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USA: Folter durch sexuelle Erniedrigung

Serie Zero Impunity, Teil 2: Mitarbeiter des US-amerikanischen Geheimdiensts CIA kleben Nacktfotos auf die Körper von Gefangenen. Sie lassen sie in Büstenhaltern paradieren. Sie drohen, ihre Mütter vergewaltigen zu lassen. Über zwei Jahre lang haben französische Journalistinnen recherchiert, wie Vergewaltigungen und sexuelle Erniedrigung zur Waffe werden – und warum sie so häufig ungesühnt bleiben. Auch in den USA.

von Anne-Laure Pineaut , Sophie Tardy-Joubert

© Damien Roudeau

Warum wir über dieses Thema berichten

Im US-Gefangenenlager Guantánamo war sexuelle Gewalt an der Tagesordnung – das erzählen uns unabhängig voneinander drei ehemalige Häftlinge.

Ärzte hätten dabei gestanden und stumm zugesehen, wie Gefangene misshandelt wurden – oder haben sich aktiv daran beteiligt. Laut dem CIA-Folterbericht, 2014 für den amerikanischen Kongress verfasst, hätten sie die „größtmöglichen medizinischen Schläuche“ in den Anus der Gefangenen eingeführt. Einer von ihnen, Mustafa Al Hawsawi, einer der Drahtzieher von 9/11 und bis heute Gefangener in Guantánamo, wurde inzwischen am Rektum operiert, weil ihm nach jahrelangen Misshandlungen der After aufgebrochen war.

„Nach jedem Toilettengang musste er seine Gedärme wieder manuell hineinschieben, sie hingen einfach heraus“, sagt sein Anwalt Walter Ruiz. Dies sei eine Folge von jahrelanger „rektaler Ernährung durch Schläuche“ gewesen.

Bis heute sind die Namen der Ärzte unter Verschluss. Niemand hat die Mediziner bislang zur Verantwortung gezogen. Dabei ist eine Ernährungssonde durch den After nur in den allerseltensten Fällen medizinisch sinnvoll, etwa bei komatösen Menschen. „Es ist eine der größten medizinischen Skandale der USA“, sagt Sarah Dougherty von Physicians For Human Rights. Die NGO erstellt medizinische Gutachten für Menschenrechtsorganisationen.

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Das Gefangenenlager Guntanamo auf Kuba. Zwei Psychologen dachten sich Foltermethoden für die Häftlinge aus

Damien Roudeau

Die Vorgeschichte

Der Mann, der sexueller Erniedrigung im Rahmen von Folter den Weg bereitet hat, empfängt uns an einem warmen Herbsttag 2016 in Washington D.C. John Rizzo, ehemaliger Chefjurist des CIA, verlebt seinen Ruhestand in dem angesagten Innenstadtviertel Georgetown. Ein Dandy mit schneeweißen Haaren, der sich jeden Morgen seine Socken passend zum Polohemd aussucht und anschließend durch die Gassen mit den bunt gestrichenen Bungalows flaniert. Vor 14 Jahren gehörte er zu einer kleinen Gruppe von Leuten, die neue Verhörmethoden einführte, um Menschen zu brechen. Darunter: sexuelle Erniedrigung und Gewalt.

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„Ich hätte die Folter stoppen können — aber ich habe es nicht getan“. John Rizzo, Chefjurist der CIA

Bis heute bereut Rizzo nichts; die Folter sei berechtigt gewesen. „Ein einziges Wort von mir, und die Folter hätte von einer Sekunde auf die andere aufgehört“, sagt er trocken. „Ich habe sie aber nicht gestoppt. Das Wichtigste war, ein zweites 9/11 zu verhindern.“

Nach dem Angriff auf das World Trade Center hatten die Mitarbeiter der US-Geheimdienste das Gefühl, versagt zu haben. „Wir waren schrecklich beschämt, die Attacke nicht vorhergesehen zu haben“, sagt John Rizzo. Er erinnert sich genau: Nur sechs Tage nach dem Terrorangriff, am 17. September 2001, erteilte das Büro von Präsident Bush der CIA volle Befugnisse, eine Verhörmethode für potentielle Terroristen zu entwickeln.

