TTIP

Keine Einigung im EU-Parlament über Schiedsverfahren

Die Unterstützung des Europaparlaments für den Kurs der Kommission in den Freihandelsverhandlungen mit den USA steht wieder auf der Kippe. Streitpunkt sind die Schiedsverfahren. Jetzt wird die Abstimmung verschoben

von Justus von Daniels

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Die Sozialdemokraten haben vor einer Abstimmung am Mittwoch eine Einigung mit den Konservativen über Schiedsverfahren aufgekündigt. Damit ist eine Mehrheit für eine gemeinsame Erklärung der Europaabgeordneten zu dem Freihandelspakt TTIP unsicher geworden.

„Die Sozialdemokratische Fraktion wird keinerlei private Schiedsgerichte akzeptieren. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Europäische Union haben zuverlässige nationale Gerichte, die das reguläre Verfahren zur Lösung von Streitigkeiten darstellen sollten“, hieß es in einer Mitteilung der europäischen Fraktion der Sozialdemokraten in der vergangenen Woche. Erst eine Woche zuvor hatten sie sich im Handelsausschuss des Parlaments nach langen Verhandlungen mit der konservativen Fraktion darauf geeinigt, reformierte Schiedsverfahren in TTIP zu akzeptieren. Bei den Verfahren geht es um Sonderrechte für Unternehmen, die hohen Schadensersatz vom Staat fordern könnten. Die EU-Kommission dagegen unterstützt private Schiedsverfahren, in denen Rechtsanwälte darüber entscheiden, ob ein Unternehmen Schadensersatz fordern kann, wenn seine Investitionen durch ein Gesetz beeinträchtigt wird. Kritiker befürchten, dass Konzerne durch solche Privatklagen die Demokratie aushebeln und Gesetze beeinflussen könnten.

Die Sozialdemokraten haben nun einen Änderungsantrag mit einer ausdrücklichen Ablehnung der privaten Verfahren eingebracht. Sie fordern schon bei TTIP ein echtes Gericht. Im Handelsausschuss hatten sie diese Linie aufgegeben, auch weil die EU-Kommission selbst Reformvorschläge für die Schiedsverfahren vorgelegt hatte und ein internationales Gericht für die Zukunft in Aussicht gestellt hatte.

Der Kursschwank der Sozialdemokraten im EU-Parlament erfolgt nach internem Druck. Vor allem aus Großbritannien kam Protest. Dort seien Abgeordnete der Labourpartei von Kritikern persönlich bedroht worden, weil sie sich nicht ausdrücklich gegen die privaten Sonderverfahren gestellt hätten, hieß es aus Fraktionskreisen gegenüber CORRECTIV. Auch in Österreich und den Niederlanden wuchs der Widerstand.

Der konservative Abgeordnete Daniel Caspary (EVP) sieht die Resolution auf der Kippe. Zu CORRECTIV sagte er: „Wir wollen eine Resolution. Aber wenn da Dinge drinstehen, die die Verhandlungen gefährden, dann ist keine Resolution besser als eine schlechte.“ Er hofft, dass die Sozialdemokraten doch noch zu ihrem Kompromiss stehen.

Für eine Ablehnung der Schiedsgerichte brauchen die Sozialdemokraten eine neue Mehrheit. „Es kann sein, dass in der Abstimmung die Fraktionen nicht geschlossen stimmen werden“, sagte der sozialdemokratische Abgeordnete Joachim Schuster (SPD) gegenüber CORRECTIV. Im EU-Parlament sei es nicht ungewöhnlich, dass Abgeordnete eher nach nationalen Interessen entscheiden. Bei den Konservativen hatten sich Abgeordnete aus Polen im Vorfeld skeptisch zum Investitionsschutz geäußert.

Signal an US-Kongress

„Die Ablehnung wäre ein starkes Signal Richtung US-Kongress“, sagte Schuster. Auch in den USA wird über TTIP im Abgeordnetenhaus verhandelt. Unter den Abgeordneten der demokratischen Partei wächst der Widerstand gegen die Privatverfahren. Eine Entscheidung über die Forderungen, die die Parlamentarier an US-Präsident Barack Obama stellen, wird Ende Juni erwartet.  

In dem Resolutionsentwurf, der am Mittwoch zur Abstimmung steht, setzen sich die EU-Parlamentarier dafür ein, dass die Kommission keine demokratischen Rechte aufgeben dürfe. So fordern sie, dass kommunale Betriebe grundsätzlich nicht Teil des Abkommens werden dürfen. Kommunen befürchten, dass sonst der Druck auf Privatisierungen von staatlichen Leistungen wachse. Auch die Rechte der Parlamente dürften nicht beschränkt werden. Es gibt die Befürchtung, dass Verwaltungsgremien, die in den Handelsabkommen eingerichtet werden, künftig über Umwelt- und Gesundheitsstandards entscheiden können. Die Beteiligung der Parlamente ist in den bisherigen EU-Positionen nicht klar geregelt.

Linke und Grüne werden eigene Anträge mit einer klaren Ablehnung von Extragerichten für Investoren einbringen. Der Abgeordnete Helmut Scholz (Die Linke) kann sich allerdings vorstellen, im Zweifel für den Antrag der Sozialdemokraten zu stimmen, um zumindest die privaten Verfahren zu verhindern. „Wenn wir für unsere Ablehnung keine Mehrheit finden, wäre es das kleinere Übel.“

Das Parlament kann die TTIP-Verhandlungen zwar nicht direkt beeinflussen. Es kann nur nach Abschluss der Verhandlungen mit den USA pauschal für oder gegen ein Abkommen stimmen, das von der EU-Kommission und der amerikanischen Handelsbehörde ausgehandelt wird. Sollte die Kommission die Forderungen der Resolution allerdings nicht aufnehmen, dürfte das Parlament den Vertrag am Ende ablehnen.

Update: Am Abend vor der Abstimmung am Mittwoch teilte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) mit, dass die Debatte über TTIP verschoben werde. Offiziell hieß es, es gebe zu viele Änderungsanträge zu der TTIP-Resolution. Kritiker wie der Grünen-Abgeordnete Michel Reimon sagten, dass die Abstimmung bewusst verschoben worden sei, weil nicht sicher war, wie eine Mehrheit über die privaten Schiedsverfahren stimmen würde.