TTIP

Die Industrie macht Druck bei TTIP

Die Industrie freut sich über gute Kontakte zur EU-Kommission. Die Industrievertreter hoffen darauf, dass ihre Wünsche im Handelsabkommen zwischen der EU und den USA umgesetzt werden. Und was ist mit den Interessen der Bürger? Alle Verbraucherverbände zusammen kommen auf etwa 40 Treffen in zwei Jahren. CORRECTIV zeigt, wer die Verträge beeinflusst.

von Justus von Daniels

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Ihre Agenturen heißen BusinessEurope, Cofindustria oder Food and Drink Europe. In einem fort umschwirren sie die Beamten der EU-Kommission. Lobbyisten wollen ihnen einflüstern, was im Handelspakt zwischen der EU und den USA festgeschrieben werden soll – Lobbyisten mächtiger Industrieverbände, wohlgemerkt. Zwischen Anfang 2012 und April 2014 haben ihre Vertreter über 700 Mal bei Beamten der Kommission vorgesprochen. Nichtregierungsorganisationen, Verbraucherverbände und Gewerkschaften kommen auf nur 44 Treffen.

Seit 2013 verhandeln die EU und die USA über Erleichterungen im transatlantischen Handel. Mit dem Freihandelspakt TTIP sollen Zölle abgeschafft, Märkte geöffnet und Standards vereinheitlicht werden. Auf diese Weise soll die größte Freihandelszone der Welt entstehen. Kritiker befürchten, dass zum Beispiel durch den Investitionsschutz bei TTIP die Demokratie ausgehöhlt werde und die Interessen der Wirtschaft bevorzugt würden – nicht die der Bürger.
Das Ungleichgewicht bei den Lobbyistentreffen gibt diesen Kritikern recht.

Treffen mit Lobbyisten sind nicht per se schlecht, sie dienen den Beamten dazu, sich ein Bild über die unterschiedlichen Interessen zu machen. Problematisch ist aber die Verzerrung, die entsteht, weil mächtige Industriekonzerne mehr und gewieftere Lobbyisten bezahlen können.

Vertreter der Agrarindustrie, der Automobilbranche und der Gesamtindustrieverbände werden besonders häufig in Brüssel vorstellig. Allein die Agrarvertreter sprachen offiziell über hundert Mal bei der EU-Handelsdirektion vor. Die europäische Agrarindustrie will Käse und Milch in die USA exportieren. Bislang sind die US-Prüfverfahren so aufwändig, dass Käse schlecht würde, ehe er in den USA in die Läden käme.

Vor allem die europäische Automobilbranche würde vom Freihandel profitieren. Die Konzerne produzieren schon längst auf beiden Kontinenten und wollen Zölle und Zeitverlust durch Bürokratie sparen, wenn Autoteile über den Atlantik transportiert werden. Außerdem würden einheitliche Standards bei der Sicherheit von Autos einen riesigen einheitlichen Markt eröffnen. Hersteller aus anderen Kontinenten dürften es dann schwerer haben.

Auch Vertreter der Finanzbranche stehen auffällig oft auf der Matte, wenn es um TTIP geht. Sie haben zwischen 2012 und 2014 offiziell 39 mal vorgesprochen. Dabei sind sich die USA und EU gar nicht einig, ob Finanzdienstleistungen überhaupt Teil des TTIP-Vertrages werden. Banken und Versicherungen drängen auf eine Liberalisierung der Finanzmärkte durch TTIP. Die US-Handelsbehörde blockt das bisher ab, weil die USA gerade ein neues Regulierungspaket für Banken durchgesetzt haben und daran nicht rütteln wollen. Die Finanzbranche hat es mit ihrem Werben geschafft, dass Brüssel die USA in jeder Verhandlungsrunde auffordert, diese Branche in den TTIP-Pakt aufzunehmen.

Im Fokus der Lobbyisten stehen jene rund 100 Beamten der EU-Kommission, die die Verhandlungen führen, und ihren amerikanischen Kollegen alle zwei Monate gegenübersitzen.

Keine Zeit für Transparenz

Die Kommission hat erst Ende 2014 ein Transparenzregister eingeführt. Seit Dezember letzten Jahres veröffentlicht die Kommission ihre Treffen mit Interessenvertretern. Daten zu Lobbytreffen davor gibt sie nur uneinheitlich heraus. Die EU-Gesundheitsbehörde zum Beispiel mauert: Auf Anfrage von CORRECTIV, eine Liste zu Treffen mit 80 genannten Unternehmen oder Verbänden zusammenzustellen, antwortete die Generaldirektion Gesundheit: „Aufgrund der Informationen, die uns jetzt zur Verfügung stehen, erscheint uns das Zusammenstellen einer solchen Liste eine zeitintensive Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist, ohne das Funktionieren unserer Generaldirektion schwer zu beeinträchtigen.“

Auskunftsbereiter ist die Generaldirektion Handel, die den größten Teil der Verhandler stellt. Sie hatte der Brüsseler Nichtregierungsorganisation „Corporate Europe Observatory“ im letzten Jahr eine Aufstellung von Treffen zwischen 2012 und April 2013 erstellt. CORRECTIV hat auf Anfrage nun eine weitere Liste mit Treffen bis April 2014 erhalten.

Die Auskünfte der Kommission sind dabei nur zum Teil aussagekräftig. Denn das Lobbygeschäft in Brüssel läuft über viele Kanäle. Nicht mitgezählt in den offiziellen Treffen sind Telefonate, Einladungen zu Vorträgen, Lobbyparties oder informelle Treffen in guten Restaurants. CORRECTIV will wissen, wie oft es wirklich zu Treffen kommt und wie sich der Einfluss der Lobbyverbände in den Vertragsvorschlägen der EU aber auch der USA niederschlägt. Dazu werden zur Zeit Dokumente ausgewertet und weitere erfragt.