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Glaubensfragen

Das Thema der vermeintlichen Christenverfolgung wird zur Bundestagswahl politisch ausgenutzt. Christen seien in Deutschland einer zunehmenden Bedrohung ausgesetzt, heißt es vonseiten der AfD. Dabei lässt sich der vermeintlich schwelende Religionskonflikt nicht beweisen.

von Lennart Kutzner

© unsplash.com / Josh applegate

Ein Mann wird in Neukölln geschlagen und geschnitten – mutmaßlich, weil er ein Kreuz um den Hals trug. Ein Einzelfall? Derartige Übergriffe werden nicht erst seit dem Beginn des Wahlkampfes von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen als Beleg für Islamisierung und Christenverfolgung in Deutschland herangezogen. Was steckt hinter dem vermeintlichen Hass auf deutsche Christen? Wird es wieder gefährlich, in Deutschland ein Kreuz zu tragen?

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Unter anderem die AfD nutzt einzelne Übergriffe, um eine pauschale Angst vor Christenverfolgung zu schüren.

Die Straftaten gegen die Religion, so heißt das in der Sprache der Polizei, in aktuellen Kriminalitätsstatistiken nicht gesondert erfasst werden. Deshalb können weder das Bundeskriminalamt noch  das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Aussage über die Christenverfolgung in Deutschland treffen. Das wird sich erst im kommenden Jahr ändern.

„Seit dem 1. August 2017 werden Straftaten gegen Muslime und Christen als Unterkategorie der politisch motivierten Kriminalität gesondert erfasst“, sagt der Berliner Polizeisprecher Thomas Neuendorf. Antisemitisch motivierte Taten werden schon deutlich länger erfasst und vom Staatsschutz verfolgt. Auf Zahlen zu Straftaten gegen Christen und Muslime muss man jedoch noch warten. „Ich rechne mit der ersten Halbjahresstatistik Ende 2018.“ 

Bis dahin gibt es zumindest keine verlässlichen Zahlen zu Delikten, die einen religiösen Hintergrund haben. Neuendorf räumt jedoch ein, dass bestimmte Vorfälle, die ein Zusammenleben von Christen und Muslimen etwa in Flüchtlingsunterkünften erschweren können, nicht zwangsläufig strafrelevant sind. So werden beispielsweise bestimmte Diskriminierungen in der Statistik nicht erfasst. Es ist eben nicht strafbar, sich zu weigern, gemeinsam mit jemand am Tisch zu sitzen oder die Küche zu teilen.

Vor allem in Flüchtlingsunterkünften ein Problem

Eine Zahl, die zumindest suggeriert, dass einige Christen in Deutschland nicht ausreichend geschützt werden, liefert „Open Doors“. Vom 15. Februar bis 30. September 2016 hat der Verein nach eigenen Angaben „religiös motivierte Übergriffe auf 743 christliche Flüchtlinge in deutschen Asylunterkünften“ dokumentiert und spricht dabei von der „Spitze des Eisbergs“. Open Doors nutzt die Zahl dazu, seine eigenen „Forderungen zum Schutz christlicher Flüchtlinge in Deutschland“ zu unterstreichen und auf den notwendigen Schutz der Minderheiten aufmerksam zu machen. Unter anderem fordert der Verein die „getrennte Unterbringung von Christen sowie von anderen religiösen Minderheiten, die bereits Opfer von Verfolgung und Diskriminierung geworden sind“.

Was genau als Verfolgung gilt, ist eine heikle Definitionssache. „Wo fängt Christenverfolgung an? In Lagern in Nordkorea und in islamistischen Ländern ist das auf jeden Fall ein Problem“, erläutert Stephan Holthaus, Rektor der Freien Theologischen Hochschule Gießen. Seine Universität wird zum Jahresende eine Stiftungsprofessur für Christenverfolgung einrichten. Der Blick richtet sich dabei jedoch vor allem in andere Länder.

„Weltweit leidet das Christentum unter Verfolgung. Ein besonderes Problem ist die Konvertierung von Muslimen zum Christentum“, sagt Holthaus. Konvertiten würden oft ausgegrenzt. Von einer Christenverfolgung in Deutschland zu sprechen hält er für übertrieben. „Man muss diese Debatte auf den Boden der Tatsachen holen“, so Holthaus. Etwaige religiös motivierte Übergriffe in Flüchtlingsunterkünften will er mit Blick auf die Konvertiten-Problematik aber nicht ausschließen.

Inwiefern hat die Christenverfolgung in Deutschland zugenommen? Dazu äußerte sich inzwischen auch die evangelische Kirche. Ihre Stellungnahmen haben wir angefügt. 
„Von Christenverfolgung im Sinne flächendeckender und systematischer Diskriminierung kann nicht die Rede sein. Die Situation von Christen und religiösen Minderheiten haben die beiden großen Kirchen sehr ernst genommen und sich in einer Stellungnahme ausführlich geäußert.“