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Wie die Teppichindustrie versucht, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen

Alte Teppiche werden in Deutschland in aller Regel verbrannt. Einige Teppichhersteller brüsten sich nun mit Nachhaltigkeitskonzepten und erwecken den Eindruck, dass sie alte Teppiche recyceln. Doch nach CORRECTIV-Recherchen werden weniger als fünf Prozent der Teppiche tatsächlich recycelt, die Deutsche Umwelthilfe kritisiert die Recycling-Werbung als „Greenwashing". Die EU fördert die Hersteller dennoch mit Millionen-Beträgen.

von Benedict Wermter , Delphine Reuter

In dieser Anlage der Firma Renova werden auch alte Teppiche verbrannt.© Will Rose

Die niederländische Firma Desso und das amerikanische Unternehmen Interface sind die Marktführer unter den Teppichherstellern in Europa. Jeder zweite ausgelegte Teppich wird in den Fabriken einer der beiden Firmen hergestellt. Sie sind außerdem die einzigen Unternehmen der Branche, die mit Nachhaltigkeitsstrategien werben.

So will die Firma Desso nach eigenem Bekunden soziale Verantwortung tragen und erneuerbare Energien nutzen. Vor allem wirbt der Teppichproduzent damit, gebrauchte Teppichböden zu recyceln und Schadstoffe zu vermeiden. Für das Recycling betreibt Desso eine Anlage in den Niederlanden. „Unternehmen müssen in der Lage sein, die Materialströme zu bestimmen, wenn das Produkt nach seiner Nutzung zurückgegeben wird“, schreibt Desso auf seiner Internetseite.

Außerdem preist Desso seine Cradle-to-Cradle Zertifikate. Diese hat das Unternehmen von der Umweltberatungsfirma EPEA aus Hamburg dafür erworben, dass einige seiner Produkte auf Umweltschädlichkeit und Recyclingfähigkeit überprüft worden sind. So haben einzelne Produkte ein Gold- oder Silberzertifikat für ihre Schadstoffarmut bekommen.

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Fabrik des Marktführers Desso.

Zigtausende Quadratmeter Teppich stellen die Niederländer her. Doch nur ein Bruchteil davon wird wieder recycelt.

Will Rose

Cradle-to-Cradle heißt „von der Wiege zur Wiege“. Nach dieser Philosophie gibt es keinen Abfall, sondern Unternehmen und Kunden dürften „intelligent verschwenden“ – solange Stoffströme geschlossen sind. Diese Denkschule geht auf den deutschen Chemiker Michael Braungart zurück, der mit Unterstützung seiner Ehefrau, der Ex-Umweltministerin Monika Griefahn, weltweit mehrere Beratungs- und Lizenzfirmen betreibt. „Im Mittelpunkt der Cradle to Cradle-Philosophie steht die Idee ,Abfall ist Nahrung’. Im Falle von Teppichböden hat Desso also eine Technologie entwickelt, mit der Teppiche zurückgenommen und deren Materialien recycelt oder wiederverwendet werden können.“ So beschreibt Desso selbst seinen Beitrag zur Cradle-to-Cradle-Denkschule.

Konkurrent Interface verfolgt seit 1994 einen Null-Abfall-Plan, „Mission Zero“ genannt, den das Unternehmen bis 2020 umgesetzt haben will. Kernelemente des Plans sind ähnlich wie bei Desso Müll vermeiden, erneuerbare Energien einsetzen, und den Stoffkreislauf schließen, also gebrauchte Teppiche zurücknehmen, die in einer eigenen Anlage in den Niederlanden in ihre Einzelteile zerlegt werden sollen.

Das grüne Image beider Teppichhersteller zahlt sich offenbar aus. Die Firmen gelten nicht nur als Branchenpioniere in Sachen Umweltschutz. Vor allem sind sie wirtschaftlich erfolgreich: Desso verkauft europaweit 187 Millionen Quadratmeter pro Jahr, Interface 208 Millionen – wie viel davon sie in Deutschland absetzen, wollen beide Hersteller auf Anfrage nicht verraten. Zum Vergleich: Die größten deutschen Firmen wie Vorwerk produzieren laut Branchenverband etwa 2,5 Millionen Quadratmeter.

Nur 3 Prozent der Teppiche landen wieder beim Hersteller

Doch: Wie CORRECTIV-Recherchen zeigen, nehmen die Marktführer nur kleine Mengen ihrer Teppiche tatsächlich zurück. Im Jahr 2015 hat Interface gerade einmal 900 Tonnen in Europa eingesammelt – das entspricht 1,5 Prozent der im selben Jahr verkauften Menge. Von einem Null-Abfall-Plan kann dabei nicht die Rede sein. Desso habe im selben Jahr 1342 Tonnen in Europa zurückgenommen, teilt die Firma nach zähem Hin und Her mit. Das entspricht nur 3 Prozent der verkauften Menge. 

