Fußballdoping

Von Kreisliga bis Champions League

Ein Bundesligaspieler bei Fuentes?

von Daniel Drepper

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„Es ist einfacher, einen geständigen Mafioso zu finden, als einen geständigen Fußballer.“ Das sagt Raffaele Guariniello, der Staatsanwalt, der Medikamentenmissbrauch bei Juventus Turin aufgedeckt hat. Doping im Fußball gibt es von der Kreisliga bis zur Champions League. Wie verbreitet ist der Betrug?

Es ist 15.30 Uhr, der Landgasthof Waldesruh am Ufer der Traun hat noch geschlossen; der ehemalige Dopingdealer Stefan Matschiner ist der bekannteste Sohn des Dorfes, für ihn schließt der Besitzer früher auf. Als Leichtathlet dopte Matschiner selbst, später versorgte er Spitzensportler mit Medikamenten. „Spinne im Netz“ nannte ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Tour-de-France-Dritte Bernhard Kohl war sein erfolgreichster Kunde, bis am 30. März 2009 die Polizei vor der Tür steht. Matschiner bricht mit dem Leistungssport, schreibt ein Enthüllungsbuch.

Wie viele Fußballer Matschiner genau versorgt hat und auch deren Herkunft will der Österreicher nicht nennen, um die ehemaligen Kunden nicht zu enttarnen. Die offizielle Antwort: „Ich habe von 2003 bis 2009 mehrere Fußballer aus verschiedenen europäischen Ländern versorgt.“ Matschiners Fußballer nahmen Testosteron und das Blutdopingmittel EPO. Der beste seiner Spieler spielte die Qualifikation zur Champions League. Über Doping im Fußball redet Matschiner wie andere über ihren Tag im Büro. Moralische Bedenken hat er keine. „Warum sollte ich etwas bereuen? Das System funktioniert so, wie es funktioniert. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.“

Dopende Fußballer sind keine Einzelfälle. Alle paar Tage gibt es eine positive Probe: am 9. Mai der Grieche Vezyridis, am 7. Mai der Brasilianer Dakson, am 27. April der Weißrusse Kornilenko. Dazu die großen Skandale: Juventus Turin nutzte in den 90ern Schränke voller Medikamente und war Experten zufolge sehr wahrscheinlich mit Epo gedopt. Der spanische Dopingarzt Eufemiano Fuentes soll Real Madrid, den FC Barcelona, Betis Sevilla und den FC Valencia betreut haben, berichtete die französische Zeitung Le Monde. Barcelona verklagte die Zeitung, deren Sportchef konnte keine Dokumente vorlegen und musste 15000 Euro Strafe zahlen. Vor Gericht schwieg Fuentes. „Ich bin drei Mal mit dem Tod bedroht worden, es wird kein viertes Mal geben“, sagte er damals Le Monde.

Ein Bundesligaspieler bei Fuentes?
Dass Fußballer bei Fuentes Kunde waren, sagen gut informierte Personen auch dieser Zeitung. Darunter soll den Quellen zufolge mindestens einer gewesen sein, der später auch in der Bundesliga spielte. Der Name kann nicht geschrieben werden, denn es ist nur ein Verdacht, nicht mit Dokumenten belegt. Ein kleiner Teil der Fuentes-Akten liegt dieser Zeitung vor. Erwähnt sind nur Radsportler. Hat sich die spanische Justiz jemals für die Namen der Fußballer interessiert? Eufemiano Fuentes lebt heute auf den Kanarischen Inseln. Noch 2011 arbeitete er als Arzt für den Drittligisten UD Las Palmas. Angeblich versorgt er weiterhin Sportler mit Dopingmitteln. Fuentes war für uns bislang nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Auch die deutsche Geschichte ist nicht frei von Skandalen: Die Helden von Bern hatten höchstwahrscheinlich Pervitin im Blut, ein Aufputschmittel aus dem Krieg. Sporthistoriker wie Erik Eggers sind sich sicher, dass die Weltmeister 1954 verbotene Methoden nutzten – auch wenn Spieler und Trainer das stets abgestritten haben. In der DDR waren die Nationalkicker systematisch gedopt, das belegen Stasi-Akten. Auch viele Clubs aus dem Osten nutzten das DDR-Anabolikum Oral-Turinabol. Im westdeutschen Fußball der Achtziger Jahre soll das Aufputschmittel Captagon nach Aussage mehrerer Trainer und Spieler üblich gewesen sein.

