Gefährliche Keime

Eine Impfung kann Krebs vorbeugen – doch die, die sie am meisten benötigen, kriegen sie nicht

Gebärmutterhalskrebs ist die einzige Krebsform, die heutzutage weitgehend vermieden werden könnte. Screening-Verfahren können frühzeitig sogenannte Läsionen entdecken, bevor sich die Krankheit voll entwickelt. Seit einigen Jahren ist die Medizin der Wurzel des Problems näher gekommen: Es gibt es sogar eine Impfung gegen die Papillomviren, die diesen Krebs verursachen. Doch kulturelle und soziale Widerstände sowie hohe Kosten bremsen deren Entwicklung.

von Eva Belmonte

HPV-Impfung in Sao Paulo, Brasilien© Bild von Pan American Health Organization PAHO unter CC-Lizenz

2015 starben mehr als 278.000 Frauen weltweit an Gebärmutterhalskrebs. In 41 Ländern ist diese Krankheit der tödlichste Krebs für Frauen. Und das, obwohl es längst Vorsorgeuntersuchungen gibt, die Vorstufen, so genannte Läsionen, frühzeitig entdecken. Damit das Screening funktioniert, müssen Frauen jedoch regelmäßig gynäkologisch untersucht werden. Das findet in Ländern mit geringen Ressourcen und schlechter Infrastruktur nicht statt.

Die HPV-Impfung


Das Virus

Die meisten sexuell aktiven Menschen infizieren sich irgendwann in ihrem ihrem Leben mit HPV, viele davon merken es nicht einmal. Unter Frauen jedoch kommt es manchmal zur Bildung sogenannter Läsionen. Gynäkologische Untersuchungen können diese entdecken – und sie können bei Verschlimmerung behandelt werden, bevor sie sich zu Krebs weiterentwickeln. Der ganze Prozess kann zehn Jahre dauern. Zehn Jahre oder mehr, in denen die Krankheit verhindert werden könnte.


Die Hersteller

Zwei Labore produzieren den Impfstoff gegen HPV, die unter anderem Verursacher von Gebärmutterhalskrebs sind: Merck (Gardasil) und GlaxoSmithKline (Cervarix). Letzterer schützt gegen Infektionen der Virentypen 16 und 18. Gardasil4 dagegen ist tetravalent und schützt gegen Typ 6, 11, 16 und 18. Eine neue Variante, Gardasil9, erweitert den Schutz auf neun Virentypen.


Der Impfstoff

Der HPV-Impfstoff ist einer der neuesten und teuersten auf dem Markt. Die Vereinigten Staaten kaufen die neueste Version von Gardasil, die gegen neun Typen des Virus schützt, für 109,60 Euro bis 125,70 Euro pro Dosis – je nachdem ob für Kinder oder Erwachsene. Merck verkauft die einfachere Version des Wirkstoffs, die gegen vier Virentypen schützt, für 22 Euro an Portugal und für 14,50 Euro an die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“. Spanien kauft Gardasil und ein weiteres Präparat (Cervarix von GlaxoSmithKline) zum gleichen Preis: 29,16 Euro pro Dosis. Schätzungen aus dem aktuellen Beschaffungsvertrag legen nahe, dass Spanien bis 2020 pro Jahr knapp sieben Millionen Euro ausgeben wird.


Die Effektivität

Eine Serie von Studien hat 2008 und 2009 die Effektivität des HPV-Impfstoffs im Vergleich zu dessen Kosten in verschiedenen Ländern untersucht. Eine davon konzentrierte sich auf Lateinamerika. Das Ergebnis: der gegen zwei Virentypen wirksame Impfstoff für die vollständige Immunisierung eines Mädchens (für die mehrere Dosen nötig sind) müsste insgesamt weniger als 25 Dollar kosten, um ihn auch für ärmere Länder attraktiv zu machen Die Preise müssen also fallen.


Die Hürden

Laut eines Berichts der WHO von 2013 sind die großen Hürden auf dem Weg zur Einführung dieses Impfstoffs neben den Kosten auch die Schwierigkeit, unbeschulte Mädchen zu erreichen (die Impfung wird zwischen 9 und 13 Jahren empfohlen) sowie „Gerüchte oder Desinformation“.


Die Initiativen

Es gibt internationale Initiativen mit dem Ziel, ärmeren Ländern den Impfstoff günstiger bereitzustellen. Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO) kann ihn etwa für knapp acht Euro pro Dosis bereitstellen. Die unter anderem von der Gates-Stiftung unterstütze Global Alliance for Vaccines and Immunization (GAVI), die die ärmsten Länder versorgt, sogar für nur knapp über vier Euro.


