Hintergrund

Mythos „Corona-Knast“: Wo und wie Quarantäne-Verweigerer untergebracht werden

Wer Corona hat, muss in Quarantäne. Einige Menschen halten sich jedoch nicht daran. Ihnen droht in einigen Bundesländern die sogenannte Zwangsabsonderung. Manche bezeichnen das als „Corona-Knast“. Doch was genau ist damit gemeint – und lassen sich diese Einrichtungen wirklich so bezeichnen?

von Steffen Kutzner

Virus Outbreak Vaccine Prisons
Durch Schlagzeilen und Kommentarspalten geistert der Begriff „Corona-Knast“. Aber was ist das überhaupt – und wer kommt dort hin? (Symbolbild: Picture Alliance / Associated Press / David Zalubowski)

Wo eine Pandemie ist, sind die nicht weit, die nicht an ihre Existenz glauben. Sie weigern sich, Masken zu tragen, feiern heimlich illegale Partys, halten das Virus für eine Erfindung oder eine Variante der Grippe. So kommt es, dass es Menschen gibt, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben oder in Verdacht stehen, infiziert zu sein – und sich trotzdem nicht an die Quarantäne-Auflagen halten.

Weil das im Zweifel Menschenleben gefährdet, haben einige Bundesländer beschlossen, diese Gefahr für die Gesellschaft zu bekämpfen, so wie es auch im Infektionsschutzgesetz vorgesehen ist: Die Gefährder sollen zeitweise zwangsuntergebracht werden. Zunächst im Kreis der Corona- und Regierungskritiker, später auch in Medienberichten wurde das mit einer Gefängnisstrafe gleichgesetzt. „Im Knast der Quarantäne-Verweigerer – Wer nicht hören will, muss sitzen“, titelte etwa Bild am 22. Januar. Auch die Taz nutzte diesen Begriff: „Coronaschutz mit Härte – Knast für Quarantäne-Verweigerer“. 

Das klingt nach Essen aus Plastiknäpfen, Toiletten aus Edelstahl, und nach verschlossenen Zellentüren, vor denen bewaffnete Wachen patrouillieren. Doch ist das wirklich so? Ein Blick auf einige Beispiele in der Bundesrepublik zeigt: Als „Knast“ lassen sich solche Einrichtungen nicht bezeichnen – meistens. 

Quarantäne-Verweigerern drohen zunächst offizielle Ermahnungen und Bußgeldverfahren

Zunächst muss man verstehen, wann es in der Theorie überhaupt zu einer solchen Zwangsunterbringung kommt. Grundsätzlich gilt: Die häusliche Quarantäne hat Vorrang. Das bedeutet, dass eine Quarantäne zunächst einmal zuhause, in den eigenen vier Wänden, verbracht werden soll. Wenn sich Personen dem widersetzen, folgen mehrere Schritte. Das Verfahren, einen Quarantäne-Verweigerer in einer Einrichtung zwangsunterzubringen, ist langwierig, wie uns ein Sprecher des Sächsischen Innenministeriums erklärt: „In der Praxis wird seitens des zuständigen Gesundheitsamtes zunächst die Quarantäne festgestellt. Daran schließt sich die eindringliche Ermahnung und bei weiterem Widersetzen die Einleitung eines Bußgeldverfahrens an“. 

Erst wenn alle anderen Maßnahmen keine Wirkung zeigen, werde durch richterliche Anordnung die Unterbringung in einer bewachten Einrichtung eingeleitet. So heißt es etwa in einem Schreiben des Sozialministeriums Baden-Württemberg an die Kommunen vom 22. Januar: „Die zwangsweise Unterbringung nach § 30 Absatz 2 IfSG ist ultima ratio.“ Die Reihenfolge der Maßnahmen ist nach unseren Recherchen in allen Bundesländern gleich. Ohne mehrfache Quarantäne-Verstöße, offizielle Ermahnungen („Gefährderansprache“) und die Verhängung von Bußgeldern, die gewöhnlich bei etwa 500 Euro liegen, im Wiederholungsfall aber auch auf 25.000 Euro steigen können, kommt niemand in einen „Corona-Knast“.

Die meisten Bundesländer haben keine zentrale Einrichtung für Quarantäne-Verweigerer

In den meisten großen Städten wie Berlin, Köln, Hannover oder Leipzig gibt es nach unseren Recherchen jedoch überhaupt keine Einrichtungen für Quarantäne-Verweigerer. Einige Bundesländer setzen stattdessen auf eine oder mehrere zentrale Einrichtungen für das gesamte Bundesland: Seit Mai 2020 gibt es etwa in Solingen in Nordrhein-Westfalen ein Krankenhaus für infizierte Quarantäne-Verweigerer, wie uns das Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen per E-Mail mitteilte. Und im Norden Dresdens wird laut dem Sächsischen Innenministerium ein ursprünglich als Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge gebauter Trakt vorgehalten. Dem Ministerium zufolge soll das Areal rund um die Uhr bewacht werden. Insgesamt seien 30 Beamte dafür eingeplant. Tatsächlich untergebracht sei dort bisher (Stand: 30. März 2021) jedoch noch niemand gewesen, obwohl die Einrichtung, die in unmittelbarer Nähe einer Justizvollzugsanstalt liegt, einsatzbereit sei.

