Neue Rechte

Frauke Petry kommt nach Anklam

Reporter Carsten Schönebeck findet, er müsse über die AfD berichten wie über jede andere Partei. Das linke Bündnis „Anklam für alle“ findet, er spiele den Rechten so in die Hände. Und schwärzte ihn an beim deutschen Presserat. Anlass der Debatte: der heutige Auftritt von Frauke Petry. In einem Sitzungssaal treffen die vier Männer aufeinander.

von Raphael Thelen

Carsten Schönebeck, Chefreporter des „Vorpommern Kuriers“© Hannes Jung

Diese Serie erscheint parallel auf Zeit Online.


Wenn Chefreporter Carsten Schönebeck aus der Redaktion des Vorpommern Kurier tritt, bleibt er gerne kurz auf dem Bürgersteig stehen, kramt eine Packung Filterkippen aus seiner Jeanstasche, steckt sich eine an, bläst den Rauch aus und guckt über den Marktplatz aufs Rathaus von Anklam.

Der 31-Jährige hat Politik studiert, in Anklam volontiert, ging für kurze Zeit zu einer anderen Zeitung und ließ sich dann zurück nach Anklam versetzen. „Für mich die interessanteste Region Deutschlands“, sagt er. Er arbeitet so viel, dass seine Mutter ihn manchmal fragt: „Willst du dir nicht mal eine Frau suchen und Kinder kriegen?“ Dann antwortet er: „Wie soll ich das denn zeitlich noch unterkriegen?“

Schönebeck fühlt sich ein bisschen verantwortlich dafür, dass das mit der Demokratie in Anklam funktioniert. In der Stadt, in der AfD, NPD und Kameradschaftsszene Hand in Hand gehen.

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Reporter Carsten Schönebeck vor dem Anklamer Verwaltungsgebäude. Er glaubt an die Demokratie und den Staat, sagt: „Der bestinvestierte Teil meines Gehalts sind die Steuern die abgezogen werden. Den Rest verplempere ich nur.“

Hannes Jung

Es ist Montag, kurz vor vier Uhr. Er überquert den Marktplatz, läuft links am Rathaus vorbei, öffnet die Tür zur Anklamer Stadtverwaltung und steigt die Stufen zum nüchternen Sitzungssaal hoch: Tische in Buchenoptik, blaue Stühle, ein Tageslichtprojektor. Drinnen sitzen schon die drei Vertreter des Bündnisses „Anklam für alle!“, die Schönebeck interviewen möchte. Das Bündnis wurde im April 2016 gegründet, von Ehrenamtlichen, Politikern und Vereinsvertretern, gemeinsam wollen sie gegen den nochmaligen Rechtsruck in der Stadt angehen.

Eigentlich ein ganz alltäglicher Termin für einen Reporter. Doch unversehens wird aus dem Gespräch ein Grundsatzstreit: Das Bündnis wirft Schönebeck vor, zu viel über die AfD zu berichten und ihr damit zu helfen. Es ist eine Frage, die auch bundesweit Politikerinnen, Journalisten, Talkmasterinnen und ihre Zuschauer umtreibt: Es geht darum, wie Journalisten, wie die Öffentlichkeit mit der AfD umgehen sollte. Soll man über sie berichten wie über jede andere Partei?  Oder sie eher behandeln wie eine rechtsextreme Partei – und ihr Wirken darum lieber ignorieren, als dass man ihr eine Bühne bietet?

Frauke Petry wird auftreten

Hintergrund des Treffens zwischen Schönebeck und dem Bündnis: Frauke Petry, Bundessprecherin der AfD, wird an diesem Freitag in Anklam auftreten. Die AfD-Leute vor Ort mieteten einen Saal, der der Stadt gehört. Die Anklamer Immobiliengesellschaft sah darin kein Problem und gab grünes Licht. Doch als Bürgermeister Michael Galander (Wählergemeinschaft IfA) davon erfuhr, widerrief er den Mietvertrag. Und wieder standen die Anklamer vor einer Frage, die zu groß wirkt für diese kleine Stadt: Darf einer offiziell zugelassenen Partei der Zugang zu öffentlichen Räumen verwehrt werden? Ja, fand der Bürgermeister. Nein, entschied das Oberverwaltungsgericht Greifwald in zweiter Instanz. Und so wird Frauke Petry heute Abend dort auftreten.

