Spendengerichte

Prüfer fordern Kontrolle und Transparenz

Mehrere Landesrechnungshöfe empfehlen einen drastischen Eingriff in das deutsche Justizsystem. Richter sollen nicht mehr wie früher unkontrolliert Millionensummen aus eingestellten Verfahren frei verteilen dürfen. Nach unseren Recherchen wurden allein in den vergangenen Jahren deutlich mehr als 350 Millionen Euro willkürlich an Vereine und Organisationen ausgeschüttet – so wie es den Richtern gefiel. In unserer Datenbank machen wir die Zahlungen nun transparent.

von Belinda Grasnick

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Nach Ansicht der Landesrechnungshöfe von Sachsen und Baden-Württemberg muss das Geld transparenter verteilt werden. Das soll Korruption in der Justiz vorbeugen. Bislang scheitern entsprechende Reform-Vorschläge vor allem an Blockaden der Justizministerien. Dabei zeigt unsere Datenbank, wie nötig Reformen sind.

“Die Geldauflagen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften sollten flächendeckend nach Einzelempfänger ausgewertet werden.“ Bericht des Landesrechnungshofs Baden-Württemberg, 2014

“Nicht registrierte Einrichtungen waren jedoch nicht verpflichtet, eine Meldung über den zugewiesenen Betrag und die eingegangene Zahlung gegenüber dem Oberlandesgericht Dresden abzugeben. Eine statistische Erfassung dieser Fälle als Grundlage für korruptionsvorbeugende Maßnahmen war damit nicht gewährleistet.“ Bericht des Landesrechnungshofs Sachsen, 2014

Wer verteilt wie viel an wen? Das blieb lange Zeit geheim. Unsere Datenbank macht die Zahlungen so transparent, wie es derzeit möglich ist. Wir haben die Übersicht der Spendengerichte ergänzt: Wir machen nun etwa 350 Millionen Euro in unserer Datenbank transparent, alle derzeit zugänglichen Zahlungen aus den Jahren 2007 bis 2014. Eigentlich soll das Geld der Rehabilitation oder Prävention zu Gute kommen. Ein Blick in die Datenbank zeigt aber zum Beispiel auch folgende Geld-Empfänger:

Eine willkürliche, kleine Auswahl. Für das aktuelle Update haben wir Überweisungen im Wert von 180 Millionen Euro hinzugefügt.

Ihr könnt dabei helfen, deutsche Richter und Staatsanwälte zu überprüfen. Ihr könnt in den Zahlungen suchen, nach einer Stadt oder einem Verein. Hier haben wir beschrieben, wie ihr in der Datenbank suchen könnt. Im Herbst hatten auch zahlreiche lokale Medien über die Situation bei ihnen vor Ort berichtet. Falls Euch seltsame Zahlen oder Organisationen auffallen, kommentiert gerne unter diesem Text, schreibt uns eine E-Mail, twittert unter dem Hashtag #Spendengerichte und verlinkt bei Euren Recherchen auf unsere Datenbank, damit möglichst viele Leute davon erfahren.

Die Geldauflagen werden nach dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit verteilt. Richter sind nicht an Weisungen gebunden und nur dem Gesetz unterworfen. Weder direkte Vorgesetzte noch die Landesjustizminister dürfen die Richter beeinflussen. Geldauflagen aus eingestellten Strafverfahren gehen in Deutschland zum großen Teil an gemeinnützige Einrichtungen. Die Richter können frei entscheiden, welche Organisation wie viel Geld erhält. Alternativ können Richter und Staatsanwälte das Geld auch in die Landeskasse geben, wo es dann in den Haushalt fließt.

CORRECTIV arbeitet seit Monaten für mehr Transparenz. In unserer Datenbank finden sich zahlreiche Vereine, die weder Menschen von Straftaten abhalten, noch Straftätern zurück in die Gesellschaft helfen. Darunter Schützen- und Karnevalsvereine oder der ADAC. Dazu haben wir Interessenkonflikte entdeckt: Richter haben sich selbst für gemeinnützige Einrichtungen engagiert. So zum Beispiel in Bayern, wo Richterin Ursula Lewenton ihre Kollegen dazu gebracht hat, ihrem gemeinnützigen Verein Memnon e.V. Bußgeldspenden zukommen zu lassen. Zwischen 2007 bis 2013 hat der Verein insgesamt 89.335 Euro aus Geldauflagen erhalten.

