TTIP

Sand im EU-Getriebe: Wallonen blockieren CETA-Abkommen

Die EU-Handelsminister wollten am Dienstag über CETA abstimmen. Doch die Wallonen sprachen sich gegen das Handeslabkommen mit Kanada aus. Deshalb durfte die belgische Regierung im EU-Kreis nicht zustimmen. Am Freitag soll es jetzt noch einmal einen Abstimmungsversuch geben.

von Marta Orosz

Die EU steht bei CETA unter Druck. Kanadas Regierung um Justin Trudeau reißt einem internen Protokoll zufolge langsam der Geduldsfaden.© Justin Trudeau von Taha Ghaznavi unter Lizenz CC BY-ND 2.0

UPDATE: 18. Oktober

Die EU-Handelsminister haben ihre Entscheidung über das Freihandelsabkommen mit Kanada auf Freitag vertagt. Vor allem, weil sich das regionale Parlament der Wallonen querstellt.

Die Europäische Kommission will den Wallonen nun bis Freitag mit einem zusätzlichen Vorschlag entgegenkommen. Auch die belgische Regierung will in den nächsten Tagen alles tun, um das trotzige Parlament umzustimmen.

Am Freitag soll es eine letzte Chance für CETA geben: Stellen sich die Wallonen auch dann noch quer, kann der kanadische Premierminister Justin Trudeau sein Flugticket nach Brüssel annulieren. Der EU-Kanada Gipfel wird dann abgesagt, und auf die EU werden große Fragen zukommen.

Über vier Stunden diskutierten Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und seine EU-Kollegen heute in Luxemburg – ein Zeichen dafür, dass es um mehr ging als das CETA-Votum. Tatsächlich stellte Handelskommissarin Malmström am Ende die unangenehme Frage: „Macht es überhaupt noch Sinn, eine gemeinsame Handelspolitik zu treiben?“

Eigentlich hat die Europäische Kommission das Mandat, im Namen der Mitgliedsländer Verträge wie TTIP und CETA auszuhandeln. Aber, so Malmström, „27 Länder können nicht gleichzeitig für sich verhandeln“. Und wies hin auf die jeweiligen Extra-Wünsche und speziellen Vorbehalte in den einzelnen Ländern.

Die will man zwar jetzt im Falle Belgiens mit weiteren Zusatzerklärungen ausräumen – in der Zukunft wollen aber mehrere EU-Staaten darüber diskutieren, ob man noch eine gemeinsame Handelspolitik treiben will.


Artikel vom 17. Oktober 2016

Am morgigen Dienstag stimmen in Luxemburg 28 europäische Handelsminister über CETA ab. Theoretisch muss das Ergebnis nicht einstimmig ausfallen. Aber angesichts der fortdauernden Kritik setzt die EU-Kommission viel daran, ein einstimmiges Ergebnis zu erzielen. Derzeit zieren sich noch Bulgarien und Rumänien – und die Wallonen. Das südbelgische Parlament hat kürzlich gegen CETA gestimmt. Damit ist fraglich, ob Belgien morgen dem Abkommen zustimmt.

Vor allem die deutsche Regierung drängte auf die Abstimmung der Handelsminister. Das belegen interne Dokumente, die CORRECTIV vorliegen. 

Bei ihrem Treffen in Luxemburg stimmen die Handelsminister über drei Punkte ab: 

Erstens: Ob CETA am 27. Oktober von EU-Kommissionspräsident Juncker und Kanadas Premierminister Justin Trudeau unterzeichnet werden soll. Stimmen Belgien, Rumänien und Bulgarien morgen nicht mit „ja“, dann wird die grundsätzliche Entscheidung zu CETA notfalls auf den 26. Oktober verschoben werden. Einen Tag vor der geplanten Unterzeichnung. In den verbliebenen Tagen soll dann versucht werden, die Zustimmung der drei Länder doch noch zu gewinnen. 

Zweitens: Ob es möglich ist, Teile des Vertrags vorläufig anzuwenden, noch ehe ihn die nationalen Parlamente ratifiziert haben.  

Drittens: Über den „Abschluss“ von CETA. Abschluss bedeutet soviel wie Inkrafttreten. Dieser Fall tritt ein, wenn das Europa-Parlament CETA zugestimmt hat, genau wie die 28 nationalen Parlamente. Eigentlich können die Handelsminister morgen nicht über den „Abschluss“ von CETA abstimmen. Sie wollen es trotzdem tun, um ein Signal zu senden an das Europäische Parlament. 

