Mafia

Der Fall Borsellino

In einem abgehörten Gespräch mit Siziliens Präsident Crocetta soll dessen Arzt die Ermordung Lucia Borsellinos gefordert haben.

von Margherita Bettoni

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„Lucia Borsellino muss gestoppt werden, sie muss umgebracht werden wie ihr Vater“.

Die abgehörten Wörter stammen nicht von einem Mafia-Boss, sondern von Matteo Tutino, dem Chefarzt des Palermitaner Krankenhauses Villa Sofia und persönlichen Mediziner des Regionspräsidenten Rosario Crocetta. Er äußerte sie 2013 in einem Telefongespräch mit Crocetta selbst. Die Zeitschrift „L’Espresso“ berichtete exklusiv über das abgehörte Telefonat am vergangenen Donnerstag.

Die Reaktion des Regionspräsidenten auf die Bedrohungen gegenüber seiner Gesundheitsministerin? Nichts. Crocetta schwieg.

Zu seinem Arzt, der am 29. Juli wegen Amtsmissbrauch, Betrugs und Amtsunterschlagung verhaftet wurde, pflegte der Regionspräsident eine enge Beziehung.

Lucia Borsellino ist die Tochter von Paolo Borsellino, Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft, der genau vor 23 Jahren von der Cosa Nostra ermordet wurde. Schon am 29. Juli 2015, direkt nach der Festnahme Tutinos, hatte Lucia Borsellino ihr Amt aufgegeben – „aus ethischen Günden.“

Der Mord an Borsellino vor 23 Jahren

Am 19. Juli 1992 biegen kurz vor 17 Uhr drei Wagen in die Via Mariano D’Amelio im Westen Palermos ein. Staatsanwalt Paolo Borsellino will an diesem Sonntag seine Mutter besuchen. Die Wagen halten vor der Hausnummer 19/21. Borsellino steigt aus, gefolgt von seinen Leibwächtern. Wenige Meter entfernt steht ein Fiat 126.

Als der Staatsanwalt die Haustür erreicht, explodiert der Fiat 126, der mit 100 Kilo Sprengstoff beladen war. Die Bombe zerfetzt Borsellino und seine Leibwächter – nur sein Fahrer, der im gepanzerten Dienstwagen des Staatsanwaltes wartete, überlebt.

Die Reaktionen auf die neuen Enthüllungen

„Mein Vater redete mit meiner Schwester Lucia auch nur durch Blicke, die beide lebten in einer Symbiose. Ich hätte nie geglaubt, dass 23 Jahre später Lucia das gleiche durchleben muss wie unser Vater – dem Sizilien jedes Jahr wie einem Helden gedenkt“, sagte Lucias Bruder Manfredi Borsellino während der diesjährigen Gedenkfeiern.

Regionspräsident Crocetta ist nach der Veröffentlichung des abgehörten Gesprächs zunächst von sich aus zurückgetreten (ein Prozedere, das vom Regionalstatut nicht vorgesehen ist), behauptete aber dann, den Satz nie gehört zu haben.

Tatsächlich bleibt der Fall kontrovers. Die Staatsanwaltschaft von Palermo hat die Enthüllungen der Zeitschrift „L’Espresso“ dementiert. Chefredakteur Luigi Vicinanza hingegen argumentierte mit einem ähnlichen Fall: 2010 hatte seine Zeitschrift enthüllt, dass die Staatsanwaltschaft gegen Senatspräsident Renato Schifani wegen Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung ermittle. Auch damals hatte die Staatsanwaltschaft dies dementiert. Erst nach einigen Monaten bestätigte sie schließlich die Enthüllungen.

“In Sizilien kommt es vor, dass eine Zeitschrift unbequeme Wahrheiten erzählen muss, die manchmal der offiziellen Version widersprechen“, schrieb Vicinanza.

Lucia Borsellino sagt Teilnahme an Gedenkfeier ab

Solidarität für Lucia Borsellino kam von Ministerpräsident Matteo Renzi und von Staatspräsident Sergio Mattarella. Lucia Borsellino selbst äußerte sich so: „Ich fühle mich innerlich beleidigt und schäme mich für Präsident Crocetta und seinen Arzt.“

Rosario Crocetta wird an der Gedenkfeier für Paolo Borsellino nicht teilnehmen, ebenso wie Lucia Borsellino – als Protest gegen die scheinheiligen Antimafiabestrebungen Siziliens.