Unsere Recherchen zeigen, wie schlecht einige Bundesländer ihre Gelder dokumentieren. Gerichte und Ministerien führen nur unvollständige oder gar keine Listen über die verteilten Geldauflagen. Schon vor Jahrzehnten lag dem Bundestag ein neuer Entwurf für das Strafgesetzbuch vor, um diese Gelder transparent zu verteilen. Seitdem ist nicht viel passiert.

Das Justizministerium in Baden-Württemberg veröffentlicht pro Jahr nur die drei höchsten Spenden an gemeinnützige Einrichtungen. Keine weitere Spende wird erfasst. Deshalb fordert der baden-württembergische Rechnungshof: „Die Geldauflagen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften sollten flächendeckend nach Einzelempfänger ausgewertet werden.“ In Brandenburg bekommen Vereine deutlich mehr Spenden, wenn sie ihren Sitz sehr nahe an Gerichten oder Staatsanwalten haben. Der dortige Landesrechnungshof stellte außerdem fest, dass die Gerichte das Geld regional sehr unterschiedlich verteilen. Deshalb müsse das System geändert werden.

In Sachsen gibt es laut Einschätzung des Landesrechnungshofes eine erhöhte Korruptionsgefahr. „Eine statistische Erfassung dieser Fälle als Grundlage für korruptionsvorbeugende Maßnahmen war nicht gewährleistet“, schrieb der Landesrechnungshof vor wenigen Monaten. Die Prüfer fordern deshalb mehr Transparenz. Der Rechnungshof in Bayern hatte bereits 2010 vorgeschlagen, dass die Landesjustizkasse das Geld abwickeln soll. Das Justizministerium lehnt den Vorschlag ab.

In Niedersachsen werden nach einer Prüfung des Rechnungshofes im Jahr 2009 sogenannte korruptionsvorbeugende Maßnahmen durchgeführt – bisher mit eher mäßigem Erfolg. In Hessen werden die Zahlungen derzeit nicht veröffentlicht. Das soll sich aber in Kürze ändern.

Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg erfasst das Justizministerium jedes Jahr nur die drei größten Spenden. Reinhard Löffler, Anwalt und Landtagsabgeordneter der CDU, sagt: „Am Ende des Jahres sollte jeder Bürger sehen können, wer wie viel profitiert.“

Der Landesrechnungshof empfahl im Mai 2014, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften über die einzelnen Empfänger informiert werden. So soll eine flächendeckende Auswertung der Daten ermöglicht werden. Das Justizministerium hat die Staatsanwaltschaften bereits angewiesen, die Zahlungen zu erfassen. Die Gerichten müssen wohl aber erst ihre Computerprogramme umrüsten. Ob die Empfehlungen des Rechnungshofes umgesetzt werden, soll in Zukunft alle sechs Monate geprüft werden.

Die Richter in Baden-Württemberg sperren sich offenbar gegen eine Änderung und beharren auf ihrer richterlichen Unabhängigkeit. So schreibt das Justizministerium, „dem weitaus überwiegenden Teil der Geldauflagen lägen gerichtliche Entscheidungen zugrunde, bei denen eine Einflussnahme wegen der richterlichen Unabhängigkeit verwehrt sei.“

„Meiner Meinung nach ist das aber falsch“, sagt Reinhard Löffler. Das Urteil selbst und die Höhe der Zahlung gehörten zur richterlichen Unabhängigkeit. Wie das Geld verwandt wird, gehöre dagegen nicht dazu. „Der Richter entscheidet ja auch nicht, ob ein Angeklagter in die JVA Landsberg oder Kempten kommt. Das macht die Verwaltung.“ Ähnlich soll auch die Entscheidung über die Bußgelder von der Verwaltung geregelt werden und nicht vom Richter.

Der Rechnungshof kritisierte, dass ein sehr hoher Anteil der Geldauflagen an gemeinnützige Einrichtungen geht – und nicht in die Landeskasse. Von 2009 bis 2012 überwiesen Richter und Staatsanwälte nur 19 Prozent der Bußgelder in die Staatskasse. Im Vergleich mit anderen Ländern ist der Anteil extrem niedrig. Das Justizministerium will dagegen nicht, dass mehr Geld in die Staatskasse geht. Dabei könnte das Geld an manchen Stellen sinnvoll eingesetzt werden. „Im Bereich der Justiz sind wir völlig unterfinanziert“, sagt Reinhard Löffler. Der SPD-Abgeordnete Klaus Maier stimmt zu. Auch der Finanzausschuss könne mehr Geld gebrauchen. „Allerdings entstehen dann Lücken bei den gemeinnützigen Organisationen, die wir irgendwie anders füllen müssen“, sagt Maier.

