TTIP

2016 wird TTIP-Jahr

Die USA und die EU wollten TTIP hinter verschlossenen Türen verhandeln. Daraus wurde nichts. Die Menschen mischten sich ein. Das Handelsabkommen mit den USA politisiert die Bevölkerung wie schon lange kein Thema. Was geschah in diesem Jahr bei TTIP? Wird es gelingen, den Vertrag wie geplant bis Ende 2016 auszuhandeln, dem Ende von Obamas Präsidentschaft?

von Justus von Daniels

© TTIP+CETA15-10-1022 von Jakob Huber/Campact unter Lizenz CC BY-NC 2.0

Im Oktober demonstrierten in Berlin rund eine Viertelmillion Menschen gegen TTIP. Zuletzt waren in Deutschland 2003 so viele Bürger auf die Straße gegangen, damals gegen den Irakkrieg. Und über 300 Städte und Gemeinden in ganz Deutschland haben sich im vergangenen Jahr zur „TTIP-freien Zone“ erklärt.

In Gesprächen mit Politikern in Berlin fällt immer wieder der Satz: „Ich bin erstaunt, wie voll meine Veranstaltungen sind, wenn es um das Handelsabkommen geht.“ Bürger wollen dann über Investitionsschutz, Regulierungskooperation oder den Schutz geografischer Herkunftsangaben diskutieren. Begriffe, die bis vor kurzem kaum jemand kannte. Und die nun in vieler Munde sind. TTIP hat die Menschen politisiert.

Druck von unten

Wichtige Entwicklungen bei TTIP – das hat das vergangene Jahr gezeigt – kamen auf Druck der Öffentlichkeit zustande. Beispiel: das Thema „private Schiedsgerichte“, also die Frage, wie Konzerne ihre Ansprüche gegenüber Staaten und Kommunen durchsetzen können.

Im Juni diskutierten sich die Abgeordneten im Europaparlament darüber die Köpfe heiß. Zuvor hatte es Proteste, Studien und eine Bürgerkonsultation der EU gegeben. Im September kündigte die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström schließlich an, dass sie statt privater Schiedsgerichte einen festen Handelsgerichtshof mit den USA aushandeln wolle. Eine Idee, die der amerikanischen Seite bisher allerdings nicht gefällt.

TTIP wird transparenter

Im Juli veröffentlichte CORRECTIV interne Berichte über die Verhandlungen. Seither weiß die Öffentlichkeit besser Bescheid über die Dynamik der Gespräche. Etwa: Dass umstrittene Punkte ins „Endgame“ verschoben werden sollen, den Verhandlungspoker am Schluss. Man weiß nun, welche Seite bei welchen Themen blockt, und wie Lobbyverbände an dem Vertrag mitarbeiten.

Seit dem Leak wurden Verhandlungsdokumente noch strenger als zuvor geheim gehalten. Zum Ärger auch von deutschen Politikern. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) forderten mehrfach einen besseren Zugang zu den Vertragsentwürfen. Die EU-Kommission sagte zu, mehr Berichte über den Stand der Verhandlungen zu veröffentlichen.

Im Schneckentempo

Bis Oktober steckten die Verhandlungen fest. Konkrete Fortschritte? Fehlanzeige. In den Protokollen über die Verhandlungsrunden hieß es oft: „Es gebe konstruktive Gespräche“.

Zu Anfang der TTIP-Verhandlungen hatten beide Seiten betont, dass es ein Leichtes sein würde, ein Abkommen zu vereinbaren. Schließlich habe man auf beiden Seiten des Atlantiks ohnehin ähnliche Standards, ähnliche Lebensbedingungen.

Aber je länger verhandelt wird, desto deutlicher werden die Unterschiede. Sicherheitsstandards bei Autos? Zu unterschiedlich, um Crashtests gegenseitig anzuerkennen. Gegenseitige Anerkennung von Kosmetikprodukten? Noch nicht einmal über Sonnencremes konnten sich die Verhandler bislang einigen. Hormonfleisch aus den USA? Die US-Fleischlobby drängt darauf, die EU-Märkte zu öffnen. Für die EU ist das wiederum nicht akzeptabel.

Rote Linien

Offiziell hat die EU-Kommission im Laufe des Jahres eine Menge roter Linien formuliert, oft aufgrund von Protesten: Kommunen dürfen in ihrer Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt werden, hieß es im März. Der Bereich Kultur – von Buchpreisbindung bis zu Subventionen für Theater – werde nicht angetastet, über genmanipuliertes Essen nicht verhandelt.

Sind das zu viele No-Gos? Schon warnen einige EU-Staaten, dass man noch genug Spielraum für Kompromisse brauche.

Auch die USA zogen solche roten Linien. Sie mauern bei der Frage, ob öffentliche Aufträge an europäische Unternehmen vergeben werden dürfen – eine der Hauptforderungen der EU. Sie wollen ihre gerade erst festgezurrten Finanzmarktregeln nicht durch das Handelsabkommen aufs Spiel setzen. Und sie verstehen nicht, warum der Schutz regionale Produkte wie Parmaschinken oder Aachener Printen den Europäern so wichtig sind.

Die Liste der strittigen Themen ist lang.

2016: Mehr Zeitdruck, mehr Öffentlichkeit

Bei der jüngsten Verhandlungsrunde im Oktober in Miami (von der wir im Liveblog berichteten) bliesen die Verantwortlichen zum Aufbruch: bis Ende 2016, wenn die Amtszeit von US-Präsident Barack Obama endet, solle das Abkommen unter Dach und Fach sein.

Im kommenden Jahr werden deutlich mehr Informationen über die Vertragsentwürfe an die Öffentlichkeit gelangen. Denn jeder und jede Abgeordnete wird nach Aussage der EU-Kommission von Januar an die geheimen Vertragsentwürfe lesen dürfen. Offiziell dürfen sie nicht darüber sprechen und sie werden beim Lesen von Sicherheitsbeamten bewacht. Aber natürlich wird es erneut Leaks geben. Möglich, dass dadurch die Verhandlungen verzögert werden. Aber es ist ein Sieg der Bürger über die Bürokratie. Ein Rückgewinn an politischer Öffentlichkeit und parlamentarischer Kontrolle.

2016 tritt TTIP in eine entscheidende Phase. Soll das Abkommen bis Ende des Jahres fertig sein, muss die Taktung der Verhandlungen zunehmen, muss der Streit offener geführt werden. Ist das realistisch? Die Stimmen der Skeptiker werden lauter. Selbst aus Kreisen der Verhandler. Ein „ambitioniertes Abkommen“ wie TTIP, so sagen einige hinter vorgehaltener Hand, benötige ihrer Erfahrung nach deutlich länger.

Wir bleiben dran und halten Euch mit kritischem Blick auf dem Laufenden.