TTIP

Auf Tuchfühlung

Deutsche Lobbyisten sind besonders aktiv, wenn es um die Wahrung ihrer Interessen bei TTIP geht – sie treffen die EU-Beamten so oft wie die Vertreter aus allen europäischen Ländern zusammen. Die EU-Kommission fordert die Wirtschaft auf, an den Positionen mitzuschreiben. Kritiker können nur reagieren.

von Justus von Daniels , Marta Orosz

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Wer nicht mit am Tisch sitzt, befindet sich auf der Speisekarte, lautet eine Lobbyistenweisheit aus den USA. Das gilt 2013 auch für die mächtige deutsche Maschinenbauindustrie. Damals beginnen die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, bald bekannt als TTIP – der „Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft“. Aber Maschinenbau ist nicht dabei.

Die Maschinenbauer schlagen Alarm. Der deutsche Verband fordert mehrfach, dass Maschinenbau „als eine wichtige Industrie in TTIP wahrgenommen werden solle.“ Schon am Anfang der Verhandlungen schicken sie umfangreiches Material auf deutsch und englisch an die Mitarbeiter der EU-Kommission. Die EU-Vertreter haben ein offenes Ohr – und legen im Juli 2014 ein Positionspapier vor.

Dicke Bretter

Die amerikanischen TTIP-Verhandler sind nicht begeistert. In den USA spielt Maschinenbau keine große Rolle, wieso soll gerade diese Branche einen eigenen Passus im Vertragswerk bekommen? In einem internen Bericht über die sechste Verhandlungsrunde, verfasst vom Bundeswirtschaftsministerium, der CORRECTIV vorliegt, heißt es, der Vorschlag wurde von den Vertretern der USA „zurückhaltend entgegen genommen“.

Die deutschen Maschinenbau-Lobbyisten müssen also nachlegen. Und holen ihre amerikanischen Lobby-Kollegen mit ins Boot, um gemeinsam Druck auf die Verhandler auszuüben.

Die amerikanischen TTIP-Verhandler zieren sich weiter. In einem internen Bericht über die zehnte Verhandlungsrunde – den die Partei Die Linke zusammengefasst hat – heißt es:

„Beim Maschinenbau wartet die EU mit zunehmender Ungeduld auf US-Reaktionen auf EU-Papiere, die letztes Jahr in die Verhandlungen eingebracht wurden – die US-Seite kann noch nicht einmal sagen, wann sie reagieren wird, geschweige denn was sie eigentlich von den Vorschlägen hält.“

Für die deutschen Maschinenbauvertreter ist das ein Erfolg. Sie haben nun einen Fuß in der Tür.

Die deutschen Maschinenbau-Lobbyisten sind nicht allein. Aus keinem anderen Land der EU sprechen Interessenvertreter so oft bei der Kommission vor wie aus Deutschland. Das ergibt eine Auswertung von Lobbytreffen durch CORRECTIV. Untersucht wurde, wie oft die Generaldirektion Handel der EU-Kommission – die hauptsächlich die TTIP-Verhandlungen führt – zwischen April 2013 und Ende 2014 Lobbyisten getroffen hat. 33 offizielle Treffen gibt es mit deutschen Verbänden oder Konzernen. Nationale Lobbyisten aus allen anderen EU-Ländern bringen es gemeinsam auf 30 Treffen in demselben Zeitraum.

Das ist verständlich. Bei TTIP geht es darum, den internationalen Handel zu stärken. Kein Wunder, dass Lobbyisten aus Deutschland — mit seiner starken Exportwirtschaft — bei dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA besonders engagiert sind.

Deutsche in Brüssel

Die Musik bei TTIP spielt in Brüssel. Wer das Abkommen beeinflussen will, wendet sich am besten direkt an die Verhandler der EU-Kommission. Das politische Berlin wäre ein Umweg. Denn die Bundesregierung kann die Verhandlungen zwar beeinflussen. Aber nicht direkt. Sie sitzt quasi in der zweiten Reihe. In jener Reihe sitzen die Regierungen von 27 weiteren Ländern. Da wird man schnell überhört.

Eigentlich müssten deutsche Lobbyisten nicht eigens nach Brüssel reisen. Es gibt dort ja europäische Dachverbände aller Branchen, eigens bezahlt, sich im Umfeld der EU-Kommission zu bewegen. Auch bei TTIP sind es diese Dachverbände, die den Großteil der Lobbyarbeit machen. Die Generaldirektion Handel gibt offiziell 374 Treffen an.

Doch die europäischen Dachverbände holen sich gern den Input der nationalen Lobbyisten. In unserem Fall kontaktiert der europäische Dachverband Orgalime immer wieder den mächtigen deutschen Maschinenbauverband VDMA. „Ihr habt doch die Fachleute“, hört der VDMA wiederholt von den Brüsseler Kollegen. Der VDMA gibt laut EU-Transparenzregister jährlich über 4 Millionen Euro für Lobbytätigkeiten aus.