Brandenburg

Der Rechnungshof in Brandenburg hat bei seiner Prüfung vor wenigen Monaten festgestellt, dass die Listen über die Geldauflagen unvollständig und schlecht geführt werden. Der Aufwand, die Listen zu verwalten, sei zu hoch – und man könne nicht wirklich etwas über die Empfänger des Geldes aussagen. Wie die Mittel verwendet werden, wird nur stichprobenartig überprüft. Es werde nicht geprüft, wie erfolgreich die Vereine mit den Mitteln arbeiten.

Besonders auffällig ist, dass das Geld regional sehr ungleich verteilt wird. Gerade bei den Staatsanwaltschaften zeigt sich, dass Einrichtungen in den kreisfreien Städten Cottbus und Frankfurt (Oder) weit mehr Geld bekommen, als Organisationen in anderen Regionen. In beiden Städten liegen jeweils Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Computer- und Grenzkriminalität. Das Havelland und der Landkreis Oberhavel gehen im Gegensatz dazu fast leer aus. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass es hier persönliche Bindungen gibt oder dass die Vereine intensiv um Bußgelder werben. Das Justizministerium erklärt dazu, dass es bei der Zuweisung nicht darum geht, eine gleichmäßige regionale Verteilung sicherzustellen: „Die Geldauflagen dienen der Genugtuung für das begangene Unrecht und nicht der gezielten Förderung gemeinnütziger Einrichtungen.“ Diesem Prinzip widerspricht jedoch die Verteilung von Geldern an Einrichtungen wie dem Tierschutzverein Frankfurt (Oder), der Taek Won Do Schule Rathenow e.V. oder dem Radsportclub Cottbus.

Regionale Verteilung von Geldauflagen pro 1.000 Einwohner bei den Staatsanwaltschaften im Jahr 2012

Regionale Verteilung von Geldauflagen pro 1.000 Einwohner bei den Staatsanwaltschaften im Jahr 2012. Klare Gewinner: Cottbus und Frankfurt (Oder)

Landesrechnungshof Brandenburg

Der Rechnungshof fordert, das System zu prüfen und eventuell einen Sammelfonds einzurichten. Im Rechtsausschuss des Landtags wird das Thema seit langem diskutiert. Schon 2010 stand ein Sammelfonds nach dem Vorbild Hamburgs und des Saarlandes zur Diskussion. Im Koalitionsvertrag des vergangenen Jahres haben SPD und Linke geschrieben, dass sie den Täter-Opfer-Ausgleich verbessern wollen. „Wir wollen für eine bessere finanzielle Ausstattung der Opferhilfe sorgen“, sagt die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Margitta Mächtig von der Linken. „Einige Vereine werden bisher gar nicht berücksichtigt.“

Dieser Ausgleich ließe sich am besten über einen Täter-Opfer-Fonds verwirklichen. Die Richter wollen auch hier ihre richterliche Unabhängigkeit nicht verlieren. „Die Unabhängigkeit bezieht sich aber nur auf die Urteilsfindung und nicht auf die Verteilung der Gelder“, sagt Margitta Mächtig. In diesem Jahr, vermutlich im Herbst, soll es eine Anhörung zu dem Thema geben.

Sachsen

Der Rechnungshof in Sachsen kritisiert in seinem vor wenigen Monaten veröffentlichten Jahresbericht 2014 ebenfalls die mangelnde Transparenz der Geldauflagen. Das erhöhe die Korruptionsgefahr. Der Rechnungshof empfiehlt deshalb, alle Bußgeldspenden zu erfassen. Die Daten sollen dann auch im Rahmen von Risikoanalysen ausgewertet werden.

Das sächsische Justizministerium schreibt, dass bislang kein Missbrauchsfall bekannt geworden sei. „Dadurch besteht aktuell auch kein Handlungsbedarf für weitere korruptionsvorbeugende Maßnahmen“, sagt Jörg Herold, der Pressesprecher des Justizministeriums. Schließlich gebe es eine Liste aller gemeinnützigen Vereinigungen, aus denen die Richter dann auswählen könnten. Das beuge Missbrauch ausreichend vor.