Wie verbreitet ist Fußballdoping im Jahr 2012? „Ähnlich verbreitet, wie in anderen Sportarten, wie in der Leichtathletik oder im Triathlon“, sagt Stefan Matschiner. „Es ist ein latentes Problem, aber nicht mehr im Ausmaß der 80er oder 90er Jahre. Wegen der besseren Laboranalysen kann man nicht mehr so viele Sachen machen.“ Organisiertes Teamdoping hält Matschiner heutzutage für unwahrscheinlich. „Mir persönlich ist nur ein Fall in einem südeuropäischen Land bekannt“, sagt Matschiner. „Ich glaube eher, dass sich gute Freunde zusammentun und sich gesondert nach medizinischer Versorgung umschauen.“ Auch Matschiner versorgte Spieler, die sich gegen Teamkollegen durchsetzen wollten. Hat es geholfen? „Ich habe nie etwas Negatives gehört, sonst wären sie ja nicht immer wiedergekommen.“

Mangelhafte Kontrollen in der Bundesliga
Warum fliegen so wenig gedopte Fußballer auf? Ein Grund sind lückenhafte Dopingtests. Im Fußball gilt trotz verbesserter Analysen noch immer: Erwischt werden nur die Dummen. In der Bundesliga gibt es keine Bluttests, so dass zum Beispiel Blutdoping nicht nachgewiesen werden kann. Im Schnitt testen Kontrolleure jeden deutschen Spieler nur alle drei Jahre und mit Ausnahme von Nationalspielern bekommen Profis nur zu offiziellen Trainingszeiten Besuch. Bei der EM in Polen und der Ukraine werden zwar Bluttests durchgeführt, aber die Trainingskontrollen haben Mängel. So hat ein Spieler 60 Minuten Zeit, bis er zum Trainingstest erscheinen muss. Das reicht im Zweifel, um Proben zu verfälschen.

Trotz allem gibt es noch immer Ärzte und Trainer, die behaupten, es gebe im Fußball kein Doping. „Ich sage mit Überzeugung, dass im Fußball nicht gedopt wird“, sagte Jürgen Klopp vor drei Jahren. Das Standardargument: Doping im Fußball bringt nichts. Für „völligen Schwachsinn“ hält Stefan Matschiner diese Theorie. „Wenn ich die Ausdauer steigere, habe ich auch die anderen Fähigkeiten am Ende des Spiels besser unter Kontrolle.“

Das Sportinstitut der Uni Mainz liegt wenige hundert Meter vom Bruchweg entfernt, der alten Heimat der Mainzer Fußballer. Hier forscht Antje Dresen. Als Soziologin sieht Dresen die Spieler nicht als Einzeltäter, sondern nimmt das Umfeld in den Blick: Was führt dazu, dass sich Spieler für Doping entscheiden? „Im Fußball geht es um permanente Leistungssteigerung. Das nächste Spiel ist immer das wichtigste. Gleichzeitig sind die körperlichen Fähigkeiten begrenzt“, sagt Dresen. „Doping ist eine Mehrzweckwaffe gegen den Druck, der auf Fußballern lastet.“

Fußballer haben oft keine Ausbildung, sind abhängig davon, mit ihrem Körper bis Mitte 30 möglichst gutes Geld zu verdienen. Der Konkurrenzkampf, erfolgsabhängige Prämien und der öffentliche Druck tun ihr Übriges. Ein Beispiel sind Zeitschriften wie der Kicker, die nach jedem Spiel die Profis einzeln benoten. „Wenn ein Fußballer sich ausschließlich auf den Sport konzentriert, sitzt er in der Dopingfalle“, sagt Dresen.

Aus Antje Dresens Fenster schaut man geradeaus auf das Sportmedizinische Institut der Uni Mainz. Hier arbeitet Perikles Simon, einer der bekanntesten Dopingforscher Deutschlands. Simon fragt sich, was dieser stetig steigende Druck für die Gesundheit der Spieler bedeutet. „Man kann nicht den finanziellen Druck auf die Spieler beliebig erhöhen und dann davon ausgehen, dass die ihre Gesundheit im Auge behalten“, sagt Simon. „Wenn Teams in der Lage sind, systematisch Spieler zu dopen, scheint der Druck in der Szene so hoch zu sein, dass sich die Spieler kaum wehren können. Und dann sind das nicht menschenwürdige Arbeitsbedingungen.“ Besonders technisch versierte, aber konditionell schwache Fußballer seien anfällig für die Doping-Versuchung. Die Geschwindigkeit des Spiels hat sich in den vergangenen Jahren extrem erhöht. Der Druck, topfit zu sein, steigt.

