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Streit ums beste WM-Quartier aller Zeiten

Im Campo Bahia wohnte die Nationalmannschaft während der WM 2014. Gebaut hatte die Anlage der Münchner Modeunternehmer Christian Hirmer. Jetzt verklagt ein in Brasilien lebender Geschäftsmann Hirmer und wirft ihm Vertragsbruch vor. Die Klageschrift zeigt erstmals die Hintergründe um den Bau des WM-Quartiers und wie teuer es war. Der DFB zahlte demnach täglich 65.000 Euro für die Nutzung der Hotelanlage.

von Daniel Drepper , Frederik Richter

DFB-Vertreter Oliver Bierhoff (m.) und Hansi Flick (r.) lauschen auf der Baustelle einer Präsentation des Campo Bahia.© Stefan Gast

Stefan Maria Gast, ein hochgewachsener Mann mit vollem, fast weißem Haar, ist Vermittler. Er wohnt seit mehr als zwei Jahrzehnten in Brasilien. Unter anderem war er Chef des deutsch-brasilianischen Unternehmensnetzwerkes LIDE. Er lebt davon, deutschen Unternehmen in der für Ausländer manchmal schwierigen brasilianischen Wirtschaft zu helfen, sich im Land auszukennen, zu wissen, was gerade läuft.

Gast bringt Geschäftspartner zusammen, und wenn die sich einig werden und anschließend investiert wird, kassiert der Vermittler eine Provision. 

Im Jahr 2013 tritt auch der Deutsche Fußballbund (DFB) an Stefan Maria Gast heran. Der DFB sucht zu dieser Zeit ein geeignetes WM-Quartier für die deutsche Nationalmannschaft. Gast kann helfen. Denn er kennt ein Bauprojekt des Münchner Modeunternehmers Christian Hirmer. Der hat eben begonnen, in nordöstlichen Bahia, dem Bundesstaat mit den schneeweißen Traumstränden, eine Anlage mit luxuriösen Villen direkt am Meer zu bauen. Vermittler Gast trifft sich mit DFB-Quartiermeister Oliver Bierhoff und gibt ihm einen Tipp. Einige Monate später ist der Deal besiegelt: Das Bauprojekt von Modeunternehmer Hirmer soll das WM-Quartier des DFB werden. Das Campo Bahia.

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Bild aus besseren Zeiten: Christian Hirmer (l.), Stefan Gast (2. v. l.) und Oliver Bierhoff (r.)

Stefan Maria Gast

Stefan Maria Gast schließt daraufhin einen Vertrag mit Modeunternehmer Hirmer. Erst mündlich, dann schriftlich im Mai 2014, da sind die Bauarbeiten im Campo Bahia längst voll im Gang. Im Vertrag, der CORRECITV vorliegt, ist festgehalten, welche Leistungen Vermittler Gast erbracht hat: Er hat geholfen, die nötigen Baugenehmigungen zu bekommen, er hat Kontakte zu örtlichen Politikern hergestellt und dafür gesorgt, dass der Bau vorangeht. Sein Lohn laut Vertrag: Er soll an der Wertsteigerung der Luxusanlage mit zehn Prozent beteiligt werden. Die Wertsteigerung, die das Campo Bahia erfährt, wenn Fußballstars wie Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger oder Mario Götze erst einmal da sind und die Weltpresse über das Campo Bahia berichtet.

Vermittler Gast und Bauunternehmer Hirmer schätzen in dem Vertrag vom Mai 2014 den Wert der Immobilie auf 16,5 Millionen Euro. Wenige Monate später, nach der Weltmeisterschaft, soll ein Immobilienmakler aus den USA versuchen, 26 Millionen Euro für das Objekt zu erlösen. In ihrem Vertrag halten Gast und Hirmer die Vermittlungsprovision fest: zehn Prozent der Wertsteigerung. Also rund eine Million Euro.

Doch die Provision wird nie gezahlt. Darum hat Gast nun Klage eingereicht vor dem Landgericht München II. Seine Nachforderung, abzüglich bereits geflossener Honorare: 800.000 Euro. Hirmer bestreitet auf Anfrage die Vorwürfe, die Forderungen von Gast seien aus der Luft gegriffen. 