Interface antwortet nur vage und teilt mit: „Trotz der oft komplexen und technischen Herausforderungen haben wir uns dazu verpflichtet, nachhaltigere Geschäftsaktivitäten voranzutreiben.“ Konkurrent Desso reicht die Verantwortung an seine Kunden weiter und schreibt: „Desso handelt aktiv, um Marktbedingungen zu verbessern, und ermutigt seine Kunden zu Pro-Recycling-Verhalten.“

Eine Studie der Deutschen Umwelthilfe hat ergeben, dass in Deutschland im vergangenen Jahr insgesamt rund 180 Millionen Quadratmeter verkauft wurden, der Branchenumsatz liegt bei 12 Milliarden Euro. Damit ist Deutschland der größte Absatzmarkt in Europa für Teppichhersteller. Etwa die Hälfte der Teppiche wird an private Haushalte verkauft, 40 Prozent in gewerblichen Räumen verlegt, der Rest landet auf Schiffen, Messen, oder in Flugzeugen. Einmal ausgerollt und verlegt liegen diese Kunststoff-Mischungen bis zu zehn Jahre; je nachdem, wie stark sie beansprucht werden, und ob sich in der Zwischenzeit Stilrichtungen ändern oder Räume anders genutzt werden.

Desso trennt in seiner „Refinity“ Fabrik in den Niederlanden Teppichfasern von anderen Schichten. Die benutzen Fasern schickt der Hersteller in die Werke der Firma Aquafil nach Italien oder Slowenien, erst dort wird aus dem alten Teppichgarn Nylon zurückgewonnen. Schon bei Dessos Internetauftritt fällt auf: Rückenbeschichtungen werden an den Straßenbau weiterverkauft, andere Komponenten zur Verbrennung an die Zementindustrie weitergegeben. Sehen geschlossene Kreisläufe nicht anders aus?

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Wertvolles Nylon:

Teppichgarn kann man recycelt. Doch dazu müssen sich die Hersteller auf einheitliche Produktionsmodelle einigen.

Will Rose

Die eigene Refinity Anlage wird sogar seit 2010 von der Europäischen Union mit Steuergeldern unterstützt. Desso hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2013 in Europa mindestens 16.000 Tonnen gebrauchter Teppiche zurückzubekommen. Im Gegenzug hat das Unternehmen von der EU die Hälfte der 1,5 Millionen Euro teuren Anlage bezahlt bekommen. Auf Anfrage von CORRECTIV bei der Umweltabteilung der EU teilt eine Sprecherin mit, dass sie zufrieden seien mit Dessos Leistung: Die Anlage laufe gut, sogar die niederländische Königin Beatrix habe dort schon vorbei geschaut.

Zudem hat Desso im Jahr 2012 ein Leasingsystem eingeführt, bei dem die Firma Eigentümer des Teppichs bleibt. Doch selbst wenn das Programm noch nicht lange läuft und Desso seinen Kunden beim Abtransport hilft, räumt der Teppichhersteller ein, dass „das Rücknahme System doch noch nicht wirklich bedeutsam ist.“

Das mag auch daran liegen, dass Desso offenbar keinen Plan dafür hat, wie die Teppiche vom  Privatmarkt zurückgenommen werden sollen. Denn das Rücknahmesystem bezieht sich hauptsächlich auf den Verkauf von Teppichfliesen im gewerblichen Bereich. Wie groß der Verkauf auf dem Privatmarkt ist, will Desso nicht verraten. CORRECTIV hat alle Vertragshändler von Desso in Berlin kontaktiert. Das Ergebnis: Keiner der Teppich-Händler hat gesagt, von dem Rücknahmesystem etwas gehört zu haben.

Umwelthilfe wirft den Firmen Greenwashing vor

Verpassen sich die Marktführer Desso und Interface also grüne Siegel, die die Realität verschleiern? „Desso und Interface arbeiten im Vergleich zu anderen Herstellern mehr am Recycling. Doch vieles steckt hier noch in den Kinderschuhen“, sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe. Das würde sich beim Marketing der beiden Unternehmen allerdings nicht bemerkbar machen: die Firmen würden den Eindruck erwecken, Kreislaufstrukturen seien voll aufgebaut, während Recycling in der Praxis kaum stattfinde. „Die Diskrepanz zwischen Darstellung und Realität kann man als Greenwashing bezeichnen“, sagt Fischer.

