Mafia

Roberto Saviano — Lügner oder Antimafia-Held?

Roberto Saviano ist Italiens bekanntestes Gesicht im Kampf gegen die Mafia. Doch immer wieder wird der Bestseller-Autor mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei ein Blender. Was steckt da hinter?

von Lena Niethammer

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In einem Email-Verteiler für Journalisten wird über die italienische Mafia diskutiert. Es gäbe keine wahren Anti-Mafia Helden mehr, schreibt ein Journalist aus Italien, und Roberto Saviano, der einzige der heutzutage noch ein Gesicht im Kampf gegen die organisierte Kriminalität ist, sei ein Betrüger. Es folgt eine Auflistung an Artikeln, die diese These unterstützen sollen. Sofort antwortet ein anderer: „Das ist so schockierend. Ich hatte keine Ahnung, dass Saviano ein Gauner ist. Wie furchtbar.“

Immer wieder wird Roberto Saviano angegriffen. Er sei ein Plagiateur, ein Lügner, ein Medienphänomen ohne tieferen Sinn. Aber was ist dran an den Vorwürfen gegen den italienischen Bestsellerautor? Sind es Lügen, Übertreibungen oder doch die Wahrheit? Wir haben uns die drei schwerwiegensten Vorwürfe genauer angeguckt.

1. „Saviano hat sein Buch „Gomorrha“ abgeschrieben“

Im September 2013 wurde Roberto Saviano, gemeinsam mit seinem Verlag Mondadori, in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe von 60 000 Euro verurteilt, weil er plagiiert haben soll. Dabei handelt es sich nicht um seinen ganzen Roman, sondern um zwei Seiten von 331. Auf diesen soll Saviano Teile dreier Artikel der italienischen Zeitungen Cronache di Napoli und Corriere di Caserta, beide dem Verlagshaus Libra zugehörig, kopiert haben ohne die Quelle zu nennen.

Das Urteil beendete einen fünfjährigen Rechtsstreit. Kurz nach Verkündung äußerte sich Saviano auf Facebook: „Während dieser langen Jahre unter Polizeischutz, in denen ich oft attackiert wurde, ist das was mich am meisten verletzt hat, die Beschuldigung zu plagiieren, weil ich immer selbst und mit viel Hingabe an meinen Artikeln und Büchern gearbeitet habe.“

Weiter schreibt er, dass er 2008 auf dem Literaturfestival von Mantova den Verlag Libra beschuldigt habe, sich mit der Camorra gemein zu machen. Kurz darauf wurde er dann von eben diesem Verlag wegen Plagiierens angezeigt. In erster Instanz wurden die Beschuldigungen vom Gericht zurückgewiesen. Es sei der Verlag Libra gewesen, so der Richter, der von Saviano abgeschrieben habe, nämlich aus zwei seiner Artikel, veröffentlicht in Il Manifesto und La Repubblica. Der Verlag ging dann eine Instanz höher und gewann.

Saviano kündigt nach dem zweiten Urteil an, ebenfalls eine höhere Instanz aufzusuchen. „Nicht einmal zwei Seiten von 331. Und auch wenn es sich nur um 0,6 Prozent meines Buches handelt, will ich durch nichts mit diesem Verlag verbunden werden: Ich werde meine Arbeit, die Opfer die diese mir und den mir nahestehenden Personen gebracht hat, verteidigen.“

2. „Saviano ist ein Lügner“

Savianos Buch „Gomorrha“ wurde zum Beststeller, weil er darin Namen nennt. Namen von Mafiosi und deren Kollaborateuren. So begegnet der Leser auf Seite 291 des Buches Enzo Boccolato, ein Unternehmer, der gemeinsam mit dem Clan La Torre mit Kokain schmuggeln soll.

Enzo Boccolato verklagte Saviano wegen Verleumdung und bekam Recht. Ein Mailänder Gericht verurteilte Saviano in dritter Instanz zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro, weil „der Herr Vincenzo Boccolato, der seit einigen Jahren in Venezuela lebt, unschuldig und vor allem in keiner Weise in irgendeine Aktivität der Camorra verstrickt ist.“

Dieses Beispiel wird von Saviano-Kritikern immer wieder herangezogen, um seine Verlogenheit zu dokumentieren. Da aber Boccolato die einzige Person von  hundert ist, die Saviano in seinem Buch zu Unrecht beschuldigt, sollte abgewägt werden, ob es sich nicht einfach um einen Recherchefehler gehandelt hat. Was hätte Saviano denn davon, sich durch eine falsche Geschichte unglaubwürdig zu machen?