Um sein Leben gefürchtet

In der Klageschrift beschreibt Stefan Maria Gast einen wahren Krimi, der sich damals, in den Tagen vor der WM, in Bahia zugetragen haben soll. Gast sagt, dass er aus dem Projekt gedrängt worden sei, als seine Kenntnisse vor Ort nicht mehr gebraucht wurden. Jedenfalls habe wenige Woche vor dem Eintreffen der deutschen Fußballer sein Handy geklingelt. Er habe damals im La Torre-Hotel in Porto Seguro gewohnt, eine Autostunde entfernt vom Campo Bahia. Der Hotelbesitzer sei dran gewesen und habe ihn gewarnt: Er lebe jetzt gefährlich, weil er zu viel wisse. Wörtlich heißt es in einer Anlage zur Klageschrift: „Herrn Gast war bestens bekannt, wer Schmiergelder in welcher Höhe im Zusammenhang mit dem Projekt in Empfang nehmen wollte. Herr Gast hatte auch Kenntnis davon, dass Projektbeteiligte Kontakt zu Drogenhändlern hatten.“

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Stefan Maria Gast und Oliver Bierhoff auf dem späteren Trainingsplatz der deutschen Nationalmannschaft.

Stefan Maria Gast

Gast sagt, er habe damals um sein Leben gefürchtet. In Brasilien koste es nur einige hundert Euro, einen Killer anzuheuern und auf jemanden anzusetzen. Er sei mit seiner Frau sofort aus Porto Seguro abgereist. Ein Bekannter bei der Polizei habe ihn einige Tage lang beschützt, später sei er am Strand nur noch mit Bodyguard joggen gegangen.

Nach jenem Anruf habe man ihn nicht mehr ins Hotel in Porto Seguro gelassen, sagt Gast. Er fühlt sich ungerecht behandelt. Er sei doch derjenige gewesen, der das alles ermöglicht habe, der die Idee für dieses WM-Quartier hatte. Als das Turnier beginnt, als die deutsche Nationalmannschaft am 8. Juni 2014 in Brasilien eintrifft, fühlt sich Gast als Persona non grata.

Wie lukrativ war das Geschäft?

Der Unternehmer Christian Hirmer bestreitet diese Darstellung vehement. Er leitet in dritter Generation die Hirmer Gruppe, die vor allem mit Mode ihr Geld verdient. Ihr Stammhaus an der Münchner Frauenkirche bezeichnen die Hirmers gern als das „größte Geschäft für Herrenmode weltweit“. Christian Hirmer hat die Immobiliensparte mit aufgebaut und wirbt auf der Homepage des Unternehmens mit dem Campo Bahia. Zitat: „Mit dem in Rekordzeit und bester Qualität erbauten WM-Quartier hat Hirmer Immobilien seinen Beitrag zum Weltmeistertitel der deutschen Nationalmannschaft und gleichzeitig zu nachhaltiger Entwicklung in der Region Bahia geleistet.“

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Das Stammhaus des Modeunternehmens Hirmer im Zentrum Münchens.

In der Tat habe Vermittler Gast den ersten Anstoß zum Campo Bahia als WM-Quartier gegeben, sagt Christian Hirmer auf Anfrage von CORRECTIV. Doch dann habe sich Gast durch sein „unangebrachtes Chefgehabe“ und seine „Gutsherrenart“ bei den lokalen Projektpartnern unmöglich gemacht. Darum habe er, Hirmer, ihn aus dem Projekt entfernt.

In einer E-Mail schreibt Christian Hirmer an uns: „Es wurde an uns die nachdrückliche Bitte und Aufforderung herangetragen, dass wir uns möglichst schnell von Herrn Gast und der Lide trennen sollten, weil dieses Verhalten von Herrn Gast nicht mehr akzeptiert werden würde.“

Gast wiederum streitet dieses Verhalten ab. Stattdessen habe er zurückgesteckt, um den Erfolg des Projekts nicht zu gefährden.

Hirmer sagt außerdem, dass Gast über die erste Kontaktanbahnung hinaus keine besonderen Leistungen erbracht habe. Und schließlich: es habe für das Campo Bahia bisher kein Angebot gegeben, das einen Gewinn eingebracht hätte. Als Hotel habe das Campo bisher die Gewinnschwelle nicht erreicht. Bis heute gehört Campo Bahia dem Münchner Unternehmer Hirmer.

Vermittler Gast behauptet weiter, dass Hirmer für seinen Ausschluss aus dem Hotel in Porto Seguro gesorgt habe, um zu verhindern, dass Gast der DFB-Delegation begegnen und ihr so schmutzige Details über Hirmer erzählen konnte.

Leere Versprechen

Das Campo Bahia sollte mehr sein als eine schnöde Unterkunft. Es sollte auch ein soziales Erbe hinterlassen in einem Land mit enormen Gegensätzen zwischen Arm und Reich.