Edmund Vankann ist einer, der sich auskennt mit Teppichböden. Er ist der Kopf des Branchenverbands Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppichboden (GUT), in dem sich nach eigenen Angaben 95 Prozent der Hersteller versammeln. Auch er kritisiert Cradle to Cradle als ein unrealistisches Konzept in Zusammenhang mit Recycling: „Ein Goldzertifikat draufkleben, ist einfach. Es bleibt die Fragen, wie lässt sich die Rücknahme für alle umsetzen?“ Die GUT überlege, wie man die verschiedenen Produktionsmodelle der Hersteller so vereinheitlichen kann, dass ein branchenübergreifendes Recycling möglich ist. Bisher ohne Ergebnis, und so plädiert Edmund Vankann für die Verbrennung: „Teppiche brennen gut, denn die Rückenbeschichtungen enthalten viel Kreide.“

Gegen den Vorwurf des Greenwashings wehren sich die Unternehmen Desso und Interface. Desso schreibt: „Wir denken, dass die Menge von 20.000 Tonnen erreicht werden kann, auch wenn es länger dauert, als erwartet. Die Anschuldigung des Greenwashings ist völlig falsch und unbegründet mit Bezug auf das, was die Firma täglich leistet.“ Interface teilt mit: „Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben.“

Im Jahr 2016 wurden europaweit 1,6 Millionen Tonnen gebrauchter Teppichböden vernichtet. Wie viele Tonnen davon auf Deutschland fallen, ist unklar. Letzte Schätzungen gehen auf die Jahrtausendwende zurück, da wurde mit 400.000 Tonnen gerechnet. Da das Vergraben von gebrauchten Teppichen seit 2005 verboten ist, werden seither Teppichreste verbrannt. Benjamin Bongardt, Experte für Abfall beim Umweltverband Naturschutzbund, sagt, Müllverbrennung in Zementwerken und Verbrennungsanlagen sei heute eine weitgehend saubere und sichere Technik. Aber: Bei jeder Müllverbrennung würden wertvolle Ressourcen in der Luft aufgehen, und Kohlenstoffdioxid würde freigesetzt.

Deutschland wurde von Umweltverbänden lange als „Müllstaubsauger Europas“ bezeichnet. Denn hierzulande stehen über 100 Anlagen, die zusammen fast 25 Millionen Tonnen Abfall jährlich verbrennen. Lange waren die Anlagen nicht ausgelastet, noch im vergangenen Jahr musste etwa eine Million Tonnen Müll importiert werden. Kritiker sagen, dies sei ein Grund für niedrige Verbrennungspreise, die Anreize zum Recycling herabsetzen würden.

Wer verstehen will, warum alte Teppiche heute verbrannt werden, muss einen Blick zurück auf die Jahrtausendwende werfen. Im Brandenburgischen Premnitz wurde im Jahr 1999 Europas größte Teppichrecycling-Fabrik gebaut, die Polyamid 2000. Nur fünf Jahre nach dem Start wurde die Polyamid 2000 zerschlagen und verkauft. Heute steht auf dem Gelände eine Müllverbrennungsanlage.

André Karutz ist Chemiker in Rente, früher war Karutz bei Polyamid 2000 für den Ankauf gebrauchter Teppiche verantwortlich. Karutz sagt, die Fabrik scheiterte aus zwei Gründen. Erstens: Er konnte nicht genügend Teppiche besorgen, die Nylon enthielten. Die Betreiber der Fabrik hätten sich da verschätzt, er habe vergeblich in verschiedenen anderen Produkten nach einer Nylonsenke gesucht, schließlich musste er einen Großteil gebrauchter Teppiche aus den USA importieren. „Das war natürlich völlig unrentabel.“

Der zweite Grund für das Scheitern der Anlage wiegt schwerer: André Karutz sagt: „Die Fabrik war schlicht nicht in der Lage, die Teppiche zu recyceln.“ Wenn gebrauchte Teppiche zu viel Wasser enthielten, etwa weil sie im Regen gelagert wurden, mussten ganze Ladungen abgewiesen werden. Neben Problemen bei der Lagerung gab es auch Probleme bei der Identifikation der Teppiche, welche Inhaltsstoffe genau enthalten sind. Schließlich konnten die Teppiche nicht ausreichend in ihre Einzelteile zerlegt werden. Besonders die Trennung verschiedener Schichten und Kleber zwischen Fasern und Rücken bereitete den Chemikern Probleme.

Eine Überarbeitung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes verspricht jetzt neue Hoffnung für das Teppichrecycling: Da Teppiche so gut brennen, weisen sie hohe Brennwerte aus, die es der Entsorgungsindustrie erlaubten, die ersten Stufen der Abfallhierarchie zu ignorieren und mit dem Müllauto unmittelbar zur Verbrennungsanlage zu fahren. Diese Heizwertklausel wurde Ende des vergangenen Jahres gestrichen. Ab Sommer 2017 sollen Entsorger alte Teppiche nach den ersten Stufen der Hierarchie behandeln.