Faktencheck

Keine sexuellen Übergriffe auf Anti-Nazi-Konzert

Ein Blog behauptet, es habe im Rahmen des „Wir sind mehr”-Konzerts in Chemnitz 187 sexuelle Übergriffe gegeben. Dafür gibt es keine Belege.

von Marita Wehlus

Es gibt keine Hinweise für Übergriffe auf dem „Wir sind mehr”-Konzert. (Symbolbild)© Free-Photos / Pixabay

Bewertung
Frei erfunden
Über diese Bewertung
Die Behauptung ist erfunden. Es gibt keine Belege für sexuelle Übergriffe auf dem Konzert in Chemnitz. Der Autor äußert eine reine Vermutung. Die Zahl 187 ist nicht belegbar oder nachvollziehbar.

Der Blog Halle Leaks schreibt am 4. September 2018, es habe bei dem Konzert gegen Rassismus und Hetze 187 sexuelle Übergriffe gegeben. Es wird impliziert, die Täter seien Migranten. Die Opfer würden die Taten nicht anzeigen, aus Scham die Tätergruppe verteidigt zu haben, heißt es in dem Text. Das „Wir sind mehr“-Konzert, bei dem unter anderem die Toten Hosen auftraten, fand am 03. September 2018 in Chemnitz statt, weder der Polizei noch Chemnitzer Opferverbänden sind sexuelle Übergriffe bekannt.

Polizei und Opferhilfe weiß von nichts

Die Polizei Chemnitz teilt auf Anfrage von CORRECTIV mit, dass Ihnen keine Vorfälle bekannt sind. „Im Rahmen des Einsatzes zum Konzert am 3. September 2018 sind bislang keine derartigen Anzeigen erstattet worden“, schreibt eine Pressesprecherin der Polizei.

Halle Leaks behauptet, Opfer würden aus Scham ohnehin keine Anzeige erstatten. Doch auch ohne Initiative des Opfers hätte es Anzeigen geben können.

„Wenn die Kollegen so etwas sehen, dann erfolgt eine Anzeige von Amtswegen“, heißt es von der Polizei Chemnitz. Hätten Einsatzkräfte Übergriffe auf der Veranstaltung mitbekommen, wäre dies also vermerkt.

ScreenshotAntwortmailPolizeiChemnitz12_09_18.PNG

Screenshot einer Antwortmail der Polizeidirektion Chemnitz auf Anfrage von CORRECTIV am 12.09.2018.

Auch bei Opferverbänden sind keine Fälle bekannt. Auf telefonische Anfrage teilen uns die Anlaufstellen der Opferhilfe Sachsen und des Wildwasser e.V. ein Verein gegen sexualisierte Gewalt, mit, dass in diesem Zusammenhang keine Frau zur Beratung gekommen sei.

Keine Fakten, nur Vermutung

Der Betreiber von Halle Leaks, Sven Liebich, will auf Nachfrage von CORRECTIV nicht klären, woher die Zahl stammt. Auf YouTube findet sich jedoch ein Video von Liebich zum Thema. Text und Überschrift decken sich genau mit dem Artikel auf Halle Leaks. Veröffentlicht wurde es ebenfalls am 04. September. Darin sagt Liebich: „Ich vermute, gestern gab es Übergriffe zuhauf.“ Von den 187 Fällen spricht er nicht, auch wenn das Video die Zahl im Titel nennt: „187 sexuelle Übergriffe auf wirsindmehr-Konzert in Chemnitz“.

ScreenshotYoutubeCaption_12_09_18.PNG

Screenshot von YouTube, erstellt am 12.09.2018.

Bereits am 03. September 2018 veröffentlichte Liebich ein Video mit dem Titel „wirsindmehr-Konzert 187 sexuelle Übergriffe“ auf YouTube. Dieses wurde im Halle Leaks-Artikel vom 04. September verlinkt. Inzwischen ist es gelöscht. Grund: Verstoß gegen die YouTube-Richtlinien zur Hassrede.

Falschmeldungen über Sexualverbrechen in Chemnitz

Anfang September gab es schon einmal eine Falschmeldung über Sexualdelikte in Chemnitz. Der sächsische AfD-Landesvorstand Maximilian Krah hatte behauptet, von Januar bis Juli 2018 seien in Chemnitz 60 Frauen vergewaltigt worden. 56 der Tatverdächtigen seien Migranten, schreibt er in einem auf Twitter geposteten Artikel im Deutschland Kurier. Die Polizei Sachsen klärte daraufhin in einem Tweet auf: Die Zahlen seien falsch, es habe 14 Vergewaltigungen gegeben, von den 12 Tatverdächtigen seien drei nichtdeutscher Herkunft.

ScreenshotPolizeiSachsenTwitter_12_09_18.png

Screenshot vom Twitter-Account der Polizei Sachsen, erstellt am 12.09.2018.