System Putin

Sofas und Autobomben gegen Ermittler

Auch bei dem Korruptionsskandal um das Möbelhaus arbeiten Geheimdienst und Generalstaatsanwaltschaft Hand in Hand. Der Fall geht bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

von David Crawford , Marcus Bensmann

© Nick Böse

Im August 2000 entdeckt der russische Zoll, dass die Einfuhrpapiere für 400 Tonnen italienische Möbel gefälscht sind. Sowohl das Gewicht als auch der Wert der Möbel, so die Ermittler, seien viel zu gering deklariert. Den Schaden für die russische Staatskasse schätzen die Ermittler auf rund sieben Millionen Euro. 

Im September 2000 eröffnet der Zollbeamte Pawel Saisew ein Verfahren – und sticht in ein Wespennest. Der Sicherheitschef des Möbelunternehmens soll nach Aussagen eines Ermittlers beste Beziehungen zum russischen Geheimdienst haben, bis in die direkte Umgebung von dessen Chef Nikolai Patruschew, einem Vertrauten von Präsident Wladimir Putin. 

Einen Monat später bremst der Erste Stellvertretende Generalstaatsanwalt Juri Birjukow die Untersuchung aus — der uns bereits bekannte Mann mit der unschönen Reibeisenstimme. Die Ermittlungsakten werden konfisziert, der Zollbeamte wird eingeschüchtert. In einem Telefoninterview mit CORRECTIV erinnert er sich: „Ich wurde in der Staatsanwaltschaft direkt bedroht, es ging um meine Sicherheit und die Sicherheit meiner Familie“.

Birjukow wirft dem Zollbeamten Amtsmissbrauch vor. Er habe Hausdurchsuchungen ohne staatsanwaltschaftliche Genehmigung durchführen und Verdächtige eigenmächtig inhaftieren lassen. So landet Saisew selbst vor einem Richter, genauer: einer Richterin.

Die heißt Olga Kudeschkina, sie will die Vorwürfe gegen Saisew gründlich untersuchen und sich nicht zu einer Entscheidung drängen lassen. Vize-Generalstaatsanwalt Birjukow interveniert bei dem Moskauer Stadtgericht in den Fall, wie die Richterin später vor dem europäischen Gerichtshof aussagt. Man entzieht ihr den Fall. Später zwingt man sie, ihren Dienst zu quittieren. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte spricht der geschaßten Richterin 2009 eine Entschädigung zu. Ein Sprecher des Moskauer Stadtgericht sagt auf Anfrage von CORRECTIV, dass es nicht stimme, dass auf das Gericht Druck ausgeübt worden sei.

Dem Zollbeamten Pawel Saisew nützt das nichts. Er wird von einem anderen Richter zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt – und verliert seinen Job. 

Es sind jene Jahre, in der Präsident Putin seine autokratische Herrschaft gerade erst festigt. Noch sitzen einige unabhängige Abgeordnete im Parlament, der Duma. Juri Schektscheochikin, ein Abgeordneter der oppositionellen Jabloko-Partei, nimmt sich des Falls an. Schektscheochikin ist Schriftsteller und Journalist. Mit einem Buch über das organisierte Verbrechen zur Sowjetzeit hat Schtschekochikin in Russland ein Tabu gebrochen und eine andauernde Diskussion über den Einfluss von kriminellen Banden in Russland entzündet.

Schtschekochikin beginnt mit der Aufklärung des Skandals. Er deckt die Verbindung zwischen Generalstaatsanwaltschaft und Geheimdienst auf. Er fordert, zusammen mit zwei weiteren Abgeordneten, eine parlamentarische Untersuchung, er setzt durch, dass Präsident Putin einen Sonderermittler beruft, und dass der Fall der Generalstaatsanwaltschaft entzogen wird. 

Bald erhält Schtschekochikin erste Morddrohungen. Am 2. Juni 2003 bezeichnet er Staatsanwalt Birjukow als „graue Eminenz“ des Bestechungsskandals. Der Abgeordnete plant eine Reise in die USA, um dort zusätzliche Informationen einzuholen. Kurz vor seiner Abreise erkrankt er an einer seltsamen Krankheit. Zwei Wochen später stirbt er qualvoll. Bis heute ist nicht geklärt, woran er gestorben ist. 

Auch andere Ermittler müssen ihre Neugier teuer bezahlen. Der Chef der operativen Zollabteilung wird im Februar 2002 ermordet. Ein anderer Ermittler wird einen Tag später zusammengeschlagen. Im Wagen einer weiteren Ermittlerin explodiert eine Autobombe. 

Am Ende werden der Besitzer und einige Angestellte der Möbelkette Drei Wale („Tri Kita“) verurteilt. Auch einige Mitarbeiter der Zollbehörde, des Geheimdienstes und des Innenministeriums verlieren ihren Job. 

Wichtige Beteiligte werden aber nicht angetastet. Geheimdienstchef Nikolai Patruschew leitet heute den nationalen Sicherheitsrat der Russischen Föderation. Vize-Generalstaatsawalt Juri Birjukow, der offenbar auch in diesem Fall hinter den Kulissen die Fäden gezogen hat, wird 2006 in den Senat berufen, wo er bis heute Immunität genießt. Das russische Präsidialamt, die russische Staatsanwaltschaft und der Geheimdienst FSB, sowie das Möbelunternehmen Tri Kita haben auf Fragen von CORRECTIV zu dem Fall nicht reagiert.

Birjukov hat eine Einmischung in den Tri-Kita Fall in russischen Medien dementiert. Auf eine Anfrage von CORRECTIV hat er bis zur Veröffentlichung nicht reagiert. Auch Saisew wird 2009 rehabilitiert, ist aber nicht in den Staatsdienst zurückgekehrt. Er arbeitet heute als Rechtsanwalt.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie uns, damit wir mehr solcher Recherchen leisten können. Werden Sie Mitglied von CORRECTIV.

Putin-Woche bei CORRECTIV. Dies ist der vierte Text in der Recherchereihe. Alle Texte:

Textchef: Ariel Hauptmeier

Veröffentlicht in Kooperation mit RTL und Mediapart.