Im März 2002 fällt der CIA in Pakistan ein saudischer Mann in die Hände. Abu Zubaydah wird verdächtigt, einer der Drahtzieher der Terroranschläge und ein Vertrauter von Osama bin Laden zu sein. „Wir dachten, Zubaydah wisse über künftige Attentate Bescheid. In Wirklichkeit war er nicht der große Fisch, für den wir ihn hielten“, räumt Rizzo freimütig ein.

Doch Zubaydah schweigt auf die Fragen im Verhör. Rizzo: „Wir wollten ihn zum Reden bringen.“

Foltermethoden aus Nordkorea

Der Geheimdienst beschließt, zwei Psychologen einzuschalten, James Mitchell und Bruce Jessen. Heute wird gegen beide Männer ermittelt, die amerikanische Menschenrechts-Organisation ACLU hat sie angezeigt. Die beiden hatten zuvor nie an Verhören teilgenommen und eigentlich keine Ahnung. Deshalb kopierten sie in ihrem Konzept nahezu Wort für Wort das militärische Trainingsprogramm SERE 1, das wiederum an nordkoreanische Foltermethoden angelehnt ist. Deren Ziel: Den Gefangenen „zu verunsichern und zu beschämen, um seinen Widerstand zu brechen“, erläutert Rizzo.

Mitchell und Jessen schlagen ihm eine Liste mit 20 Techniken vor, darunter das „Ausziehen“ der Gefangenen, die Nutzung „von stressauslösenden Positionen“ und Verhöre, die 20 Stunden dauern. Rizzo weiß, dass diese Methoden dem internationalen Recht widersprechen. Der Genfer Konvention, der sich auch die USA angeschlossen haben.

„Dreckige internationale Verpflichtungen“, nennt Rizzo diese völkerrechtlich verbindlichen Verträge damals in einer Email an einen CIA-Kollegen. Er beschließt, sich hinter die beiden Psychologen zu stellen. „Ich wollte nicht das Risiko eines neuen Attentats mit hunderten unschuldig getöteten Amerikanern eingehen“, sagt er heute.

So wird Zubaydah zum Versuchskaninchen. Er wird – nackt – in einen Sarg gesperrt, über einen Schlauch in den Anus „ernährt“ und 24 Mal mit dem Waterboarding bis zur Bewusstlosigkeit unter Wasser gedrückt.

Rizzo: „Die Experten waren überzeugt, dass Zubaydah über die Nacktheit so weit erniedrigt werden könne, dass sein Widerstand bricht.“ Mit vollem Bewusstsein übertritt er die rote Linie. „Ich wusste: Sobald diese Methoden öffentlich werden, sind wir am Ende.“

Grünes Licht für „erzwungene Nacktheit“

Deshalb weiht er strategisch das Weiße Haus ein. Laut Rizzo werden die Verhörmethoden bei den täglichen Briefings mit dem Direktor des CIA und einigen Regierungsmitgliedern der Bush-Regierung besprochen. Condoleezza Rice, die nationale Sicherheitsberaterin, sei bestürzt gewesen über das Ausziehen der Gefangenen. Außenminister Colin Powell habe den Schlafentzug kritisiert. „Aber keiner von ihnen hat uns gesagt, diese Methoden zu stoppen“, betont Rizzo.

Im Juli 2002 gibt Condoleezza Rice im Namen der Regierung der CIA grünes Licht. Die „erzwungene Nacktheit“ soll auf Personen angewandt werden, bei denen der CIA enge Verbindungen zu Al Qaida vermutet. Die sexuelle Erniedrigung im Namen der Regierung ist etabliert.

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Condoleeza Rice war bestürzt über die erzwungene Nacktheit der Gefangenen — aber die Sicherheitsberaterin legte kein Veto ein

Außer John Rizzo ist kein CIA-Angehöriger zu einem Interview mit uns bereit. Der Sprecher des CIA, Ryan Trapani, erklärt, sein Dienst habe zu diesen Vorwürfen „nichts zu sagen“, und wünscht uns bei unserer Recherche „viel Glück“.