Schönebeck tritt an den Tisch und begrüßt die drei Bündnisvertreter. Anklam ist klein, sie kennen sich und duzen einander. Im weißen Hemd und mit Jackett sitzt da SPD-Mann Christopher Denda, 26 Jahre alt, Lehramtsstudent, der schon mit 16 Jahren im Sozialausschuss der Stadt aufstand und sagte: „Wir müssen etwas gegen die NPD tun“. Das war das erste Mal, dass die Zeitungen über ihn berichteten.

Neben ihm sitzt Christoph Volkenand, 43, der sich seit zwei Jahrzehnten gegen Rechtextreme engagiert. Schon damals, als Politiker noch sagten, dass die ganzen Jugendlichen mit den Springerstiefeln so kurze Haare hätten, weil es ja so warm sei im Sommer. Er selbst trug damals einen Zopf, und alle wetteten darauf, dass er ihn nach drei Monaten abschneiden würde. Er trägt ihn noch heute.

Und Gregor Kochhan ist gekommen, 57 Jahre alt. Auch er ein Urgestein gesellschaftlichen Engagements: Er sitzt für eine unabhängige Liste im Kreistag, man hört seiner Stimme an, dass er endlose Nächte an Küchentischen gesessen hat, diskutierend, Zigaretten ohne Filter drehend, rauchend.

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Das Bündnis „Anklam für alle“. Von links: Christoph Volkenand, Gregor Kochhan, Christopher Denda.

Hannes Jung

Schönebeck sitzt den Männern vom Bündnis „Anklam für alle!“ gegenüber. Sie kennen und duzen sich, teilen die gleichen Ansichten zu AfD.

Schönebeck weiß um die Kritik des Bündnisses an seiner Berichterstattung. Anfang August entschied das Bündnis, ihn beim bundesdeutschen Presserat in Berlin anzuschwärzen. Dem Gremium, das Journalisten rügt, wenn sie die Regeln fairer und ausgewogener Berichterstattung verletzen. Schönebeck ist nicht der Typ, der so etwas unkommentiert im Raum stehen lässt.

Keine einfache Situation für die vier, die sich seit Jahren kennen, Schönebeck studierte mit SPD-Mann Denda. Und in der Sache sind sie sich ja eigentlich einig: Sie wollen die AfD zurückdrängen.

Doch der Weg dahin entzweit sie.

Ist die AfD „jede andere Partei“?

Reporter Schönebeck findet: „Behandelt die AfD wie jede andere Partei.“ Er hat Porträts geschrieben über die Spitzenkandidaten der Parteien, auch über Matthias Manthei von der AfD. Hat ihn daheim in Wackerow besucht, über sein akkurat eingerichtetes Wohnzimmer berichtet, nach Haustieren, Hobbies und Traum-Urlaub gefragt.

„Wenn ich einen Politiker in seinem privaten Umfeld besuche, bin ich der Person verpflichtet und muss eine gewisse Fairness walten lassen“, sagt Schönebeck. Zugleich hakte er bei Sachthemen nach: erneuerbare Energien, Wirtschaftsförderung, Kitas. Findet er einen Widerspruch, bohrt er nach. So will er die AfD stellen: über ihre Themen. Und sie nicht einfach verteufeln. 

Die drei Bündnis-Vertreter sehen das komplett anders. Sie halten viele der örtlichen AfD-Mitglieder für Verfassungsfeinde. Führende AfD-Kandidaten unterhielten Kontakte zu Rechtsradikalen und unterstützten die NPD. Wozu mit denen reden? Sie verweisen auf den Greifswalder AfD-Direktkandidat Nikolaus Kramer. Der Angela Merkel „Angolf Merkler“ genannt hat.

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Schönebeck läuft über den Anklamer Marktplatz. Er hat sich absichtlich in die Stadt versetzen lassen, andere wollen nur weg: Die Einwohnerzahl fiel in den vergangenen 25 Jahren um ein Drittel.

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Küchentisch-Raucher Kochhan erzählt, er habe AfD-Mann Kramer auf einem Stadtfest auf diese Äußerung angesprochen. Woraufhin der leichthin antwortete, das sei ironisch gemeint gewesen. Ironisch? Wohl kaum, sagt Kochhan, denn an anderer Stelle habe Kramer bekräftigt: „Was Angela Merkel da im Baltikum macht, dass sie dort heimlich Truppenteile hinstellt, erinnert an Adolf Hitlers Überfall auf Russland 1941.“ Das „Angolf Merkler“ sei kein bisschen ironisch gewesen. Sondern eine ernst gemeinte Diffamierung.