Vereinzelt gibt es für Quarantäne-Verweigerer Einrichtungen in Gefängnissen

Schaut man nicht in den Osten, sondern nach Norden, vorbei an Bremen, wo es im Frühsommer 2020 laut eines Pressesprechers des Bremer Gesundheitssenats einen einzigen Fall einer Einweisung in eine dafür angemietete Krankenstation gegeben hat; und vorbei an Hamburg, wo es bisher, wie in vielen anderen Bundesländern auch, gar keinen Fall gab, fällt der Blick auf Segeberg in Schleswig-Holstein. Segeberg ist ein ländlicher Kreis unmittelbar nördlich von Hamburg. Dort gibt es eine Einrichtung, die auf den ersten Blick tatsächlich einem „Corona-Knast“ ähnelt.

Bild der Jugendarrestanstalt Moltsfelde vom 18. Januar 2021
Die Jugendarrestanstalt Moltsfelde in Segeberg (Quelle: Picture Alliance / DPA / Axel Heimken)

Seit Anfang Februar gebe es, so teilt eine Sprecherin des Landkreises mit, einen „abgegrenzten Teil des Geländes der Jugendarrestanstalt Moltsfelde bei Neumünster“, der für Zwangsunterbringungen genutzt werden könne. „Genutzt wird ein Flurtrakt mit sechs Arrestzellen“, die abgeschlossen würden. Was nach Gefängnis klingt, hat jedoch, abgesehen von dem äußeren Anschein, nicht viel mit einer tatsächlichen Inhaftierung zu tun. Der Trakt stehe in keiner Verbindung mit dem Gefängnis, auch organisatorisch nicht. Außerdem, so erklärt die Sprecherin, könne eine Person, die dem zuständigen Gericht glaubhaft versichere, sich fortan an die Quarantäne-Auflage zu halten, die Einrichtung wieder verlassen. 

Der „Corona-Knast“ in Segeberg ist also eher als Abschreckungsmaßnahme zu verstehen. Laut des Landkreises liegt die Zahl der dort zwangsuntergebrachten Quarantäne-Verweigerer bisher bei null (Stand: 30. März 2021).

Eine ähnliche Einrichtung gibt es in Brandenburg, in der ehemaligen Abschiebehaftanstalt Eisenhüttenstadt. Dort stünden 36 Plätze für Zwangsunterbringungen zur Verfügung, so eine Sprecherin des Brandenburgischen Innenministeriums. 2017 sei das Gebäude stillgelegt und im April und Mai 2020 im Erdgeschoss renoviert worden, um Quarantäne-Verweigerer unterbringen zu können. 

„In der Einrichtung gibt es zwei voneinander getrennte Ausgangsbereiche, eine regelmäßige Essensversorgung (Auswahl vegetarisch/carnisch), die Möglichkeit, sich Tee und Kaffee zuzubereiten, Sportgeräte, Tischfußball, W-Lan und mehrsprachiges TV.“ Außerdem werde bei Bedarf eine ärztliche und soziale Betreuung angeboten, so das Ministerium. Geöffnet wurde die Einrichtung für diesen Zweck Anfang Juni. Bis Anfang Februar waren dort laut der Sprecherin insgesamt 18 Personen untergebracht, die im Schnitt zehn Tage bleiben mussten. 

Zwangsunterbringung von Quarantäne-Verweigerern ist keine Haft

Das Gelände in Eisenhüttenstadt sei laut des Innenministeriums zwar von einem Zaun umgeben und werde von einem Wachdienst beaufsichtigt, im Falle einer Flucht würde dieser aber keinen unmittelbaren Zwang anwenden. „So würde der Wachschutz zum Beispiel etwaige Fluchtversuche anzeigen, diese aber nicht abstellen.“ Sprich: Die Wachen würden dort niemanden nachhaltig an der Flucht hindern, sondern die Polizei rufen, sofern jemand aus der Unterbringung flieht.

Auch vorbestraft ist man nach einer Zwangsunterbringung nicht. Dabei ist es unerheblich, ob man nun in einer Krankenstation oder in einem tatsächlichen Gefängnistrakt untergebracht war. Der Grund dafür ist, dass eine solche Zwangsunterbringung keine Strafmaßnahme sei, „sondern eine Maßnahme des Infektionsschutzes“, erklärt Pascal Murmann vom Sozialministerium Baden-Württemberg. Die Zwangsunterbringung sei keine neue Maßnahme, sondern konnte im Rahmen des Infektionsschutzes auch bisher schon angeordnet werden, etwa in Fällen von Tuberkulose. 

Murmann fasst zusammen: „Allgemein lässt sich sagen, dass es sich bei hartnäckigen Quarantäne-Verweigerern klar um Einzelfälle handelt.“ 

Dies gilt nicht nur für Baden-Württemberg. In fast allen Bundesländern, die zentrale Einrichtungen für Quarantäne-Verweigerer zur Verfügung stellen, ist die Zahl der tatsächlich zwangsabgesonderten Verweigerer bisher einstellig, wie unsere Recherchen ergaben. 