Wie oft ein Lobbyist bei den EU-Beamten anklopft, sagt noch nichts darüber aus, ob seine Interessen auch auf dem Verhandlungstisch landen. Aber sie stoßen auf offene Ohren. „Als Beamte hören wir uns das an“, sagte ein TTIP-Verhandler der EU gegenüber CORRECTIV während der letzten Verhandlungsrunde in Miami. Er möchte anonym bleiben, es sei nur so viel verraten: „Wir müssen ja wissen, wo Handelserleichterungen sinnvoll sind. Aber wir haben eine gesunde Distanz zur Wirtschaft.“

EU-Kommission fordert Input von der Industrie

Einer, der das Ohr der EU-Beamten hat, ist Reinhard Quick. Er repräsentiert die Interessen der deutschen Chemieindustrie in Brüssel und sitzt in der TTIP-Beratergruppe der Europäischen Kommission, die zu gleichen Teilen mit Vertretern aus Wirtschaft und der Zivilgesellschaft besetzt ist. Die Chance ist groß, den gut vernetzten Mann auf einem beliebigen Flug zwischen Berlin und Brüssel zu treffen. Er pendelt ständig zwischen beiden Verwaltungswelten.

Er beschreibt seine Rolle zurückhaltend: „Wir machen den Verhandlern nur Vorschläge.“

Wie das konkret aussieht, zeigen interne Protokolle, die die EU-Kommission auf Anfrage von CORRECTIV herausgegeben hat. Die EU-Kommission hatte zusammen mit der US-Handelsbehörde die Chemieverbände aufgefordert, aufzuschreiben, welche Hürden im Handel mit den USA abgebaut werden könnten — mit der Ansage, dass es keine Absenkung von Standards geben dürfe. Am 28. November 2013 schreibt ein Mitarbeiter des Europäischen Chemieverbandes Cefic, man würde die Vorschläge gern persönlich mit einem Vertreter der Kommission diskutieren. Während des Treffens am 05. Dezember dämpft die EU-Kommission zunächst die Erwartungen der Chemiebranche.

Am 11. Dezember landet ein gemeinsamer Entwurf der europäischen und amerikanischen Chemiebranche auf den Tischen der Kommissionbeamten. Darin enthalten sind konkrete Gesetzesvorschläge, wie künftig Standards gemeinsam mit den USA reguliert werden könnten. Quick nennt diesen Vorschlag ein „Positionspapier, damit die EU weiß, was von uns aus wünschenswert sei.“ Nichts besonderes.

An dem engen Austausch zwischen den Chemieverbänden und der EU-Kommission sind erneut vor allem die Deutschen beteiligt. Im März 2014 will die EU-Kommission einen abgespeckten Vorschlag des Chemieverbandes im Detail besprechen – und schickt eine Einladung vor allem an deutsche Mail-Adressen: an BASF, Bayer, Evonik AG, DuPont Deutschland, Dow Europe GmbH und den deutschen Chemieverband VCI. Daneben werden nur vier weitere Firmen aus anderen EU-Staaten eingeladen. Das Treffen findet in den Räumen des Chemieverbandes Cefic statt.

Ein Jahr später veröffentlicht die EU-Kommission ihren Vorschlag, wie EU und USA künftig gemeinsam neue Regeln im Chemiebereich entwickeln sollen. Reinhard Quick vom deutschen Chemieverband ist mit dem EU-Papier zufrieden. „Die EU hat unseren Vorschlag in weiten Teilen übernommen. Das ist auch nicht verwunderlich, weil uns die Grenzen eng gesteckt sind.“

Sind die Verbindungen zwischen Behörde und Wirtschaft zu eng? Die Chemieverbände wurden explizit von der EU-Kommission zur Mitarbeit aufgefordert. Für die Industrie eine willkommene Chance. „Das ist klassische Beratungsarbeit. Und das macht ja jede Interessengruppe auf ihre Art“, so Quick.

Punktsieg für Kommunen

In der Tat: Auch Umweltverbände, Verbraucherschützer und Kommunen engagieren Lobbyisten, und – wen wundert es – erneut sind die Deutschen ganz vorn dabei.

Als Gerüchte aufkommen, dass in dem Abkommen mit den USA auch über die Liberalisierung von kommunalen Diensten verhandelt werden soll – also die Öffnung der Märkte für Strom, Gas, Wasser oder Müllabfuhr – sind die Städte und Gemeinden in Deutschland alarmiert.

Rasch machen sie sich auf nach Brüssel. Am 26. März 2014 sagt ein Kommissionsbeamter in einem internen Gespräch gegenüber dem deutschen Verband für Energie- und Wasserwirtschaft – eine Zusammenfassung liegt CORRECTIV vor –, dass „eine echte Ausnahme für Wasser nicht garantiert werden könne“. Damit ist aus Sicht der Kommunen nicht sicher, ob US-Unternehmen künftig Wasserwerke aufkaufen könnten. Wiederholt fahren Vertreter nun nach Brüssel, im Herbst 2014 allein dreimal.

Und auch sie haben Erfolg. Mittlerweile lässt EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass die öffentliche Wasserversorgung ausdrücklich nicht Teil von TTIP sein wird. Punktsieg für die Kommunen. Allerdings nicht, weil sie früh eingebunden wurden, sondern weil sie aufmerksam waren.