wiederholen wollen.  Die Verteidigung will wissen, ob Nebenkläger für das Crowdfunding gespendet habe. Porwoll sagt, er wisse dies nicht und könne es nicht ausschließen. Porwoll gibt auf Nachfrage an, dass von dem Geld aus dem Crowdfunding die Anwaltskosten der Gegenseite im Arbeitsprozess zwischen Stadtmann und ihm bezahlt wurden. Auch zur Facebookgruppe „Alte Apotheke“, in der Porwoll laut eigener Aussage Mitglied ist, wird er von der Verteidigung befragt.

  • Nebenkläger als Zeugen? Ein Anwalt der Nebenklage fragt, ob das Gericht auch die Nebenklägerinnen und -kläger als Zeugen anhören will. Darüber ist laut Richter Hidding noch keine Entscheidung getroffen.

  • Drohte eine Eskalation? Martin Porwoll hatte seine Anzeige gegen Peter Stadtmann bei der Polizei zunächst anonym gestellt. Der Grund sei eine mögliche „Eskalation“ gewesen, sollte seine Identität Peter Stadtmann bekannt werden, so wurde Porwoll im Verfahren von Ermittlungsbeamten zitiert. Martin Porwoll stellt dies nun richtig und sagt, er habe sich „nicht so bedroht gefühlt“. Vielmehr habe man auf Seiten der Polizei Angst vor einer Eskalation gehabt.

  • Die Verteidigung bleibt bei ihrer Befragung zahnlos. Sie konzentriert sich auf eine Beschönigung in einer Bewerbung des Whistleblowers, das Verfahren wegen der fristlosen Kündigung, und die alte Verurteilung von Porwoll, dessen Engagement in einer Facebookgruppe und das Crowdfunding zur Bezahlung der Anwaltskosten.  Der eigentliche Kern von Porwolls Aussage bleibt unberührt. Sie stellen einige Fragen zu Zenzy und möglichen Retouren, aber es gelingt nicht, die Beweiskette des Whistleblowers in Frage zu stellen. Das Duell blieb aus.

Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag:

Am nächsten Verhandlungstag sind als Zeuginnen zwei Mitarbeiterinnen der Alten Apotheke geladen. Eine der zwei Frauen, Birgit K., scheint laut Aussagen von Zeugen vor Gericht ein enges Verhältnis zu Peter Stadtmann gehabt zu haben. Laut Martin Porwoll ging Birgit K. mit Peter Stadtmann auf Kreuzfahrt. Die langjährige Mitarbeiterin der Apotheke Teresa K. hatte außerdem ausgesagt, dass Peter Stadtmann sich nach der Einstellung der Mitarbeiterin Birgit K. deutlich verändert habe.

Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr): 24.01., 29.01., 31.01., 01.02., 05.02., 08.02., 14.02., 16.02., 20.02., 22.02., 13.03.