Das Verteidigungsministerium teilt per Mail mit, man behandele alle Gefangenen „menschlich und im Einklang mit internationalem Recht“. Das Verbot von Folter sei ein „uneingeschränktes Recht“ und der „Detainee Treatment Act“, der 2005 schließlich die bis dahin erlaubte Folter beendet, verbiete es, Menschen „grausam, unmenschlich oder erniedrigend“ zu behandeln. Das Ministerium gehe allen Vorwürfen nach und werde, wenn nötig, Strafverfahren einleiten.

Ein Staatsstreich des Vizepräsidenten

Lawrence Wilkerson kämpfte im Vietnam-Krieg und war Stabschef im Pentagon, und er war es, der die Rede schrieb, die US-Außenminister Colin Powell 2003 vor der UN hielt – die entscheidend war für die spätere Irak-Invasion. Später wurde er zu einem der schärfsten Kritiker der US-Außenpolitik. Wir treffen ihn in einem Starbucks-Café bei Washington. Er ist ein höflicher Mann mit Nickelbrille und einem eleganten Anzug. Er sagt, im US-Außenministerium habe man „im Fernsehen“ davon erfahren, dass die USA Folter anwende. „Es war ein Staatsstreich von Vizepräsident Dick Cheney.“

Als Wilkerson begriff, dass die CIA sich auf das nordkoreanische Folterprogramm SERE stützte, sei er bestürzt zu Colin Powell gerannt. „Ich habe ihn gefragt, wie können diese Idioten nur an diesen Quatsch glauben?“ Aber sein Alarm blieb folgenlos. Wilkerson befürchtete, dass diese „Techniken“ in der Armee Schule machen würden. Er sollte Recht behalten. Seit Herbst 2002 gehörte sexuelle Erniedrigung auch bei der Armee zum Arsenal der Mittel.

Drohung, die Mutter zu vergewaltigen

Der Kommandant von Guantanamo, General Michael Dunlavey, will das Schweigen eines besonders hartnäckigen Gefangenen brechen. Er trägt die Nummer 63 und ist ein 22 Jahre alter Saudi namens Mohammed Al Qahtani. Er wurde im November 2001 in Afghanistan gefangen genommen. Dunlavey erhält von Verteidgungsminister Donald Rumsfeld die Erlaubnis, die „verschärften Verhörtechniken“ anzuwenden. Al Qahtani wird 49 Tage lang 20 Stunden täglich verhört und sexuell erniedrigt. Laut inzwischen frei gegebener Dokumente des CIA kleben die Ermittler pornografische Fotos auf seinen Körper, lassen ihn im Büstenhalter paradieren, drohen, seine Mutter zu vergewaltigen.

Im April 2003 geht Donald Rumsfeld noch weiter und veröffentlicht ein Dokument, in dem diese Methoden explizit erklärt werden. Die Ermittler sollten ihre „Methoden variieren“ und der Kultur des Gefangenen anpassen, um seine Schwächen auszunutzen.

„Die Schläge vergisst Du, die Übergriffe nie“

Unter den Opfern dieses Freibriefs für die Folter sind auch deutsche und französische Bürger. Nizar Sassi lebt in einem Vorort von Lyon, dort, wo die Häuser hoch und die Wohnungen eng sind. Der 37-Jährige, er ist dreifacher Vater, arbeitet als Aufzugsmonteur. Er ist einer von sechs Franzosen, die in Guantanamo inhaftiert waren. Sassi spricht hier zum ersten Mal darüber.

Als 22-Jähriger reist er zu einem Ausbildungslager von Bin Laden im Sommer 2001. Als er nach Frankreich zurückreisen will, wird er festgenommen und ins Lager von Kandahar in Afghanistan gebracht. „Wir waren die ersten Gefangenen. Wir wurden geschlagen und misshandelt, aber das Schlimmste waren die Vergewaltigungen“, sagt er.

