Gesundheit

Nein, eine Pille gegen Hepatitis C kostet in Deutschland aktuell nicht 100.000 Euro

Das Medikament Sovaldi gegen Hepatitis C ist teuer. Ein Facebook-Nutzer behauptet, es sei in Indien wesentlich günstiger als in Deutschland – das ist richtig. Doch die Preise, die er angibt, stimmen nicht.

von Alice Echtermann

Collage-Sovaldi
Auf Facebook verbreitet ein Nutzer irreführende Behauptungen über ein Medikament gegen Hepatitis C. (Screenshot und Collage: CORRECTIV)
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Größtenteils falsch. Der Preis bezieht sich nicht auf eine einzelne Pille sondern auf eine 24-wöchige Therapie. Zudem sind die Preisangaben für Deutschland und Indien stark veraltet.

Auf Facebook behauptete ein Nutzer am 20. Oktober, eine Pille, mit der sich die Infektionskrankheit Hepatitis C heilen lasse, koste in Deutschland 100.000 Euro – in Indien aber nur 800 Euro. Der Beitrag wurde mehr als 500 Mal geteilt. 

Unsere Recherche zeigt: Die Darstellung ist irreführend. Die Preise sind außerdem veraltet und somit falsch. 

Der Facebook-Beitrag vom 20. Oktober 2019. (Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV)

Auf der Pille auf dem Foto sind die Buchstabe GSI zu sehen. Eine Google-Suche zeigt, dass viele Medien über dieses Medikament berichtet haben, weil es so teuer ist. Der Hersteller heißt Gilead Sciences, die Pille trägt den Namen Sovaldi und bekämpft ein Virus, das Hepatitis C verursacht und die Leber schädigt. Sie wurde 2014 in der EU zugelassen. Eine Therapie dauert 12 oder 24 Wochen, in der Regel in Kombination mit anderen Medikamenten. 

100.000 Euro war laut Medienberichten der Preis für die 24-wöchige Therapie

Die Zeit und Spiegel Online berichteten 2014 über große Empörung über die neue Pille mit dem Wirkstoff Sofosbuvir. Denn sie koste in den USA 1.000 Dollar das Stück – in Deutschland sollten es 700 Euro sein. Das sei der Preis, den die Krankenkassen dafür zahlen müssen. Bei täglicher Einnahme einer Pille kämen in 24 Wochen mit dem deutschen Preis 117.600 Euro zusammen. 

Der Facebook-Beitrag ist irreführend, weil es so wirkt, als sei die Zahl von 100.000 Euro ein Stückpreis. Aus den Medienberichten wird jedoch deutlich, dass sie sich auf den gesamten Zeitraum der Therapie bezieht. 

Zudem ist der Preis nicht mehr aktuell: Im Februar 2015 berichtete der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) in einer Pressemitteilung, man habe sich bei den Verhandlungen mit dem Hersteller Gilead geeinigt. Die Therapie von 12 Wochen koste nun 43.562,52 Euro. Das wäre ein Stückpreis von rund 518,60 Euro pro Pille. Eine Pressemitteilung von der Firma Gilead konnten wir im Netz nicht finden. 

GKV-Spitzenverband: Aktuell vertreibt Gilead die Pille für etwa 416 Euro das Stück

Der Hersteller Gilead habe ein Patent auf den Wirkstoff, schrieb die Organisation Ärzte ohne Grenzen 2018, deshalb seien in vielen Ländern keine kostengünstigen Generika – also Medikamente ohne Markennamen, aber mit demselben Wirkstoff – erhältlich. Eine Beschwerde gegen das Patent beim Europäischen Patentamt scheiterte im September 2018. Ärzte ohne Grenzen und weitere Organisationen gingen gegen die Entscheidung in Berufung, der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. 

Um den aktuellen Preis von Sovaldi herauszufinden, hat CORRECTIV zunächst beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nachgefragt. Eine Pressesprecherin wies uns auf einen Beschluss von 2014 hin, in dem aber nur der alte Preis für eine Therapie von 24 Wochen vermerkt ist: 113.152,56 Euro (Seite 20). 2017 gab der G-BA die Kosten für die Anwendung bei Jugendlichen mit 95.100,72 Euro für 24 Wochen an (Seite 5). Das wären 566,10 Euro pro Pille.  

„Auf Basis der Bewertungsergebnisse des G-BA wurde der Erstattungsbetrag zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmer verhandelt“, schrieb uns die Sprecherin.

Eine Pressesprecherin des GKV-Spitzenverbands antwortete uns per E-Mail, die Preisverhandlungen seien vertraulich. Sie könne aber Auskunft aus dem Verzeichnisdienst Lauer-Taxe geben. Demnach vertreibe die Gilead Sciences GmbH „derzeit eine 28-Stück-Packung Sovaldi (mit 400 mg Sofosbuvir je Filmtablette) zu einem Erstattungsbetrag in Höhe von 11.660 Euro je Packung“. Das wäre ein Preis von 416,43 Euro pro Pille – und rund 69.960 Euro für die Therapie von 24 Wochen.

Auszug aus der E-Mail der Pressesprecherin des GKV-Spitzenverband. (Screenshot: CORRECTIV)

Preis in Indien ist niedriger als in Deutschland

Die Sprecherin des GKV-Spitzenverbands schreibt außerdem: „Die Gründe für abweichende Preise in anderen Ländern wie Indien können vielfältig sein, dies kann patentrechtliche Gründe ebenso umfassen wie unterschiedliche Erstattungskonditionen in den jeweiligen Gesundheitssystemen.“

Offenbar kostet die Pille in Indien tatsächlich viel weniger als in den USA oder Europa. Laut einem indischen Medienbericht von 2015 sollte Sovaldi dort 900 Dollar (813 Euro) für eine 12-wöchige Therapie kosten. Das indischen Patentamt verweigerte Gilead Sciences zunächst das Patent, etwas später bekam das Unternehmen es laut Medienberichten dann aber doch

Der Preis von 800 Euro ist jedoch nicht aktuell. Die Suche nach Sovaldi ergibt keinen Treffer in der Datenbank der indischen National Pharmaceutical Pricing Authority, aber der Wirkstoff Sofosbuvir ist verzeichnet. Demnach kostet eine Pille 626,48 Indische Rupien (Stand April 2018). Das entspricht etwa 7,80 Euro. Somit würde eine Therapie über 24 Wochen 1.310,40 Euro kosten – nicht 800 Euro. 

Die Suchabfrage in der Datenbank der National Pharmaceutical Pricing Authority am 19. November 2019. (Screenshot: CORRECTIV)

Dennoch stimmt es, dass die Pille in Indien wesentlich günstiger ist als in Deutschland. Dass in der Datenbank Sofosbuvir und nicht Sovaldi verzeichnet ist, spricht dafür, dass das Medikament in Indien als Generikum erhältlich ist. Dies könnte eine Erklärung sein. 

Auf unsere Presseanfrage, was die Gründe für die Preisunterschiede sind, haben weder Gilead Sciences noch die Abteilung für Arzneimittel beim indischen Ministerium für Chemikalien und Düngemittel bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks reagiert.