Mauricio Maza ist Medizinischer Direktor bei Basic Health International, einer Organisation im Kampf gegen Gebärmutterhalskrebs. Er arbeitet in El Salvador, ein Land in dem diese Krankheit mehr Frauen tötet als Brustkrebs. „Gebärmutterhalskrebs attackiert die ärmsten Frauen, die keinen Zugang zu den Tests haben“, sagt Maza. Nur selten treffe die Krankheit jemanden, der die nötigen Ressourcen für die Behandlung habe. Deshalb sähen wir auch keine berühmten Frauen im Fernsehen oder in Magazinen über Gebärmutterhalskrebs reden, so wie es bei Brustkrebs der Fall ist.

Arme Länder? Keine Impfung

Die Daten geben Maza recht. Die Länder mit den höchsten geschätzten Todesraten für Gebärmutterhalskrebs sind die ärmsten Länder der Welt.  Die Weltgesundheitsorganisation WHO stellte in einer Untersuchung fest, dass bis Ende 2015 nur 66 von 194 Ländern die HPV-Impfung in ihre Immunisierungsprogramme aufgenommen hatten. Und genau die Länder, die besonders unter Gebärmutterhalskrebs leiden, sind überwiegend nicht dabei. Ohne externe Hilfe können viele Länder die Impfungen nicht finanzieren.

Die Impfung wird dort eingeführt, wo es am wenigsten notwendig ist – in Ländern wie Deutschland mit den wenigsten Fällen und geringsten Todesraten durch Gebärmutterhalskrebs. „Ja, manchmal kritisieren Leute das. Aber manchmal muss man so etwas dort machen, wo die Dinge besser organisiert sind. Dort, wo ernste Fälle mit Nebenwirkungen analysiert werden können, sodass die Anderen überzeugt werden“, sagt Mireia Díaz, Expertin für Prävention, Auswirkungen und Kosten von Gebärmutterhalskrebs am Catalan Institute of Oncology in Barcelona, Spanien.

Aktuelle Impfstoffe seien ohnehin nicht die „komplette Lösung“, sagt Díaz. Sie ersetzen nicht die Vorsorgeuntersuchungen. Sie erreichen nicht alle. Und sie schützen zwar gegen die Viren, die mehr als 70 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs verursachen – aber nicht gegen den Rest.

27 Tage Arbeit für eine Impfung

In vielen armen Ländern wird der Impfstoff nicht über das öffentliche Gesundheitssystem – und damit gratis – verteilt. Viele Frauen kommen daher nur über Privatkliniken an ihn heran. Der Gynäkologe Gerson Eduardo Gálvez Torres arbeitet für Aprofam, ein Netzwerk von gemeinnützigen Kliniken in Guatemala, das auf sexuelle Gesundheit spezialisiert ist. Er sagt, sehr wenige Leute fragten bei ihm vor Ort nach der Impfung.

In Guatemala bieten den Impfstoff zudem nicht alle Kliniken an. Unter diejenigen, die ihn anbieten, verlangen 100 bis 200 Euro pro Dosis. Meistens werden drei Dosen benötigt. Der Mindestlohn in Guatemala beträgt 86,90 Quetzale, das sind etwas über 11 Euro – pro Tag. Die volle Immunisierung kostet also mindestens 27 Arbeitstage.

Diese Preise sind in Guatemala und anderen Armutsländern also ähnlich hoch wie die in Ländern mit deutlich höheren Einkommen wie Spanien oder den Vereinigten Staaten. „Die meisten Leute können sich das nicht leisten“, sagt Dr. Gálvez.

„Medicamentalia Vaccines“ ist ein Rechercheprojekt unseres Partners Civio, einer spanischen Redaktion für investigativen Journalismus. Das Projekt untersucht den gegenwärtigen Stand von Impfungen weltweit und stützt sich dafür auf Datenanalysen und Recherchen vor Ort in mehreren Ländern. Es wird von „Journalism Grants“ gefördert, einem Projekt des „Euroepan Journalism Centre“ mit Mitteln der Bill & Melinda Gates Foundation. Die Stiftung engagiert sich für Impfprogramme weltweit, hatte aber auf diesen Beitrag keinen Einfluß.
Übersetzung aus dem Englischen: Nándor Hulverscheidt