Systematisches Teamdoping – absolut jeder spricht bei diesem Thema über Juventus Turin. 1996 gewann Juve die Champions League. Zwei Jahre später nimmt der Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello, selbst Juve-Fan, die Ermittlungen auf. 40.000 Seiten Akten produziert er, ruft Spieler wie Zidane und Cannavaro in den Zeugenstand. Am Ende beweist Guariniello systematischen Medikamentenmissbrauch. Die Hinweise auf Teamdoping mit EPO klassifiziert ein Experte als „sehr wahrscheinlich“, auch Guariniello ist überzeugt – das Gericht weist diese letzten Ende jedoch zurück. Der bis heute spektakulärste Fall.

Die Staatsanwaltschaft liegt am Corso Vittorio Emmanuele II, einer der wichtigsten Adern Turins. Am Ende der Prachtstraße thront der rot verklinkerte Bau der Justiz. Raffaele Guariniello sitzt im siebten Stock, bewacht von zwei Carabinieri und drei Sekretärinnen. In Italien ist Guariniello ein Star – er ist 71 Jahre alt, aber er wühlt weiter. Während des Gespräches unterzeichnet er hereingereichte Akten, telefoniert immer wieder kurz. „Im Fußball bin ich auf eine Mauer des Schweigens gestoßen“, sagt Guariniello. Trotzdem startet vier Jahre nach Beginn seiner Ermittlungen der Prozess, am 31. Januar 2002.

39 Verhandlungstage und zweieinhalb Jahre braucht das Gericht, dann entscheidet es: Teamarzt Riccardo Agricola muss 22 Monate in Haft. Juve legt Einspruch ein, das dritte Verfahren wird 2007 wegen Verjährung eingestellt. Juve entkommt einer Strafe, doch die Fakten bleiben: 281 verschiedene Medikamente hatte Juves Vereinsarzt in der Apotheke, sehr wahrscheinlich, so ein Gerichtsexperte Experte und der Staatsanwalt haben die Spieler auch das Blutdopingmittel EPO bekommen.

Juventus liegt fünf Jahre zurück, aber Guariniello bleibt dran. Aktuell untersucht er eine Reihe mysteriöser Todesfälle: Italienische Fußballer erkranken 24 Mal häufiger an der tödlichen Nervenkrankheit ALS als die Normalbevölkerung. Doping könnte die Ursache sein.

Sportärzte versuchen immer wieder, die medizinischen Grenzen auszuloten. Für den Einsatz solch grenzwertiger Mittel gibt es ein prominentes Beispiel: Der ehemalige Bremer Stürmer Ivan Klasnic verklagt Werder Bremens Mannschaftsarzt Götz Dimanski auf mehr als eine Millionen Euro Schmerzensgeld: Klasnic‘ Niere versagte und er wirft Dimanski vor, die Krankheit nicht erkannt und durch hohe Mengen an Schmerzmitteln verschlimmert zu haben. Seit vier Jahren warten die Beteiligten auf ein Urteil. Weder Dimanski noch Klasnic wollen sich derzeit zum laufenden Verfahren äußern.

Wer im Internet nach Doping im Fußball sucht, findet Menschen, die sich über Aufputschmittel unterhalten und über Steroide. Im Amateurfußball. Einer der Kreisliga-Doper meldet sich schließlich. Er habe in einer bayerischen Landesauswahl gespielt und Aufputschmittel genommen, um alles aus sich herauszuholen. „Die Wirkung war teilweise grandios. Aber die Nacht nach den Spielen ging es mir einfach nur verdammt mies.“ Erst ist er bereit für ein Treffen, später meldet sich der anonyme Amateur nicht mehr zurück.

Ganzes Kreisliga-Team auf Ephedrin
Die Aussagen des dopenden Amateurfußballers unterstreicht Mischa Kläber. Der Sportsoziologe der TU Darmstadt hat für seine Doktorarbeit auch mit vier dopenden Kreisliga-Kickern gesprochen. In einem Fall dopte am Ende die gesamte Mannschaft mit Ephedrin. Das Aufputschmittel macht Spieler auf dem Platz aggressiver, schneller, wacher.

Kläber berichtet von weiteren Mitteln: Von Speed, von Kokain, in einem Fall auch vom Steroid Nandrolon, das beim Muskelaufbau hilft. Ein Spieler nutzte es nach einem Kreuzbandriss zur Turbo-Genesung. „Ephedrin und verschreibungspflichtige Schmerzmittel sind in den niedrigeren Klassen sehr weit verbreitet“, sagt Kläber. Einen Fußballer in tieferen Klassen hat auch Stefan Matschiner betreut. Auch er besorgte seinem Kunden Ephedrin.

Doping im Fußball, das sind keine Einzelfälle. Doping im Fußball ist Teil des Systems.

Das Foto im Titel ist unter CC BY-SA by twicepix