Faktencheck

Doppelmord Jungfernstieg: Geht die Staatsanwaltschaft unrechtmäßig gegen die Veröffentlicher des YouTube-Videos vor?

Am S-Bahnhof Jungfernstieg in Hamburg tötete ein Mann mit einem Messer seine Ex-Frau und das gemeinsame Kind. Im Nachhinein wurde auf YouTube ein Video veröffentlicht, das kurz nach der Tat aufgenommen wurde. Gegen die Verbreiter des Videos wird nun rechtlich vorgegangen. Laut dem Blog „Jürgen Fritz“ geschieht dies unrechtmäßig.

von Caroline Schmüser

Problematisch laut Staatsanwaltschaft: Das Video zeigt unter anderem, wie Ersthelfer eine Herz-Rhythmus-Massage an der Verletzten durchführen. (Symbolbild)© CPR Training von Rama unter Lizenz CC BY-SA 2.0 fr

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Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen die Veröffentlicher. Eine Strafe wurde noch nicht ausgesprochen, die Staatsanwaltschaft hält die Aufnahmen aber für problematisch. An der Strafbarkeit der beiden Männer bestehen juristische Zweifel.

Am 12.04.2018 ereignete sich in Hamburg eine schreckliche Tat: Ein Mann stach am S-Bahnhof Jungfernstieg mit einem Messer auf eine Frau und deren 1-jähriges Kind ein. Das Kind verstarb sofort, die Mutter erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Bei den Opfern handelt es sich um die Ex-Frau des 33-jährigen Mannes aus dem Niger sowie das gemeinsame Kind.

Der Blog „Jürgen Fritz“ schreibt, der Täter habe „seinem einjährigen Kind den Kopf abgetrennt“. Als Quelle für diese Information nennt „Jürgen Fritz Blog“ ein YouTube-Video. Dieses Video wird schon seit mehreren Tagen von rechten Blogs wie „Truth24“ und „Schlüsselkind“ geteilt und kommentiert. Die Staatsanwaltschaft würde versuchen, dieses Detail zu vertuschen, und mit „harter Hand gegen diejenigen vorgehen, die sie für die Verbreitung des Videos verantwortlich machen“.

So kam es zu einer Hausdurchsuchung bei dem Mann, der das Video des Tatorts auf YouTube ursprünglich veröffentlicht hatte. Im Netz kursieren derzeit ein angeblicher Durchsuchungsbeschluss und ein Durchsuchungsprotokoll.  Die Dokumente enthalten auch nähere Details zum Tathergang. „Jürgen Fritz Blog“ nennt die Hausdurchsuchung „illegitim“.

Wir haben mit der Hamburger Staatsanwaltschaft und der Polizei Hamburg über die Vorwürfe gesprochen, und uns bei unabhängigen Experten zur Rechtslage kundig gemacht. Hier die Antworten.

Details zu Verletzungen gegen Persönlichkeitsrechte

Die Information, das Kind sei vom Täter enthauptet worden, entnimmt „Jürgen Fritz Blog“ einem YouTube-Video. Das Video wurde kurz nach der Tat am Tatort aufgenommen und zeigt den Körper des leblosen Kindes sowie die in einer Blutlache liegende Mutter, außerdem Zeugen, Lebensretter und Polizeibeamte. Der Filmende hält die Kamera immer wieder auf die Opfer und sagt an einer Stelle: „He cut off the head of the baby“.

Laut dem Autor Jürgen Fritz hatten die Polizei und Staatsanwaltschaft Hamburg nicht gewollt, dass die Öffentlichkeit erfahre, dass das einjährige Baby „geköpft wurde“. „Eine offizielle Bestätigung dazu gab es nicht und die sollte es wohl auch nicht geben“, so der Blog.

Auf Anfrage teilte uns die Oberstaatsanwältin Nana Frombach der Staatsanwaltschaft Hamburg mit, dass das Kind „aufgrund schwerer Schnittverletzungen am Hals verstarb.“ Mehr Details zum Tathergang sowie zu den Verletzungen der Opfer könne die Staatsanwaltschaft nicht geben.

Dies sei jedoch nicht unüblich, sondern habe rechtliche Gründe: Zum einen würden die Ermittlungen noch laufen, zum anderen könne man dies wegen dem „Schutz der Persönlichkeitsrechte des Kindes“ nicht mitteilen. Das Persönlichkeitsrecht gilt auch über den Tod einer Person hinaus.

„Erst wenn es zu einer gerichtlichen Anklage kommt, werden Details zum Tathergang der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“, erklärte Frombach.

Behörden gehen gegen Veröffentlicher des Videos vor

Jürgen Fritz kritisiert nun, dass gegen die Männer, die das Video publik machten, strafrechtlich vorgegangen wird. An dem Video sei „nichts, aber auch gar nichts justiziabel“, heißt es im Artikel.

Das sieht die Staatsanwaltschaft anders: Das Video steht im Verdacht, die Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen zu verletzen. So macht sich laut Strafgesetzbuch strafbar, wer „eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt“, und auch wer solche Bildaufnahmen „gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht“.

Obertaatsanwältin Nana Frombach teilte uns telefonisch mit, besonders problematisch sei, dass der entblößte Bauch der Verletzen und die Durchführung der Reanimationsmaßnahmen von Ersthelfern klar zu sehen seien. Die Frau rang während der Aufnahme außerdem mit dem Tod.

Das leugnet Jürgen Fritz. Er behauptet, „die am Tatort agierenden Ersthelfer bei der Durchführung der Herz-Rhythmus-Massage“ seien nicht zu sehen – das ist aber falsch. CORRECTIV kann nach Sichtung des Videomaterials die Aussage Frombachs bestätigen.

Eine weitere Begründung von Jürgen Fitz lautet, man sehe kein Gesicht und keine Verletzungen.

Juristisch umstritten

Die Begründung von Jürgen Fritz ist wohl nicht haltlos. Nora Lorentz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienrecht der Universität Köln, schätzte den Fall für uns sein.

Die Aussage „nichts, aber auch gar nichts justiziabel“ ginge zu weit, so Lorentz. Eine Strafbarkeit der Verbreiter des YouTube-Videos sei nicht vollkommen ausgeschlossen. Aber sie sei auch nicht unbedingt zwingend und sogar zweifelhaft.   

Der Fall betreffe rechtlich, so Lorentz, eine Strafbarkeit nach § 201a StGB. Es würden sich jedoch zwei Probleme stellen: Zum einen, ob neben lebenden auch sterbende oder gestorbene Personen vom betreffenden Paragraphen umfasst seien. Dies sei in der juristischen Literatur umstritten.

Fraglich sei außerdem, ob die Frau oder das Kind auf dem Video entsprechend erkennbar waren. Auch zu dieser Sachlage gäbe es unterschiedliche Meinungen: Von einigen Juristen würde eine klare Erkennbarkeit gefordert, andere würden wiederum behaupten, die abgebildete Person müsse nicht zwingend vollständig erkennbar sein.