Artikel

„Völkisch radikalisiert“

Der Publizist Andreas Kemper befasst sich mit dem extremen Gedankengut der AfD. Aufsehen erregte er mit seinem Nachweis, dass AfD-Frontmann Björn Höcke unter dem Pseudonym Landolf Ladig in NPD-Organen veröffentlichte. Eine Analyse der Radikalisierung der AfD und der Sprache Alice Weidels.

von Sarina Balkhausen , Carla Reveland

kemper-1

Der Publizist und Sozialwissenschaftler Andreas Kemper befasst sich intensiv mit der AfD. Er hat herausgefunden, dass der Thüringer AfD-Frontmann Björn Höcke unter dem Namen Landolf Ladig in Publikationen der rechtsextremen NPD publiziert. Ein Gespräch über rechtes Gedankengut, verräterische Sprache und die Debatte um eine E-Mail Alice Weidels.

Herr Kemper, stimmen der Duktus der Sprache der E-Mail, die der Welt am Sonntag“ vorliegt mit der Sprache von Alice Weidel überein?

Kemper: Erstmal nicht. Das ist eine Sprache, die man von Alice Weidel in den letzten Jahren in dieser Form nicht gehört hat. Mittlerweile hat sie sich dem „Flügel“ Björn Höckes angenähert, darum ist es grundsätzlich nicht auszuschließen. Die in E-Mails verwendete Sprache ist anders als jene in Texten und Artikeln, bei denen man sich genau überlegt, was man schreibt.

Was lässt sich über eine mögliche Urheberschaft der Mail durch Alice Weidel sagen?

Gegen eine Urheberschaft Weidels spricht, dass sie aus einem neoliberalen Umfeld kommt und die dortigen Themen nicht sehr völkisch diskutiert werden. Dafür spricht, dass es auch dort fließende Übergänge gibt, Menschenverachtung hat auch im Neoliberalismus Wurzeln. Ebenfalls dafür spricht, dass Weidels Doktorvater Peter Oberender, der Gründungsmitglied der „Wahlalternative 2013“ ist, mit seiner Aussage „Wenn jemand existenziell bedroht ist, weil er nicht genug Geld hat, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu finanzieren, muss er meiner Meinung nach die Möglichkeit zu einem geregelten Verkauf von Organen haben“ bekannt wurde. Dieses menschenverachtende Bild, das in Weidels Umfeld propagiert wird, findet sich auch im Faschismus wieder.

Können Sie anhand der öffentlichen Aussagen Alice Weidels eine Radikalisierung feststellen?

Ich sehe in Alice Weidel eine Neoliberale, die sich aus opportunistischen Gründen völkisch radikalisiert hat. Sie zitierte im Rahmen ihres Beitritts ihren Doktorvater Oberender, der die AfD lobpries und ebenfalls Parteimitglied wurde. Weidels Themenfeld war vornehmlich das Rentensystem, das Gesundheitswesen und die Euro-Problematik. Hiermit war sie auf der Linie des Neoliberalen Bernd Lucke. Im Zuge dessen Abgangs 2015 wunderte mich, dass Weidel ihm nicht folgte. Sie sprach sich gegen Björn Höckes rassistische Aussagen aus und war auch an beiden Anträgen zu dessen Ausschlussverfahren beteiligt. Ihre völkische Radikalisierung setzte ein als sie mit Alexander Gauland Spitzenkandidatin wurde und Frauke Petry in den Rücken fiel. Mich wundert es, dass diese E-Mail jetzt aufgetaucht ist.

Ist der Vorwurf Alexander Gaulands berechtigt, dass mit der Veröffentlichung des E-Mail-Abdrucks versucht würde, eine Kampagne gegen die AfD zu führen?

Nein, der Vorwurf ist nicht berechtigt. Im Hinblick auf das Gutachten der Bundes-AfD, Björn Höcke stehe aufgrund seiner Sprache hinter dem Neonazi-Pseudonym Landolf Ladig, ist seine Aussage in Bezug auf Weidels vermeintliche E-Mail aufgrund der unterschiedlichen Sprache eine Farce. Wenn Gauland mit der Sprache argumentiert und Höcke trotz des Gutachtens unterstützt, ist das hinsichtlich des rassistischen Inhalts, der auch in der vermeintlichen E-Mail Weidels zu finden ist, widersprüchlich. Gauland sollte klar machen, ob ihm Sprache wichtig ist oder nicht.

Was spricht für eine Koordination innerhalb des AfD-Parteivorstands bezüglich Gaulands Aussage, Höcke sei die Seele der AfD? Könnte das im Zusammenhang mit der jetzt veröffentlichten angeblichen E-Mail von Weidel stehen?

