Mafia

Schweiz: Kritik am neuen Vorgehen der Bundesanwaltschaft

Letzte Woche kündigte der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber an, Verfahren allein wegen der Mitgliedschaft in der Mafia einzustellen. Nachdem Lauber zuerst Unterstützung bekam, so zum Beispiel vom ehemaligen Staatsanwalt von Tessin, machen sich nun auch Stimmen der Kritik breit. Eine von ihnen ist Professor Marc Forster, Strafrechtsdozent an der Universität Sankt Gallen. Ein Interview

von Lena Niethammer

prof-dr-marc-forster-1

Herr Prof. Dr. Forster, Bundesanwalt Lauber sagte in einem Interview, für eine Verurteilung brauche es den Nachweis, dass die Beschuldigten die Organisation konkret in ihrer kriminellen Aktivität unterstützt haben. Bedeutet das: In der Schweiz werden in Zukunft Mafia-Helfer härter bestraft als Mafiosi?

Marc Forster: Durch die Medienäusserungen der Bundesanwaltschaft könnte in der Öffentlichkeit tatsächlich der falsche Eindruck entstehen, die ‚bloße‘ Mitgliedschaft bei kriminellen Organisationen sei in der Schweiz nicht strafbar oder es handle sich um ‚weniger schwerwiegende‘ Kriminalität als zum Beispiel konkrete Unterstützungshandlungen von Nicht-Mafiaangehörigen an die Mafia. Dies trifft natürlich absolut nicht zu. Die ‚bloße‘ Mitgliedschaft steht unter derselben Strafdrohung wie konkrete Unterstützungshandlungen. Gerade vor dem Hintergrund der neusten terroristischen Anschläge in Frankreich muss dies in aller Deutlichkeit klargestellt werden. Die für die Verfolgung von Mafia- und Terrordelikten zuständige Behörde darf auf keinen Fall den Eindruck erwecken, die Mitglieder von kriminellen Organisationen, etwa der Al Qaida, würden in der Schweiz nicht strafrechtlich verfolgt.

Wieso funktionieren diese Verurteilungen dann nicht? 

Marc Forster: Was Bundesanwalt Lauber offenbar meint, ist, dass die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation vor Gericht oft schwer nachweisbar ist, wenn Mafiosi oder Terroristen hier nicht in strafbarer Weise oder zumindest logistisch für die Organisation tätig werden. Es gibt denn auch erst wenige Verurteilungen in der Schweiz wegen bloßer Beteiligung an einer kriminellen Organisation. Und die Bundesanwaltschaft ist mit entsprechenden Anklagen vor dem Bundesstrafgericht mehrmals nicht durchgedrungen. Das ist aber eine andere Frage. Zwischen der Strafbarkeit eines Verhaltens und dessen Beweisbarkeit ist klar zu unterscheiden. Außerdem ist es die gesetzliche Aufgabe der Bundesanwaltschaft, auch in Zweifelsfällen Anklage zu erheben. Gegen Mitglieder zum Beispiel von Al Qaida oder ‚Ndrangheta kein Verfahren zu eröffnen oder keine Rechtshilfe an ausländische Strafverfolger zu leisten, nur weil in der Schweiz keine logistischen Unterstützungshandlungen dieser Personen nachweisbar erfolgt sind, wäre gesetzwidrig.

Warum glauben Sie, geht Lauber genau jetzt mit diesen Äußerungen an die Presse?

Marc Forster: Auffällig ist, dass im gleichen Atemzug mit den missverständlichen Medienmitteilungen Gesetzesverschärfungen verlangt werden und parallel dazu politische Vorstöße im Parlament hängig sind. Bezeichnenderweise geht es bei diesen Reformvorschlägen aber nicht darum, eine bloße Mitgliedschaft bei kriminellen Organisationen für strafbar zu erklären. Strafbar ist sie ja schon. Vielmehr wird von einzelnen Strafverfolgern und Politikern verlangt, die Verteidigungsrechte zu beschneiden und die Strafprozessordnung in verschiedener Hinsicht zu revidieren.

Wie bewerten Sie diese Vorschläge?

Marc Forster: Ob dies nötig und rechtsstaatlich vertretbar ist, bezweifle ich. Nur weil die Bundesanwaltschaft mit Mafia-Anklagen ein paarmal nicht durchgedrungen ist, sollten die Verteidigungsrechte nicht wesentlich beschnitten werden.

Auf Ihrer Website haben Sie geschrieben, die Mentalität der Bundesanwaltschaft, in heiklen Fällen lieber gar nicht erst anzuklagen, als einen Freispruch zu riskieren, sei vom amerikanischen Rechtsdenken geprägt…

Marc Forster: In den USA ist der Strafprozess sehr kompetitiv ausgestaltet. Die US-Staatsanwaltschaft sieht sich als Partei, die ihren Fall vor dem Geschworenengericht um jeden Preis gewinnen will. Lieber klagt sie gar nicht erst an oder macht einen Deal mit dem Beschuldigten, als vor Gericht zu verlieren. Wenn die Bundesanwaltschaft öffentlich erklärt, sie wolle künftig Mafia-Mitglieder nicht mehr anklagen, sondern lieber das Verfahren einstellen, wenn keine konkreten weiteren Straftaten oder Unterstützungshandlungen nachweisbar sind, scheint sie von diesem amerikanischen Rechtsdenken beeinflusst zu sein. Die Beteiligung an einer Mafia-Organisation ist per se strafbar. Und die Schweizer Strafprozessordnung schreibt vor, dass die Bundesanwaltschaft bei schwer wiegenden Verdachtsgründen Anklage erheben muss, selbst wenn sie gewisse Zweifel hat, ob der Beschuldigte Mafia-Mitglied ist, beziehungsweise ob das Gericht die Beweise für ausreichend ansehen wird.

Wie kommt es dann zu dieser Mentalität?

Marc Forster: Das Problem ist, und dafür kann die Bundesanwaltschaft nichts, dass gewisse Medien die Strafverfolgungsbehörden automatisch kritisieren und als vermeintliche Verlierer hinstellen, wenn eine Anklage mit Freispruch endet. Ein Freispruch muss aber keineswegs bedeuten, dass die Bundesanwaltschaft ihre Arbeit nicht korrekt und sorgfältig gemacht hat. Im Gegenteil. Wenn sie im Zweifel Anklage erhebt und das Gericht mangels ausreichenden Beweisen freispricht, ist der Strafverfolgungsbehörde kein Vorwurf zu machen.