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Wird CETA doch noch gestoppt?

Europa blickt nach Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht wird am Donnerstag entscheiden, ob CETA doch noch gestoppt wird. Fünf Klagen liegen dort zur Eilentscheidung vor. Wir beantworten die wichtigsten Fragen: Um was geht es? Und wie stehen die Chancen?

von Justus von Daniels , Marta Orosz

© TTIP_16-04-23 von Ruben Neugebauer/Campact unter Lizenz CC BY-NC 2.0

Nach der Verkündung des Urteils am Donnerstag werden wir mit dem Kläger Klaus Ernst, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, über das Urteil in einem Facebook-Live-Gespräch reden. Los geht’s um 18 Uhr auf unserer Facebook-Seite.


Noch nie haben sich so viele Bürger einer Verfassungsbeschwerde angeschlossen. 125.000 Menschen unterschrieben eine Klage von CETA-Kritikern. Insgesamt muss das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag über fünf Eilanträge entscheiden. Sie alle bringen vor, dass CETA die Demokratie gefährdet.

1. Wer klagt?

Gegen CETA liegen gleich fünf Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht:

  • Die Bundestagsabgeordneten der Linkspartei haben eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.
  • Die Freihandelskritiker von Foodwatch, Campact und „Mehr Demokratie“ haben eine Klage erhoben, die von 125.044 Bürger unterstützt wird. 
  • Ein Europaabgeordneter der ÖDP klagt.
  • Die Bürgerin Marianne Grimmenstein-Balas, eine Musiklehrerin aus Lüdenscheid, klagt ebenfalls.*
  • Und die LINKE hat dazu noch ein Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung erhoben. Sie will sicherstellen, dass das Freihandelsabkommen nicht angewendet wird, bevor nicht auch der Bundestag darüber abgestimmt hat.

Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik waren so viele Bürger an einer Verfassungsbeschwerde beteiligt.

2. Worum geht es in den Klagen?

Die Klagen haben ein Ziel: CETA zu verhindern. Jetzt geht es erstmal um eine Eilentscheidung. Die Kläger wollen verhindern, dass der Handelsvertrag „vorläufig angewendet“ wird. Denn die EU will das Abkommen Ende Oktober mit Kanada unterzeichnen und beschließen, dass die meisten Teile des Vertrages angewendet werden können, noch bevor die nationalen Parlamente über CETA abstimmen. Denn diese endgültige Zustimmung der 28 Parlamente kann Jahre dauern. Die Kläger glauben, dass das geplante Investitionsgericht (ICS) und die geplanten CETA-Ausschüsse die Demokratie gefährden.

Im Zentrum der Verhandlung stehen die Kompetenzen der Regulierungsgremien bei CETA: Dürfen künftig gemeinsame Ausschüsse aus der EU und Kanada ohne die Zustimmung der nationalen Parlamente eigene Entscheidungen treffen? Dürfen also Handelsbeamte in Zukunft Dinge beschließen, die gewählte Politiker dann nicht mehr ändern können? Die Kläger wollen sicherstellen, dass die Parlamente in die Entscheidungen mit einbezogen werden. Zum Beispiel, wenn es darum geht, neue Industriestandards einzuführen oder bestehende Regeln zu ändern.

3. Was entscheidet das Bundesverfassungsgericht?

Weil es eilig ist, entscheidet das Verfassungsgericht noch nicht über die ganze Verfassungsbeschwerde. Sondern es prüft nur, ob die vorläufige Anwendung des Handelsvertrages durch die EU – bevor alle Parlamente zugestimmt haben – schon eine Gefahr für die Demokratie wäre.

Dafür machen die Richter eine Risikoanalyse: Wie wären die Folgen, wenn der Vertrag jetzt umgesetzt würde, die späteren Verfassungsbeschwerden aber erfolgreich wären? Und wie wären die Folgen, wenn die vorläufige Umsetzung jetzt verhindert würde, die späteren Verfassungsbeschwerden aber scheitert? Wenn das Gericht der Meinung ist, dass der Bundestag künftig erheblich weniger Mitsprache wegen CETA hätte, käme der Eilantrag der Kläger wahrscheinlich durch. Die Verfassungsbeschwerden werden nach diesem Eilverfahren aber so oder so noch vom Gericht geprüft. Es geht also – egal wie entschieden wird – um eine vorläufige Entscheidung.

4. Werden die Kläger erfolgreich sein?

Seitdem die LINKE, foodwatch & Co. ihre Beschwerden eingereicht haben, hat sich schon etwas geändert. Die EU hat zugesichert, dass die umstrittenen Schiedsgerichte solange nicht ins Leben gerufen werden, bis alle Parlamente über CETA abgestimmt haben. Die Schiedsgerichte werden also nicht „vorläufig angewendet“. Insofern wird dieser Teil bei der Eilentscheidung keine Rolle mehr spielen.

Es kommt daher vor allem darauf an, wie das Gericht die Regulierungsgremien einordnet. Die Chancen sind gering, dass das Verfassungsgericht die Macht dieser Gremien als gefährdend für die Rechte des Bundestages ansieht. Denn erstens gibt es solche Gremien auch schon in anderen Handelsverträgen. Und zweitens argumentiert die EU, dass wichtige Entscheidungen dieser Expertenausschüsse immer auch vom EU-Parlament abgesegnet werden müssten.

Wahrscheinlich hält sich das Gericht an seine Linie, die es schon bei anderen europapolitischen Verfahren gezeigt hat: Es greift nicht ein, solange die Politik noch selbst über den Vertrag bestimmen kann. Denn eine Entscheidung des Gerichtes zum jetzigen Zeitpunkt würde die Politik von 28 Mitgliedstaaten lahm legen.

Denkbar ist, dass die Richter der EU noch ein paar Hausaufgaben aufgeben. So könnten die Richter fordern, dass das EU-Parlament bei Entscheidungen der CETA-Gremien immer eingebunden werden muss.

5. Was könnten die Folgen sein?

Heftig wird’s, wenn das Verfassungsgericht dem Eilantrag stattgibt. Dann wäre die deutsche Regierung verpflichtet, im Europäischen Rat gegen die vorläufige Anwendung zu stimmen. Da diese Entscheidung einstimmig von allen EU-Ländern getroffen werden muss, hätte das Votum der Verfassungsrichter massive Folgen für das CETA-Abkommen. Die EU kann CETA zwar unterzeichnen, aber es bliebe in der Schublade, bis alle Parlamente darüber entschieden haben. Das würde Jahre dauern.

Wenn das Gericht die Entscheidung abweist, wäre damit eine der letzten großen Hürden für das CETA-Abkommen gefallen. Und es wäre auch ein Vorzeichen dafür, dass die Verfassungsbeschwerden später keine großen Erfolgsaussichten hätten. Allerdings gibt es für das Hauptverfahren einen wichtigen Unterschied: Denn dort würde dann auch über die Schiedsgerichte entschieden, die jetzt in den Eilanträgen keine große Rolle spielen werden.

Wenn das Gericht der EU einige Hausaufgaben aufgibt, müsste diese CETA nochmal nachjustieren. Widersetzt sich die EU dann diesen Hausaufgaben und ändert nichts an CETA, würde das die Chance erhöhen, dass später die eigentlichen Verfassungsbeschwerden doch noch erfolgreich wären.

*Nachtrag: Der Verfassungsbeschwerde von Frau Grimmenstein haben sich fast 70000 Bürger angeschlossen. Zusammen mit der Klage von foodwatch       und Co. kommen fast 200000 Bürger zusammen, die die Beschwerden mittragen.