Am 13. Dezember 2013 ließ Modeunternehmer Hirmer in einer Pressemitteilung mitteilen: „Wir freuen uns außerordentlich, den DFB mit seinem Team mit einem optimalen Camp zu unterstützen – und die Menschen in der Region Bahia mit unserem Projekt „campo bahia“, beginnend 2014 mit der Fifa WM, langfristig zu stärken.“

Gast sagt, dass Hirmer & Co. zugesagt hätten, ein Waisenheim der Organisation Ampare in der Nähe zu fördern, geleitet von einem brasilianischen Pater namens Otto Saffran. Doch dann, sagt Gast, habe man vor allem Image-Filme gedreht. In einem tritt ein Mädchen namens Luana auf und erzählt von ihrem Traum, einmal Ballerina zu werden. In einem anderen gibt Hirmers Ehefrau Christiane zu Protokoll: „Dass man etwas tut für die Menschen dort, mit den Geldern, die dort hingetragen werden, dass etwas bleibt, auch nachhaltig.“ Derweil die Kinder im Waisenheim eifrig mit schwarz-rot-goldenen Fingerfarben malen.

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Image-Träger: das versprochene Geld hat Pater Otto nicht erhalten

Screenshot youtube.com / CampoBahia

Auf Anfrage von CORRECTIV sagt Pater Otto Saffran, dass er von den Hirmers nach der WM nie Geld erhalten habe. Nur ein anderer deutscher Geschäftsmann, dem ein Teil des Campo Bahia-Grundstücks gehörte, habe ihm insgesamt 14.000 Euro gespendet, unter anderem aus dem Erlös einer Trikotversteigerung.

„Ich hätte mir das nie vorstellen können“, sagte Pater Otto. Er ist enttäuscht über die nicht eingehaltenen Versprechungen. Letztlich hätten die leeren Versprechen seiner Arbeit sogar geschadet. Denn andere Spender hätten sich nach den Ankündigungen aus Deutschland erst einmal zurückgehalten. Der versprochene Ausbau des Waisenheims hätte nach Schätzung von Pater Otto umgerechnet knapp 100.000 Euro gekostet.

Umweg über die Fifa

Das ist im Milliardengeschäft Fußball eigentlich nicht viel Geld. Genauer gesagt: weniger als zwei Übernachtungen der deutschen Nationalmannschaft im Campo Bahia. Aus dem Vertrag zwischen Hirmer und Gast geht hervor, dass der DFB 65.000 pro Tag bezahlte, insgesamt 2,5 Millionen Euro für seinen Aufenthalt. Zum Vergleich: laut Presseberichten zahlte das italienische Team insgesamt nur etwa 800.000 Euro für seine Unterkunft in Brasilien.

Das Geld vom DFB floss allerdings nicht direkt an Hirmer. Denn bei einer Weltmeisterschaft muss jedes Mannschaftsquartier eine offizielle Fifa-Unterkunft sein. Das Geld floss daher vom DFB an eine von der Fifa mit der Unterkunft der Mannschaften beauftragte Agentur. Diese bezahlte dann Hirmer.

Weder der DFB noch die von der Fifa beauftragte Agentur Match Hospitality wollten sich zu konkreten Zahlen äußern. Damit ist auch unklar, ob die Fifa den vollen Betrag, den sie vom DFB für die Unterkunft erhalten hatte, weiterleitete, oder einen Teil davon für sich verbuchte. Der DFB selbst gab an, eine halbe Million Euro für wohltätige Zwecke in Brasilien ausgegeben zu haben.

Ein Schatten

Das Campo Bahia – bis heute hallt sein Name nach. Wäre die deutsche Mannschaft im Achtelfinale gegen Algerien ausgeschieden, es würde sich kein Mensch mehr an die Villen am Meer erinnern. Doch mit dem WM-Titel beginnt die Verklärung des Luxusressorts, und der 700-Quadratmeter-Pool wird zum Ort, an dem der Mannschaftsgeist geschmiedet wurde, der Geist vom Campo Bahia. Der damalige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sagte später: Dies war „das beste WM-Quartier aller Zeiten“.

Auch für Modeunternehmer Hirmer fiel etwas Glanz ab. So ließ er sich kurz nach dem Titelgewinn gemeinsam mit seiner Frau unter anderem in der „Bunten“ feiern. „Urlaub machen wie die Weltmeister“, lautet die Überschrift, und weiter: „Sie gaben unseren WM-Helden ein Zuhause: Christiane und Christian Hirmer hatten mit dem brasilianischen Campo Bahia eine Wohlfühloase an einem der schönsten Strände der Welt geschaffen.“

Der einzige Störenfried in dieser Idylle ist Stefan Maria Gast.