Es wird jedoch zum Beispiel nicht geprüft, ob Richter und Staatsanwälte selbst in diesen Einrichtungen aktiv sind. „Die richterliche Unabhängigkeit ist in der Form nicht einschränkbar“, sagt Jörg Herold. So kann es in Sachsen weiterhin Interessenkonflikte zwischen beruflichen Pflichten und privatem Engagement geben.

Bayern

In Bayern hatte der Landesrechnungshof bereits 2010 vorgeschlagen, die Geldauflagen über die Landesjustizkasse abzuwickeln. „Die Justizkasse ist sowieso schon für die Zuweisung von Geldauflagen an die Staatskasse zuständig und könnte problemlos auch die anderen Zahlungen übernehmen“, sagt die Pressesprecherin des Landesrechnungshofes Sonja Öttl. Zentral organisierte Geldauflagen würden die Zahlungsströme leichter verfolgbar machen: transparenter und einfacher für Richter und Staatsanwälte. Sie könnten weiter entscheiden, an wen das Geld geht – aber die Landesjustizkasse würde alles organisieren. Die Staatskasse könnte sichern, dass das Geld immer an der richtigen Stelle ankommt.

Das Justizministerium schreibt, dass der Vorschlag des Rechnungshofes nur mit großem Aufwand umzusetzen sei. „Wir bräuchten zusätzliches Personal, zusätzliche Programme und es wäre ein enormer monetärer Aufwand“, sagt Oberregierungsrätin Ulrike Roider, die Pressesprecherin des bayerischen Staatsministeriums der Justiz. Das Ministerium sagt, es habe ein neues IT-Verfahren eingeführt und schaffe damit bereits Transparenz. Deshalb lehnt es den Vorschlag des Rechnungshofes ab. Wie das Geld verteilt wird, soll im neuen IT-Verfahren direkt erfasst und jahresbezogen ausgewertet werden. Dies gilt für Geld an gemeinnützige Einrichtungen genauso wie für den Teil, der in die Staatskasse fließt.

Niedersachsen

Auch der Landesrechnungshof in Niedersachsen hat 2009 die Geldauflagen geprüft und gefordert, Korruption zu bekämpfen. Seitdem werden Richter und Staatsanwälte auf eine Antikorruptionsrichtlinie hingewiesen. Konkret hat sich seitdem jedoch nicht viel getan. „Die Auflistungen aller Zahlungen in Niedersachsen werden nun bei uns konzentriert“, erklärt Dr. Michael Henjes, Pressesprecher des Oberlandesgerichts Oldenburg. „Allerdings werden nur Zahlungen ab einem Betrag von 7500 Euro berücksichtigt.“ Zwar werden alle Überweisungen gesammelt, Beträge unter 7500 Euro werden jedoch nicht statistisch erfasst. Niedersachsen kontrolliert immer noch nicht flächendeckend, wer wie viel Geld von wem bekommt. Die Listen aus vergangenen Jahren sind nur teilweise zugänglich.

Hessen

In Hessen veröffentlicht die Justiz derzeit nicht, wer wie viel Geld von Richtern und Staatsanwälten bekommt. Grund ist laut Justizministerium die komplizierte Erfassung der Daten. Bislang haben wir deshalb nur die Daten aus den Jahren 2007 bis 2011 in unserer Datenbank. Im Herbst 2015 soll sich das aber ändern, sicherte das Ministerium im Gespräch mit CORRECTIV zu. Dann werden auch die hessischen Zahlungen nach 2011 in unsere Datenbank einfließen.

Offene Recherche

Alle bislang bekannten Geldströme gibt es in unserer Datenbank. Nach unserem Update haben wir nun Zahlungen über 350 Millionen Euro aus den Jahren 2007 bis 2014 erfasst. Ihr könnt dabei helfen, deutsche Richter und Staatsanwälte zu überprüfen. Ihr könnt in den Zahlungen suchen, nach einer Stadt oder einem Verein. Hier haben wir beschrieben, wie ihr in der Datenbank suchen könnt. Im Herbst hatten auch zahlreiche lokale Medien über die Situation bei ihnen vor Ort berichtet. Falls Euch seltsame Zahlen oder Organisationen auffallen, kommentiert gerne unter diesem Text, schreibt uns eine E-Mail, twittert unter dem Hashtag #Spendengerichte und verlinkt bei Euren Recherchen auf unsere Datenbank, damit möglichst viele Leute davon erfahren.

Redaktion: Jonathan Sachse und Daniel Drepper