Kritisch zu sehen ist in diesem Kontext jedoch, dass obwohl Saviano bereits in den ersten zwei Instanzen wegen Verleumdung verurteilt wurde, er stets die Passage über Boccolato weiterhin ohne Korrektur oder Anmerkung veröffentlichte und verbreitete.

3. „Saviano bekommt unnötigen Polizeischutz“

Die These, Savianos Polizeischutz sei übertrieben und diene vor allem seinem Image als Antimafia-Helden, wird meist durch zwei Dinge belegt: einem Gerichtsprozess und das Interview eines Polizisten.

Anfang November 2014 wurden zwei Bosse des Casalesi-Clans davon freigesprochen, Saviano bedroht zu haben. Der Prozess geht auf eine Episode im sogenannten Spartakus-Prozess im Jahre 2008 zurück, der sich gegen dutzende Mafiosi des Casalesi-Clans richtete. Der Anwalt des Clans Michele Santonastaso las einen von zwei Bossen unterschriebenen Brief vor in dem stand, dass sich das Gericht von Roberto Saviano, von der Journalistin Rosaria Capacchione und von Richter Raffaele Cantone beeinflussen lasse. Capacchione und Cantone wurden daraufhin unter Polizeischutz gestellt. Der von Saviano, der bereits seit 2006 bestand, wurde massiv verstärkt.

Nun wurden aber die Bosse vor wenigen Wochen freigesprochen den Dreien gedroht zu haben. Dies wird Savianos Kritikern zum Anlass seinen Polizeischutz für übertrieben zu erklären. Tatsächlich aber bedeutet der Freispruch nicht, dass diese Drohungen nicht stattgefunden haben. Denn dafür verurteilt wurde ein Anderer: Der Clan-Anwalt Michele Santonastaso. Er bekam ein Jahr Gefängnis auf Bewährung.

Vittorio Pisani ist Leiter der neapolitanischen Polizei. 2009 gab er dem Corriere della Sera Magazine ein Interview. Darin sagt er, dass er den Polizeischutz für Saviano ablehnt. „Ich habe hunderte Mafiosi festgenommen. Ich habe geschrieben, bezeugt und trotzdem laufe ich mit meiner Frau und meinen Kinder ohne Polizeischutz durch die Stadt. Ohne je bedroht worden zu sein.“ Er bleibe perplex, sagt er, wenn er sieht, dass manche Personen Polizeischutz bekommen, obwohl sie viel weniger geleistet haben als unzählige Polizisten, Carabinieri, Richter und Journalisten, die die Camorra seit Jahren bekämpfen. Er und seine Mannschaft hätten geprüft, ob Saviano unter Polizeischutz gestellt werden sollte, es aber für nicht notwendig erachtet. Dieses Interview schlug in Italien ein. Da das Innenministerium Savianos Polizeischutz angeordnet hatte, musste es sich folgt mit den Aussagen konfrontieren, es wolle aus Saviano ein Propagandainstrument machen.

Vier Jahre später relativierte Pisani seine Aussagen von 2009 und beschuldigte den ihn damals interviewenden Journalisten seine Worte zugespitzt zu haben. Er sagte nun, dass der Vorfall, den er geprüft habe und nachdem er einen Polizeischutz für Saviano nicht notwendig fand, 2006 stattgefunden hätte. Damals wäre Saviano längst nicht das Symbol des Antimafia-Kampfes gewesen, dass er heute sei. Auch international wäre er noch kaum bekannt gewesen.

Saviano inszeniert sich gern als Moralinstanz. Das kann man mögen oder auch nicht. Für sein Buch Gomorra hat er gut recherchiert, auch wenn er an den genannten Stellen vielleicht unsauber zitiert hat. Das verfälscht jedoch nicht das Gesamtbild seiner Arbeit. Wer ihn deswegen als Lügner, Blender oder Gauner darstellt, sollte überlegen, ob er damit nicht lediglich der Camorra einen Gefallen tut.