Das weiß ich nicht. Ich denke, die jetzt aufgetauchte E-Mail stammt aus dem Umfeld der Frankfurter Neoliberalen. Diese haben die Position von Weidel und Lucke geteilt. Bernd Lucke steht auf einer Linie mit Thilo Sarrazin, einem Rassisten. Das heißt, es gab sowohl bei Lucke als auch den Menschen aus diesem neoliberalen Umfeld natürlich auch rassistische Positionen. Das spräche dafür, dass Weidel sich tatsächlich so geäußert hat. Es ist möglich, dass das jetzt aus diesem Umfeld heraus öffentlich gemacht wurde, um kurz vor der Bundestagswahl vor Weidel zu warnen. Wenn es tatsächlich jemanden gibt, der den Inhalt der E-Mail eidesstattlich versichert, dann kann es sich nicht um eine Kampagne handeln, die sich jemand aus den Fingern gesogen hat. Ich glaube nicht, dass Leute so weit gehen würden, denn eine eidesstattliche Falschaussage steht unter Gefängnisstrafe.

Das bedeutet, dass sich die Redaktion der „Welt am Sonntag“ für das eidesstattliche Argument juristisch hat absichern lassen?

Auf jeden Fall. Zumal die „Welt“ in Bezug auf die Geschichte um Landolf Ladig sehr viel vorsichtiger ist. Sie hat sich zur Authentizität jener Geschichte nicht geäußert. Die Landolf Ladig-Geschichte um Björn Höcke ist viel gravierender als die Aussagen, die Weidel in ihrer E-Mail geschrieben haben soll. Es ist ein Unterschied, ob man sich rassistisch äußert und die Regierungsmitglieder „Schweine“ nennt oder ob man sagt, man strebe eine Revolution an, um den Nationalsozialismus wiederherzustellen.

Wie lautet Ihr Fazit hinsichtlich dieser vermeintlichen E-Mail?

Ich denke, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass Alice Weidel diese E-Mail tatsächlich von sich gegeben hat. Im Vergleich finde ich allerdings, dass das, was Weidel gesagt hat, sehr viel harmloser ist als das, was Björn Höcke gesagt hat. Es ist wahrscheinlicher, dass Höcke Landolf Ladig ist als dass die E-Mail von Weidel geschrieben wurde. Vor allem, wenn man Gaulands Argument mit der verwendeten Sprache ernst nimmt und Höcke ja tatsächlich so wie Ladig spricht, wohingegen Alice Weidels Sprache nicht mit jener in der vermeintlichen E-Mail übereinstimmt. Es kann sein, dass Weidel die Urheberin ist. Aber es ist auch anzumerken, dass der Inhalt dieser vermeintlichen E-Mail normaler Sprachgebrauch in der AfD ist. Die Höcke-Ladig-Geschichte finde ich im Vergleich sehr viel schlimmer und sie wird von den Medien nicht aufgegriffen. Darüber schreiben weder „Welt“, noch „Spiegel“, noch „FAZ“. Im Gegenteil, der ehemalige „Welt“-Reporter Günther Lachmann, der für die „Welt“ über die AfD geschreiben hat, betrieb einen Blog, an dem jemand mitschrieb, der im Vorstand der AfD Thüringen sitzt und Höcke-Fan ist. Lachmann hat aus dieser Position heraus die AfD „groß“ geschrieben und wurde 2015 abgesetzt, nachdem klar wurde, dass er sich von der AfD hat kaufen lassen wollen. Heute arbeitet Günther Lachmann als Medienberater Höckes. Hier wäre eine Aufarbeitung der „Welt“ selbst notwendig, welche Journalisten sie einsetzt.

Was bedeutet das in Bezug auf den Vorwurf, der derzeit in rechten Kreisen im Netz kursiert, dass Alice Weidel von FDP-Chef Christian Lindner und seiner Frau Dagmar Rosenfeld, stellvertretende Chefredakteurin von „Welt/N24“, diffamiert würde?

Dieser Vorwurf einer lancierten Kampagne wird ad absurdum geführt, da die „Welt“ sich schützend vor Höcke gestellt hat, und das jahrelang. Ich glaube nicht, dass die „Welt“ tatsächlich eine starke Haltung gegen die AfD hat. Dazu müsste sie die Landolf Ladig-Geschichte aufarbeiten, denn diese ist sehr viel schwerwiegender als die vermeintliche E-Mail Alice Weidels. Ich denke, dass diese E-Mail der „Welt“ zugespielt wurde, die Redaktion hat sie juristisch überprüft und dann überlegt, ob sie darüber berichten kann oder nicht. Sie ist dann das Risiko eingegangen, dafür juristisch Ärger bekommen zu können. In anderen Fällen entscheidet sie nicht so. Wenn sie tatsächlich etwas gegen die AfD machen wollen würde, dann würde sie die Geschichte um Björn Höcke aufgreifen.
Eine andere Sache noch: Alice Weidel ist im linken Umfeld aufgetreten. Das würde eher dagegen sprechen, dass sie sich so krass wie in der der „Welt“ vorliegenden E-Mail äußert. Sie war bis 2016 im linken Umfeld mit ihrer Lebenspartnerin in der Schweiz unterwegs. In dieser Szene sind Töne wie Überfremdung nicht üblich.

Mit Andreas Kemper sprachen Sarina Balkhausen und Carla Reveland.