Faktencheck

Nein – Regierung hat Berichterstattung im Mordfall Jungfernstieg nicht verboten

Die Website „News for Friends” behauptet, Merkel hätte im Mordfall am Hamburger Jungfernstieg im April diesen Jahres die Medienberichterstattung verboten. Das ist falsch.

von Caroline Schmüser

Die Tat ereignete sich am unterirdischen S-Bahnhof Jungfernstieg in Hamburg. (Bild: Hamburger S-Bahn fährt an der Elbphilharmonie vorbei.)© Christoph Mahlstedt / Unsplash

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Die Aussage ist falsch. Die Berichterstattung wurde nicht verboten. Details zur Tat werden zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Opfer nicht preisgegeben. Das YouTube-Video steht ebenso im Verdacht, die Persönlichkeitsrechte der Opfer zu verletzen.

Am 7. Juli 2018 veröffentlichte die Website „News for Friends“ einen Beitrag mit der Überschrift: „Migrant köpft 1-jähriges Mädchen in Deutschland; Merkel verbietet Medienberichterstattung!“ Gemeint ist der Mordfall am Hamburger Jungfernstieg am 12. April 2018. Ein 33-jähriger Mann aus dem Niger tötete am S-Bahnhof Jungfernstieg mit einem Messer seine Ex-Frau und die gemeinsame einjährige Tochter. Der Artikel wurde laut Daten von Facebook bisher mehr als 5000 Mal geteilt.

Laut „News for Friends“ soll ein YouTube-Video belegen, dass der Täter das Kind enthauptet habe. Dazu heißt es im Beitrag: „Den deutschen Medien wurde von der Regierung gestattet, über den Mord an der Mutter zu berichten, doch die pro-migrantische Regierung von Angela Merkel untersagte deutschen Medien, über das enthauptete Baby zu berichten.“

Die „deutschen Behörden“ sollen außerdem angewiesen worden sein, „Blogger zu kritisieren, die beim Verteilen des Materials aufgegriffen wurden“. Als Beispiel führt „News for Friends“ eine Hausdurchsuchung an, zu der es laut Internet-Gerüchten bei dem Hamburger gekommen sein soll, der das besagte YouTube-Video öffentlich gemacht hatte.

Als Quelle für diese Behauptungen nennt „News for Friends“ die englischsprachige, verschwörungstheoretische Website „YourNewsWire.com“.

Beide Aussagen sind jedoch falsch. CORRECTIV hat mit der Hamburger Staatsanwaltschaft gesprochen.

Das YouTube-Video

Die Information, das Kind sei vom Täter enthauptet worden, entnahm „News for Friends“ ursprünglich einem YouTube-Video. Das Video wurde kurz nach der Tat am Tatort aufgenommen. Der Filmende hält die Kamera auf die Opfer und sagt dabei: „He cut off the head of the baby“.

„News for Friends“ wirft der Regierung vor, sie habe die Presse angewiesen, über dieses Detail nicht zu berichten.

Auf Anfrage teilte uns die Staatsanwaltschaft Hamburg mit, dass das Kind „aufgrund schwerer Schnittverletzungen am Hals verstarb.“ Mehr Einzelheiten zum Tathergang sowie zu den Verletzungen der Opfer könne die Staatsanwaltschaft nicht geben.

Dies sei jedoch nicht unüblich, sondern habe rechtliche Gründe: Zum einen würden die Ermittlungen noch laufen, zum anderen könnte man dies wegen des „Schutzes der Persönlichkeitsrechte des Kindes“ nicht mitteilen. Das Persönlichkeitsrecht gilt auch über den Tod einer Person hinaus.

„Erst wenn es zu einer gerichtlichen Anklage kommt, werden Details zum Tathergang der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“, erklärte die Hamburger Oberstaatsanwältin Nana Frombach.

Die Medienberichte

Die Behauptung von „News for Friends“, die „pro-migrantische Regierung von Angela Merkel untersagte den deutschen Medien, über das enthauptete Baby zu berichten“, ist nicht richtig. Über den Mord an dem Baby berichteten viele Medien, allerdings nicht über eine Enthauptung – da sie bis heute nicht bestätigt wurde.

So schrieb beispielsweise die „Hamburger Morgenpost“ bereits am Tattag über den Mord an dem Kind: „Laut Polizei verstarb das Kleinkind aufgrund der schweren Verletzungen noch vor Ort. Der Täter habe ‘sehr massiv auf beide eingestochen.’“ Und auch das „Hamburger Abendblatt“ schrieb: „Das einjährige Mädchen verstarb aufgrund der schweren Stichverletzungen.“ Lediglich von einer, von den Behörden bisher nicht bestätigten, Enthauptung war nicht die Rede.  

Ebenso berichteten der „NDR“, „stern“, „Zeit“, und zahlreiche andere deutschsprachige Medien über den Doppelmord.

Die Wohnungsdurchsuchung

Bei dem Mann, der ursprünglich das Video des Tatorts auf YouTube veröffentlicht hatte, soll es zu einer Wohnungsdurchsuchung gekommen sein. Im Netz kursierten Ende April ein angeblicher Durchsuchungsbeschluss sowie ein Durchsuchungsprotokoll.

Die Gerüchte über eine Wohnungsdurchsuchung wollte Pressesprecherin und Oberstaatsanwältin Nana Frombach im April zunächst nicht bestätigen. Am 4. Mai kam dann eine Bestätigung durch Hamburger Senat, im Rahmen einer Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD.

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Screenshot aus der kleinen Anfrage.

Oberstaatsanwältin Frombach teilte uns damals telefonisch mit, dass das YouTube-Video im Verdacht stünde, die Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen zu verletzen.

Laut Strafgesetzbuch macht sich strafbar, wer „eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt“, und auch wer solche Bildaufnahmen „gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht“. Auch „News for Friends“ teilte das fragwürdige Video.

Laut Frombach sei besonders problematisch, dass der entblößte Bauch der Verletzten und die Durchführung der Reanimationsmaßnahmen von Ersthelfern auf dem Video klar zu sehen seien. Die Frau rang während der Aufnahme außerdem mit dem Tod.

Update, 30. Juli 2018: Der ursprüngliche Artikel enthielt veraltete Informationen in Bezug auf die Hausdurchsuchung. Wir haben daher den Beleg durch die kleine Anfrage hinzugefügt. Außerdem haben wir eine missverständliche Stelle im Text verändert, um zu verdeutlichen, dass die Aussage von „News for Friends“ falsch ist, über den Mord an dem Baby sei nicht berichtet worden.