Artikel

Warum ein Landkreis Schauplatz einer viralen Empörungswelle wurde

Ein Mann im Landkreis Osnabrück wird mit dem Taxi zu seinem 15 Kilometer entfernten Arbeitsplatz gebracht. Ein Fall, der viele verärgerte, weil es sich um einen anerkannten syrischen Flüchtling handelt. Die Geschichte hinter der Geschichte.

von Pauline Schinkels

faktencheck_taxi1

Die kommunale Arbeitsagentur des Landkreises Osnabrück finanziert einem Mann das Taxi zur Arbeit. Jeden Tag. Von Montag bis Freitag. 15 Kilometer hin und ab und an auch zurück. Drei Monate lang. Kosten pro Monat: Bis zu 1.300 Euro.

Der Mann, der diesen Transportservice nutzt, ist ein anerkannter syrischer Flüchtling. Rechte Medien wie „anonymousnews.ru“ berichteten über den Fall des angeblich „stinkfaulen Flüchtlings“, wie es in dem Weblink des Artikels heißt. Der Text wurde in der vergangenen Woche im Netz hundertfach kommentiert und tausendfach geteilt. Was in dem Bericht kaum behandelt wird: Dass diese Leistung auch arbeitslosen Deutschen zusteht – in ganz bestimmten Fällen. Offen lässt die Überschrift auch: Warum und unter welchen Umständen zahlen Jobcenter solche besonderen Leistungen wie Taxifahrten, Umzugskosten oder den Führerschein? Was sind die Hintergründe dieser Geschichte, die in einer kleinen Gemeinde in Niedersachsen begann und in einer viralen Empörungswelle endete?

Der Flüchtling floh vor dem Bürgerkrieg in Syrien und schaffte es bis nach Deutschland, wo er heute nahe Hannover im Landkreis Osnabrück lebt. Dort wird er von einer kommunalen Arbeitsagentur, der MaßArbeit, betreut. Als einer von 1.141 Flüchtlingen. Wie der Name schon nahelegt, gehört die MaßArbeit nicht direkt zur Agentur für Arbeit. Deutschlandweit gibt es 104 sogenannte Optionskommunen, die sich in Eigenregie um ihre Hartz-IV-Empfänger kümmern.

Taxifahrten werden nicht nur für Geflüchtete übernommen

Grundsätzlich gelten Langzeitarbeitslose als schwer vermittelbar. So gesehen ist die Geschichte dieses Flüchtlings eine Erfolgsgeschichte. Erst vor wenigen Wochen hat er seinen neuen Job begonnen, sein Arbeitsvertrag ist unbefristet. Er wird künftig in die Sozialkassen einzahlen und unabhängig von staatlicher Unterstützung sein. Außerdem soll er einen Führerschein machen oder umziehen. Beides ist beantragt. Eines davon, Umzug oder Führerschein, wird die MaßArbeit ebenfalls bezahlen. Eine Betreuung wie diese, die über das beginnende Arbeitsverhältnis hinausgeht, ist durchaus üblich. Sie steht allen Arbeitslosen offen, wie eine Sprecherin vom Landkreis sagte, „ob sie nun geflohen sind oder nicht.“ 

Aber sind diese Taxifahrten zur Arbeit die Regel? Wie viele solcher Fahrten bundesweit für Arbeitslosengeld II-Empfänger bezahlt werden, kann niemand sagen. Dafür gibt es auch keine feste Kriterien; das sei eine Ermessensfrage und hänge vom jeweiligen Fall ab, teilt die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit. Bei den Taxifahrten handele sich immer um absolute Ausnahmen. Zentral erfasst werden sie aber nicht. Die Kosten werden aus dem sogenannten „Vermittlungsbudget“ der Agentur bestritten.