Und viele Bundesländer halten eine solche Einrichtung auch gar nicht erst vor, etwa Bayern, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen oder das Saarland. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Paragraph des Infektionsschutzgesetzes zur sogenannten Absonderung dort nicht umgesetzt würde. 

In Bayern etwa, wo es keine zentrale Einrichtung gibt und auch keine geplant ist, gab es zwischen dem 1. September 2020 und dem 18. Januar 2021 46 Zwangsabsonderungsbeschlüsse für Quarantäne-Verweigerer, wie uns ein Ministeriumssprecher per E-Mail mitteilte. Einen solchen Beschluss, der die Einweisung in eine entsprechende Einrichtung anordnet, erlässt ein Richter, wenn jemand die Quarantäne wiederholt bricht. Hält ein Bundesland keine zentrale Einrichtung für Quarantäne-Verweigerer vor, wird geprüft, in welchem Krankenhaus (oder einer ähnlichen Einrichtung) ein geeignetes Zimmer frei ist. 

Entscheidend für den Unterbringungsort: Symptome oder keine Symptome?

Bei der Wahl der Einrichtung, in die ein Quarantäne-Verweigerer kommt, spielen zwei Faktoren eine Rolle: Zum einen die Frage, ob es einen positiven Test gab, und zum anderen, ob die Person Symptome entwickelt hat. Insgesamt entstehen so vier Personengruppen, die in Paragraph 2 des Infektionsschutzgesetzes als Kranke, Krankheitsverdächtige, Ausscheider und Ansteckungsverdächtige eingeteilt werden. Alle vier Personengruppen könnten andere Leute anstecken, deshalb müssen alle in Quarantäne. Wer Symptome entwickelt, wird in einem Krankenhaus untergebracht, wer keine Symptome hat, kann jedoch auch in eine andere geeignete Einrichtung gebracht werden – wie eine umgebaute Erstaufnahmeeinrichtung. 

Der Krankenhaustrakt in Solingen, den Nordrhein-Westfalen als zentrale Einrichtung für Quarantäne-Brecher zur Verfügung stellt, ist entsprechend auch nur für Menschen mit Symptomen gedacht, während die Einrichtungen in Dresden und Segeberg nur für Personen vorgesehen sind, die keine Symptome haben. 

Wer keine Symptome entwickelt, bleibt jedoch pauschal nur für 14 Tage in häuslicher Quarantäne. Dass man in so kurzer Zeit mehrmals beim Brechen der Quarantäne erwischt wird und den mehrstufigen Verwaltungsprozess bis hin zur richterlichen Anordnung der Zwangsabsonderung durchläuft, ist unwahrscheinlich. Das ist neben dem Vorrang der häuslichen Quarantäne eine weitere Antwort auf die Frage, weshalb die Zahl der zwangsuntergebrachten Quarantäne-Verweigerer in den einzelnen Bundesländern so gering ist.

Wer zahlt für die Zwangsunterbringung von Quarantäne-Verweigerern?

Verstößt jemand gegen die Quarantäne-Auflagen, handelt es sich juristisch zunächst lediglich um eine Ordnungswidrigkeit – zuständig sind in diesem Fall die einzelnen Landkreise und die Ordnungsämter. Verletzt man die Quarantäne jedoch und infiziert dabei andere, kann aus der Ordnungswidrigkeit eine Straftat werden, für die bis zu fünf Jahre Haft drohen. Sowohl das Ordnungsamt als auch Gefängnisse werden aus öffentlicher Hand finanziert. Das gilt auch für Zwangsabsonderungen für Quarantäne-Brecher, wie uns die Ministerien der Bundesländer mitteilten.

In Sachsen werde derzeit noch geprüft, ob Quarantäne-Verweigerer die Kosten ihrer Zwangsunterbringung selbst zu tragen haben, erklärt das Innenministerium. Die Kosten für den Zellentrakt in Segeberg und für die renovierte Abschiebehaftanstalt in Brandenburg trägt die jeweilige Kommune, beziehungsweise das Land – und damit der Steuerzahler.

Zusammengefasst: Der sogenannte „Corona-Knast“ ist ein Mythos. Die Einrichtungen, die einige der Bundesländer zur Verfügung stellen oder gestellt haben, sind sehr unterschiedlich, sowohl bezüglich der Unterbringung selbst, als auch bezüglich der Ausstattung. 

Einige Quarantäne-Verweigerer könnten tatsächlich in Gefängnistrakten untergebracht werden. Bevor jemand tatsächlich „abgesondert“ wird, müssen jedoch mehrere Verstöße gegen die Quarantäne-Auflagen, sowie ein richterlicher Beschluss vorliegen. Dass jemand in der normalerweise kurzen Zeit der Quarantäne so oft erwischt wird, ist unwahrscheinlich. 

Insofern sind die zentralen Einrichtungen eher Abschreckungsmaßnahmen – die mit dem Begriff „Corona-Knast“ stark aufgebauscht werden.