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Nizar Sassi, einer der ersten Gefangenen im Antiterrorkrieg der USA. „Die Schläge kannst Du vergessen, die Übergriffe nie“

Damien Roudeau

Mit 30 weiteren Gefangenen mussten sie sich im Gänsemarsch aufstellen. „Sie haben uns die Hosen herunter gezogen. Ich weiß nicht, was sie uns in den Hintern geschoben haben, aber es war schrecklich schmerzhaft.“ Anschließend hätten sie sie mit einem Hochdruckreiniger abgespritzt und zu einem Berg nackter Männer geworfen. Die ganze Zeit machten sie Fotos von uns.“

Nach Kandahar verbrachte Sassi zwei Jahre in Guantanamo. Nahezu täglich erleidet er sexuelle Übergriffe und anale Penetrationen. „Die Schläge, das kannst du vergessen, aber die Übergriffe nie.“

Symbolische Vergewaltigung

Auch die Geheimdienstler bleiben unbestraft. Nur wenige lehnten sich gegen die Folterpraktiken auf. Wie Mark Fallon, Spezialfahnder in Guantánamo. Wir treffen ihn am 19. Oktober 2016 in Washington. Noch immer ist er von seiner Arbeit in dem kubanischen Gefängnis gezeichnet. Der Kriminalist hatte sich seit den 1990er Jahren einen Namen damit gemacht, über Al Qaida Informationen zu sammeln. Er tarnte sich mal als Dealer, mal als Waffenhändler. Nach den Anschlägen setzten ihn die amerikanischen Sicherheitsbehörden ein, um eine neue Geheimdienst-Abteilung in Guantánamo aufzumachen. Fallon leitet zusammen mit Geoffrey D. Miller, seit 2002 Leiter der Task Force Guantánamo, eine Gruppe von 230 Menschen.

Doch dann werden Miller und Fallon zu Gegnern. „Ich habe gesehen, wie das Waterboarding begann. Diese Menschen wussten nicht, was sie taten, es waren Amateure“, sagt der heutige Rentner. Miller habe sie dazu ermuntert, dabei habe der Artillerie-Chef keine Ahnung von Verhören gehabt. „Er wurde dazu befördert, das dreckige Geschäft zu machen.“

Sexuelle Folter

Fallon hört von seinen Untergebenen von den Folterpraktiken unter General Miller. Schockiert schreibt er an seine Vorgesetzten der Marine, die für das Gefängnis Guantánamo verantwortlich ist. In der uns vorliegenden Mail schreibt Fallon über die Methoden, die von der Sektion 170 ausgeübt werden: „Die Kommentare zu diesen Methoden, beispielsweise von Lieutenant Diane Beaver, (…) dass medizinisches Personal anwesend sein müsse, falls ein Unfall passiere, beweisen, dass sich die Methoden außerhalb des Rechts abspielen. Wir müssen beachten, wie die Geschichtsschreibung uns beurteilen wird“, schreibt er. Seine Warnung verhallt. Im September 2003 wird General Miller in den Irak entsandt, um seine Methoden im Gefängnis Abu Ghraib zu verbreiten.

„Als ich ihn dort hingehen sah, wusste ich: Seine schrecklichen Methoden werden sich dort wie ein Krebs verbreiten.“ Und so kommt es: Im April 2004 gehen Fotos aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib um die Welt.

Nackte Gefangene sind zu menschlichen Pyramiden gestapelt, müssen vor grölenden amerikanischen Soldaten masturbieren. Soldatinnen halten sie unbekleidet an Hundeleinen. Amerika steht unter Schock.

Verteidigungsminister Rumsfeld widerspricht: Nein, das seien „Einzelfälle.“

Keiner der Verantwortlichen ist bis heute bestraft worden.

Übersetzung aus dem Französischen: Annika Joeres

CORRECTIV ist Kooperationspartner der internationalen Recherche www.zeroimpunity.com. Das Projekt mit Veröffentlichungen in verschiedenen europäischen Medien wurde von Nicolas Blies, Stéphane Hueber-Blies und Marion Guth (a_BAHN) gegründet, die sich als „engagierte Dokumentaristen“ bezeichnen.

 

CORRECTIV-Serie Zero Impunity

„Die perfekte Waffe“: Warum wir über das Thema berichten

Teil 1: Französische Soldaten sollen jungen Frauen in Zentralafrika missbraucht haben

Teil 2: USA: Folter durch sexuelle Erniedrigung

Teil 3: Im syrischen Bürgerkrieg werden Kinder vergewaltigt um ihre Eltern fertig zu machen