Wie ist CETA zu interpretieren?

Noch etwas steht morgen auf der Agenda in Luxemburg: Die EU-Handelsminister wollen eine „Auslegungserklärung“ veröffentlichen. Also schwarz auf weiß festhalten, wie das über 1500 Seiten starke Vertragswerk zu interpretieren ist. Dieser Text soll endgültig die beharrlichen Einwände gegen CETA ausräumen. Der Text der Auslegungserklärung liegt CORRECTIV vor.

Wir veröffentlichen hier die aktualisierte, deutschsprachige Version.

In dem acht Seiten starken Dokument werden folgende Garantien formuliert:

  • CETA kann Regierungen nicht dazu zwingen, staatliche Unternehmen zu privatisieren – oder verhindern, dass private Unternehmen verstaatlicht werden. Städte und Kommunen können also selbst entscheiden, ob sie Wasserwerke und die Müllabfuhr, Nahverkehr und Stromversorgung selbst betreiben oder dieses privaten Firmen überlassen. 
  • Baut beispielsweise Düsseldorf eine neue U-Bahn, dann darf die Stadt bestimmen, welche Kriterien für den Auftrag gelten. Im Bürokratendeutsch: CETA sorgt dafür, dass bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Kriterien gestellt werden und Kollektivverträge übernommen werden müssen. 
  • Nationale Gesetze müssen aufgrund von CETA nicht verändert werden. Im Bürokratendeutsch: Die regulatorische Zusammenarbeit der europäischen und kanadischen Behörden ist freiwillig. Im Juristendeutsch: Die Behörden sind „nicht dazu verpflichtet, die Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit umzusetzen“. 
  • Städte oder Länder dürfen ihre Gesetze ändern, auch wenn das dazu führt, dass ein Konzern weniger Gewinn macht. Etwa, weil Umweltauflagen verschärft wurden. 
  • CETA wird nicht dazu führen, dass ausländische Investoren gegenüber einheimischen Investoren begünstigt werden. 
  • Ausländische Unternehmen, etwa aus den USA, können nicht über eine Briefkastenfirma in Kanada EU-Länder verklagen. 
  • CETA verpflichtet Kanada dazu, die Regeln der Internationalen Arbeitsorganisation einzuhalten. Die europäischen Länder haben sich dazu bereits verpflichtet. 
  • Es wird ein Forum eingerichtet, in dem Interessengruppen miteinander über die Umsetzung von CETA diskutieren. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Umweltgruppen und Kirchenvertreter sollen in diesem Forum zusammenkommen, also die sogenannte Zivilgesellschaft.

EU-Juristen behaupten in einem internen Protokoll, die Auslegungserklärung sei rechtlich bindend. Sie verweisen auf Artikel 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention. Danach sei die Erklärung „ein Interpretationsinstrument, welches im Falle von Rechtsstreitigkeiten herangezogen werden könne und damit rechtsverbindlichen Charakter besitze.“ Das Protokoll liegt CORRECTIV vor.

Erklärung nicht rechtsgültig?

Die Bundestagsfraktion der Grünen zweifelt an der Rechtsgültigkeit der Erklärung. Sie hat Markus Krajewski beauftragt, die Auslegungserklärung zu begutachten, er ist Völkerrechtler an der Uni-Nürnberg. Die Erklärung spreche viele umstrittene Punkte gar nicht an, wird Krajewski in der „Rheinischen Post“ zitiert. Durch eine solche Erklärung könne „keine Änderung einzelner Vorschriften oder Vertragsinhalte herbeigeführt werden“, so der Jurist.

Die EU steht unter Druck, denn hochrangige Beamte befürchten, „Kanada reiße langsam der Geduldsfaden.“ Das steht in einem internen Protokoll, das CORRECTIV vorliegt. Darin weist der Beamte der EU-Kommission darauf hin, dass Kanada den Europäern „erheblich entgegengekommen“ sei. Bei weiteren Einwänden solle man beachten, dass „die Geduld von Kanada nun an die Grenzen“ stößt. 


Du willst Dich genauer über die Handelsabkommen TTIP und CETA informieren? Hier geht es zu unseren Recherchen.