Faktencheck

Reform der Grundsteuer ist keine Enteignung

Die Nachrichtenseite „Watergate.tv“ behauptet, durch eine Reform könne die Grundsteuer um das Zehnfache ansteigen. Das ist so nicht richtig. Aber das Thema ist kompliziert. EchtJetzt ordnet die Aussage ein.

von Kjell Knudsen

Grundsteuer nicht vor Verzehnfachung (Symbolbild)© Andreas Gücklhorn / Unsplash

Bewertung
Teilweise falsch
Über diese Bewertung
Es droht keine Enteignung. Der Titel ist ein Clickbait und es fehlen relevante Informationen. Die Grundsteuerreform ist noch nicht beschlossen. „Watergate.tv“ zeigt nur eine Perspektive – die der Immobilienwirtschaft.

In einem Bericht vom 10. Juni 2018 hat „Watergate.tv“ angeblich „aufgedeckt“, dass die „Enteignung“ durch eine Reform der Grundsteuer bevorsteht. Die Steuer werde sich verzehnfachen, heißt es in der Überschrift weiter. Sind diese Aussagen richtig? Wir haben die Zusammenhänge überprüft.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 10. April 2018 sein Urteil zur Grundsteuer verkündet. Demnach ist die bestehende Erhebung der Steuer verfassungswidrig und bedarf einer Reform. Bis zum 31.12. 2019 muss die Grundsteuer neu geregelt werden. Darum diskutieren aktuell Politiker, Verbände und Wissenschaftler über Möglichkeiten, wie eine solche Regelung aussehen könnte.

Urteil_BVerfG.PNG

Screenshot Urteil des Bundesverfassungsgerichtes

Was ist die Grundsteuer?

Grundstücksbesitzer zahlen Grundsteuer an die Kommunen. Bisher basiert die Steuer auf drei Kennzahlen: Einheitswert, Messzahl und Hebesatz. Der Einheitswert legt den Wert eines Grundstückes fest, die Messzahl richtet sich nach der Art des Gebäudes auf dem Grundstück und den Hebesatz bestimmt jede Gemeinde selbst. Aufgrund des hohen Aufwandes wurden die meisten Grundstücke in Deutschland allerdings seit 1964 nicht neu vom Staat bewertet. So entsprechen die Einheitswerte schon lange nicht mehr den realen Werten. Das Bundesverfassungsgericht spricht von „flächendeckenden, zahlreichen und erheblichen Wertverzerrungen“ und bewertet dies als verfassungswidrige Ungleichheit.

Ein Gesetzentwurf für die fällige Reform wurde 2016 vom Bundesrat beschlossen. Bis zum Ende der vergangenen Legislaturperiode hat sich der Bundestag allerdings nicht damit befasst. Damit ist der Entwurf in dieser Form hinfällig. Die Bundesländer hatten eine Neubewertung mit einer Kombination aus Grundstücks- und Gebäudewert vorschlagen. Diese neue Zahl sollte den Einheitswert ersetzen. Der Gebäudewert orientierte sich dabei an den Baukosten und dem Alter der Immobilie. Aktuell arbeitet der Bundestag „mit Hochdruck“ an einer Neuregelung der Grundsteuer, wie die Bundesregierung mitteilte.

Die Quellen von „Watergate.tv“

Die Seite „Watergate.tv„ spricht in diesem Zusammenhang von „Enteignung“, die laut Kritikern in Deutschland „auf Hochtouren laufe“. Eine Quelle dafür wird aber nicht genannt.  Außerdem stehe eine „Verzehnfachung“ der Grundsteuer bevor, wenn die Hebesätze und Messzahlen nicht angepasst werden. Dabei bezieht sich der Artikel auf Äußerungen des „Zentralen Immobilien Ausschusses“ (ZIA) im „Focus“. Der Immobilienverband lehne das Modell des Bundesrates ab. Auf Nachfrage von „EchtJetzt“ bestätigte ZIA Pressesprecher André Hentz diese Aussagen. Der Verband sehe keine Absichten der Kommunen, die Hebesätze zu senken und gehe deshalb von einem Anstieg der Steuer aus.

Mail_ZIA.png

Screenshot aus einer Mail vom Pressesprecher des ZIA, André Hentz

Sind die Argumente haltbar?

Das Problem dabei: In dem Gesetzentwurf ist festgehalten, dass die Bundesländer eine „bundesweit gesamtaufkommensneutrale Reform“ anstreben. Das bedeutet, die Gesamteinnahmen für den Staat steigen nicht. Das könne durch eine Anpassung der Messzahlen und Hebesätze durchaus erreicht werden, sagte Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre an der Hochschule Trier, gegenüber EchtJetzt. Natürlich werde es nach dem Modell des Bundesrates Gewinner und Verlierer geben. Für einige Grundstücke wird die Grundsteuer also steigen, während sie gleichzeitig für andere sinken wird. Laut Löhr würden von einem Anstieg besonders Grundstücke in begehrten Lagen betroffen sein. Dies erkläre auch den starken Protest des ZIA, dessen Mitglieder meist Immobilien in zentraler Lage besäßen. Beim wertabhängigen Bundesratsmodell hätte die Lage eines Grundstückes direkten Einfluss auf die Höhe der Steuer. Gut gelegene Immobilien würden demnach höher besteuert werden als schlecht gelegene.

Bundesrat Entwurf.PNG

Screenshot aus dem Gesetzenwurf des Bundesrates

Keine Enteignung durch die Grundsteuer

Eine „Enteignung“, die „Watergate.tv“ unterstellt, sei die Grundsteuer nicht, erklärt Steuerexperte Löhr. Es sei eine Steuer, wie jede andere auch. Die Grundsteuer sei im internationalen Vergleich sogar eher moderat. Sie mache zwei Prozent des gesamten Steueraufkommens aus. In den USA seien es dagegen zwölf Prozent. Daran ändere sich auch durch die Reform der Grundsteuer nichts, denn die Gesamteinnahmen blieben nach den aktuellen Plänen gleich. „Mit dem Begriff ‘Enteignung’ wird ein Gespenst an die Wand gemalt“, sagte Löhr.

Debatte über die Neuregelung

Fakt ist: Der Bundestag hat die Reform der Grundsteuer noch nicht beschlossen. Gegen das Modell des Bundesrates gibt es von verschiedenen Seiten Kritik. Hamburg und Bayern haben dem Entwurf nicht zugestimmt und auch der Mieterbund fordert eine andere Regelung. Besonders der hohe bürokratische Aufwand und die starke Besteuerung von Neubauten werden kritisiert.

Denkbare Alternativen wäre etwa eine reine Bodensteuer, die nur den Wert des Grundstücks besteuert. Der Mieterbund favorisiert diese Lösung. Ein anderes Modell berechnet die Grundsteuer aus der Fläche von Grundstück und Gebäude. Diesen Vorschlag unterstützen Hamburg und Bayern, aber auch der ZIA.

„Watergate.tv“ mit Clickbait

Der Artikel von „Watergate.tv“ übernimmt die Aussagen des Immobilienverbandes unkritisch. Wichtige Informationen zur Einordnung der Diskussion um die Grundsteuerreform fehlen. Die Berichterstattung ist einseitig und vermischt Information und Meinung. Das Wort „Enteignung“ im Titel hat mit der Debatte nichts zu tun und ist ein Clickbait.

Anmerkung, 6. Juli 2018: Wir haben eine Stelle im Text korrigiert. Zuvor hieß es, dass ein Entwurf von 2016 dem Bundestag zur Entscheidung vorliegt. Richtig ist, dass aktuell an einer neuen Fassung gearbeitet wird.