Immer wieder, so die Bündnis-Leute, platzten AfD-Kandidaten mit provozierenden Aussagen in die Öffentlichkeit. Um sie dann zu dementieren. Und dann soll man ihnen Öffentlichkeit gewähren? Nein!

Es ist eine Diskussion, die bereits Anfang des Jahres die Gemüter erhitzte. Vor der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im März. Es ging um die Frage, ob sich hochrangige Politiker der etablierten Parteien mit der AfD in eine TV-Elefantenrunde setzen wollten. SPD-Vize-Kanzler Sigmar Gabriel riet davon ab, Fritz Frey, der Intendant des Südwestrundfunks, nannte ihn und andere dafür „Schönwetterdemokraten“.

So wenig Raum wie möglich – einerseits

Zopfträger Volkenand sagt: „Die Berichterstattung über öffentliche Äußerungen von AfD-Politikern können enthemmen. Wir sehen ja bundesweit, dass Attacken auf Flüchtlingsheime und Flüchtlingshelfer zugenommen haben.“ Er plädiert dafür, dass die Medien der AfD so wenig Raum geben wie möglich. Einerseits. Und andererseits die kruden Statements der AfD-Leute sorgfältig kommentieren.

Reporter Schönebeck kontert: „Wenn ich jedes Mal ,die rechtspopulistische AfD‘  statt ‚die AfD’ schreibe, verliere ich viele Leser, die mich dann für voreingenommen halten. Aber die müssen wir zurückgewinnen.“

Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurde die Frage „Ausgrenzen oder zurückgewinnen?“  schon einmal diskutiert. 2006 zog die NPD in den Landtag  ein. Die demokratischen Parteien einigten sich damals auf den „Schweriner Weg“: Anträge der NPD wurden konsequent nicht unterstützt, ihre Redebeiträge von nur einem Gegenredner kommentiert. So sollte der Partei möglichst wenig Beachtung geschenkt werden. Sie sollte aus dem demokratischen Kosmos ausgegrenzt werden – bis sich das Problem des Rechtsextremismus hoffentlich irgendwann von selbst auflösen würde.

„Aber kann man wirklich 20 Prozent der Wähler ausgrenzen?“, fragt Reporter Schönebeck. Die Bündnismitglieder gucken einander verunsichert an.

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Schönebeck macht sich Notizen. Oft hat er – typisch Lokalreporter – mehr als einen Termin am Tag.

Hannes Jung

Zopfträger Volkenand meint, dass die AfD-Wähler und Mitglieder in der Verantwortung stehen für die Politiker, die für sie sprechen. SPD-Mann Denda will die AfD-Wähler „mit den richtigen Angeboten zurückgewinnen.“ Küchentischraucher Kochhan sagt, dass viele AfD-Wähler doch nur enttäuschte CDU-Wähler seien, die eine neue politische Heimat suchten. Dann zitiert er Studien, wonach ein Viertel der Deutschen rassistische Grundeinstellungen haben. Will man überhaupt, dass diese Menschen wählen, oder ist es nicht vielleicht besser, wenn sie zuhause bleiben?

Die Männer wissen keine Antwort.

Ich hake noch einmal nach: zurückgewinnen oder ausgrenzen? Doch da ist es schon kurz nach 17 Uhr, und eine Verwaltungsangestellte kommt rein, um den Raum abzuschließen. Als sie sieht, dass wir noch diskutieren, bietet sie an, später wiederzukommen. „Nein, nein“, sagt SPD-Mann Denda. „Wir sind sowieso gerade fertig.“

Vor der Tür stehen die vier noch einen Augenblick zusammen. Alle haben jahrelange Erfahrung im Umgang mit NPD und rechtsextremen Kameradschaften. In der Stadt, die als die „rechteste“ Deutschlands gilt. Und nun sagt Küchentischraucher Kochhan: „Es ist für uns alle ein Lernprozess.“

Die vier Männer verabschieden sich, doch sie werden sich bald wiedersehen. Schönebeck will das Bündnis zur Kritik an seiner Berichterstattung interviewen und dann die Leser seiner Zeitung befragen, wie sie die Sache sehen. Argumentieren? Ausgrenzen? 

Die Recherche in Kooperation mit „Zeitenspiegel Reportagen“ wurde von Raphael Thelen über die Plattform crowdfunding.CORRECTIV finanziert. Wir bedanken uns bei der Rudolf Augstein Stiftung und mehr als 100 Einzelspendern für die Unterstützung.

Sofern die Spender einer Namensnennung zugestimmt haben, werden sie hier aufgeführt.

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