TTIP

Schwarzwälder Schinken, made in Kentucky

Wer bestimmt in Zukunft, wie der Freihandelsvertrag TTIP mit Leben gefüllt wird? Darüber streiten Deutschland und andere europäische Länder mit der EU-Kommission in Brüssel. Das geht aus rund 300 vertraulichen Regierungsunterlagen hervor, die dem gemeinnützigen Recherchebüro CORRECT!V vorliegen.

von Justus von Daniels

© Nick Böse

Innerhalb der EU gibt es Streit, wie viel Macht die Beamten der EU-Kommission über den Handelspakt mit den USA haben sollen. Auf europäischer Seite wird das Abkommen von EU-Beamten ausgehandelt. Sie können sich dabei selbst eine Menge Einfluss auf den Freihandel zwischen der EU und den USA in die Verträge schreiben.

Gestritten wird dabei um die Zeit nach Vertragsabschluss. Dann müssen die einzelnen Klauseln ausgelegt und weiter entwickelt werden. Etwa, wenn es darum geht, ob Grenzwerte für Pflanzengifte erhöht oder gesenkt werden. Wenn die EU-Kommission das gemeinsam mit der zuständigen US-Handelsbehörde entscheidet, sehen Kritiker wie Thilo Bode, Chef von Foodwatch, darin eine dauerhafte Schwächung demokratisch gewählter Parlamente.

Selbst Regierungen der EU-Mitgliedsländer, allen voran Deutschland, fürchten einen solchen Machtverlust. Sie wollen auf jeden Fall verhindern, dass die Kommission bei TTIP zu viele Befugnisse bekommt, um über neue Regeln zu entscheiden. So kabelte ein Vertreter der deutschen Regierung am 19. Januar an das Wirtschaftsministerium in Berlin: „Frankreich, Deutschland und Großbritannien (sprachen sich) gegen die zu weit reichenden Kompetenzen“ eines geplanten Ausschusses mit dem Namen „Joint Ministerial Body“ aus.

Macht der Miniausschüsse

Bei Handelsverträgen kommt es oft aufs Kleingedruckte an: So möchte die Kommission für jeden Bereich, der ausgehandelt wird, einen eigenen Ausschuss einrichten. Dort sollen allein US- und EU-Beamte bestimmen, wie die fertigen Verträge zu verstehen sind und sie sollen sie auch in beschränktem Umfang ändern dürfen. Ein gemeinsamer Oberausschuss soll diese Entscheidungen bindend beschließen können.

Aus dem fertig verhandelten EU-Kanada-Abkommen (CETA) ist zu erkennen, wie diese unscheinbaren Ausschüsse zu einer versteckten Macht werden könnten. In CETA steht ausdrücklich, dass die Beamten darüber entscheiden, wie Begriffe bei Schiedsverfahren ausgelegt werden dürfen, wenn Investoren gegen Staaten klagen. Schon bisher gibt es innerhalb der EU große Vorbehalten gegenüber Schiedsgerichten. Nun sollen auch noch EU-Beamte entscheiden, wie eine Enteignung zu verstehen ist.

Die Beamten sollen auch das Recht bekommen, zu entscheiden, ob geschützte Herkunftsangaben gestrichen oder neue hinzugefügt werden. Bisher sind bestimmte regionale Produkte in der EU geschützt. Bisher muss „Schwarzwälder Schinken“ im Schwarzwald getrocknet werden, „Nürnberger Rostbratwürstchen“ müssen aus Nürnberg kommen. Auch wenn Schinken und Rostbratwürstchen in TTIP noch geschützt werden, können die Beamten in Zukunft selbst entscheiden, ob das so bleiben soll oder beide auch aus Kentucky kommen dürfen.

Sie können zudem festlegen, welche Berufe zwischen den Handelspartnern als gleichwertig anerkannt werden können, so dass es leichter wird, auf der anderen Seite des Atlantiks zu arbeiten.

Einige Mitgliedstaaten kritisieren, dass bei einem so großen Vertrag wie TTIP unklar ist, über was die Gremien entscheiden dürfen. In TTIP wird auch über Dienstleistungen, über Energie oder Patente verhandelt. Die EU-Kommission bestätigte auf Anfrage, dass diese Ausschüsse verbindliche Entscheidungen treffen dürfen. Das EU-Parlament wäre dann nur noch darüber zu informieren.