Zum Vermittlungsbudget gehören auch der Friseurbesuch, die Bewerbungsmappe, die Arbeitsbrille oder eben – in Ausnahmefällen – die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz. Gezahlt werden letztere normalerweise bis zum ersten Gehalt, so die Auskunft eines Sprechers der BA. Wie oft das der Fall ist, darüber kann weder die Zentrale der BA noch die zehn Regionaldirektionen eine Auskunft geben. Sie verweisen an die einzelnen Geschäftsstellen und Jobcenter. Davon gibt es in Deutschland nahezu tausend, auch hier komme es in Einzelfällen vor, dass ein Taxi bezahlt wird – allerdings selten. Dem Jobcenter Osnabrück sind keine Fälle bekannt, ähnlich wie dem in Bonn. In Bremen und Nürnberg kommen solche Fälle vor, wie viele es sind, lasse sich aber nicht genau sagen. In Hamburg seien es maximal ein bis zwei vergleichbare Fälle im Jahr und betreffe hauptsächlich Personen, die alleine gewisse Strecken nicht mehr bewältigen können.

Das Geld geht direkt an Fahrschulen, Umzugs- oder Taxiunternehmen

Der Arbeitsplatz des syrischen Flüchtlings im Landkreis Osnabrück liegt 15 Kilometer entfernt von seinem derzeitigen Wohnort. Er arbeitet im Schichtdienst. Mal früh von 5 bis 13 Uhr, mal spät von 13 bis 21 Uhr, mal nachts von 21 bis 5 Uhr. Nicht immer fahren in der ländlichen Region Busse, tagsüber aber schon. Dann fährt er auch mit dem Bus heim.

Mit dem Fahrrad fahren, kann er seit seiner Ankunft in Deutschland nicht mehr. Knapp eine Stunde würde ein gesunder Mensch dafür brauchen. Aber der Betroffene nicht, legt eine Sprecherin des Landkreises nahe. Aus Datenschutzgründen nennt sie aber keine Einzelheiten, um den Mann nicht identifizierbar zu machen.

In diesem Fall zahlt die MaßArbeit das Geld direkt an das betreffende Taxiunternehmen in der Region – wie sie es auch in anderen Fällen für Arbeitslose übernehmen würde. Da die BA dem Landkreis gegenüber als Optionskommune nicht weisungsbefugt ist, kann dieser die Kosten auch länger als bis zur ersten Gehaltszahlung übernehmen. Wie immer in solchen Fällen wurde abgewogen. Ist die Person gesundheitlich bedingt eingeschränkt? Ist die Arbeitsstelle mit Bussen oder Bahn zu erreichen? Zu welchen Uhrzeiten arbeitet die Person? Wie lange würde eine Anreise mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln dauern?

Es gibt weitere Fälle im Landkreis

In zwei weiteren Fällen entschieden Mitarbeiter der MaßArbeit in diesem Jahr ebenfalls, das Taxi vorübergehend für diese Arbeitslosen zu zahlen. In einem dieser Fälle kommt die betreffende Person aus dem Landkreis, hier ist sie heimisch. Auch sie arbeitet seit wenigen Wochen im Schichtdienst, eine Fahrt mit dem Taxi kostet 26 Euro.

Über den Fall des Flüchtlings schrieb als erstes die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ):  „warum die Maßarbeit einem Flüchtling das Taxi zur Arbeit zahlt“. Ein der Redaktion bekannter Leser hatte sich an die Zeitung gewandt. Kurz nach dem die NOZ berichtete, war der Text in gekürzter Form auf einschlägigen rechten Webseiten wiederzufinden. Seitdem bekommt der Landkreis Osnabrück „Nachrichten der besonderen Art“, wie es eine Sprecherin formulierte. „Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen wollte!!!“, heißt es da in den Kommentaren oder „Linksdusseliger Wahnsinn kennt beim Einsatz für Asylbetrüger keine Grenzen!“. Die Fahrtkosten für den Taxitransport wurden inzwischen nach unten korrigiert. Statt der 1.300 wird es etwa 800 Euro monatlich kosten. 

Fazit: Ja, ein Flüchtling im Landkreis Osnabrück erhält Taxifahrten zur Arbeit. Aber: Das Geld erhält das Taxiunternehmen und es handelt sich um eine zeitlich begrenzte, also vorübergehende Unterstützung. Es ist ein absoluter Ausnahmefall. Die Leistung wird nicht für Geflüchtete übernommen, sondern kann von allen Arbeitslosengeld II-Empfängern in Anspruch genommen werden, wenn sie etwa gesundheitlich eingeschränkt sind. Das liegt im Ermessen des jeweilig zuständigen Jobcenters.