Die Kommission sieht in den Ausschüssen keine Gefahr für die Demokratie. Bei einem internen Treffen am 14. Januar in Brüssel bestätigte sie, „dass auch in anderen Abkommen (etwa CETA), das Joint Ministerial Committee Annexe ändern könne, dies sei auch in anderen Abkommen etwa dem Abkommen über Gegenseitige Anerkennung mit der Schweiz der Fall. Wenn ein Kapitel angepasst werden müsse, könne dies der Joint Ministerial Body entscheiden, dies müsse aber nach EU-internen Vorgaben umgesetzt werden, auch unter Beteiligung des Rates.“

Allerdings war noch kein Vertrag so umfassend wie CETA oder TTIP. Allein das Kanadaabkommen hat mehr als 1500 Seiten. Und bei TTIP wird es ähnlich aussehen.

EU muss intern für Demokratie sorgen

Die Mitgliedstaaten akzeptieren diese Miniausschüsse zwar grundsätzlich, wollen aber klare Begrenzungen. Eine Lösung wäre, dass die EU die Mitgliedsstaaten und das Parlament ausdrücklich im Vorfeld einbindet. Dann könnten Parlamente und die Regierungen mit entscheiden, ob eine Anpassung oder spezifische Änderungen des Vertrages überhaupt von der EU-Seite eingebracht oder zugestimmt werden können.

Bleiben die EU-Staaten außen vor?

Auch bei dem Plan, neue Gesetze künftig zwischen den USA und der EU gemeinsam zu verabreden, sind die EU-Regierungen misstrauisch. Neben der Verwaltung der TTIP-Inhalte möchte die EU einen sogenannten Regulierungsrat einrichten, in dem die EU-Beamten zusammen mit den Kollegen der US-Handelsbehörde ganz neue Gesetze vorbereiten sollen. Die Regierungen unterstützen das Vorhaben grundsätzlich, fürchten aber, dass ihnen damit Gesetze vorgelegt werden, auf die sie nur noch reagieren können. Vertreter aus Frankreich, Finnland, Schweden und Deutschland forderten während eines Treffens mit Kommissionsvertretern in Brüssel, dass ein „Regulierungsrat keine Regulierungskompetenz haben dürfe“.

Diese Forderung wurde gleich in mehreren Treffen wiederholt. So heißt es in einem Protokoll über ein Treffen am 17. April: „Im Bereich der Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten sieht Deutschland die für die Kommission vorgesehene ,Koordinierungsfunktion‘ deshalb sehr restriktiv. Eine solche Funktion könne in der Weiterleitung von Stellungnahmen liegen, müsse aber die Modalitäten für den Austausch weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen.“

Die Bundesregierung beschwerte sich, dass die Vorschläge der Kommission zu ungenau formuliert seien. Die deutsche Vertretung in Brüssel berichtete am 2. Februar nach Berlin: Aus deutscher Sicht sei eine „regulatorische Kooperation ein wichtiges, aber sensibles Kapitel für das Abkommen.“ Die Kommission beschwichtigte ihrerseits bei einem Treffen mit den Regierungsvertretern am 17. April, dass der geplante Regulierungsrat „lediglich eine beratende Funktion habe.“ Die EU hat dies mittlerweile ausdrücklich in ihren Positionen stehen.

Die europäischen Regierungen warnen außerdem davor, „dass die US-Seite nicht früher oder besser als Mitgliedstaaten/EU-Parlament eingebunden werden dürfe“. Einem Diplomaten-Vermerk vom 26. Januar zufolge „betonen Niederlande und Deutschland, dass es keinen privilegierten Austausch oder eine Besserstellung der US-Seite bei der Information über Regulierungsvorhaben geben dürfe.“ Die Kommission antwortete, dass die US-Seite keine Entwürfe „vor den Mitgliedstaaten oder dem EU-Parlament erhalten werde.“

Dennoch bleibt die Gefahr, dass bei neuen Gesetzesvorhaben erst die US- und EU-Behörden einen Vorschlag erarbeiten und die Parlamente im Anschluss die Vorschläge nur noch abnicken dürfen.