TTIP

Mit Zorn kommen wir bei CETA nicht weiter

Ganz schön viel Häme, die zurzeit über der EU ausgeschüttet wird. Zwischentöne oder Kompromisse hört man kaum. Es scheint, als sei CETA ein weiteres Opfer des Populismus geworden: Wallonen werden als Helden gegen die EU gefeiert. Politiker pauschal als gekauft bezeichnet. Das ist brandgefährlich.

von Justus von Daniels

© CampactCETA19-09-16-1 von Campact unter Lizenz CC BY-NC 2.0

Sieben Jahre lang haben die EU und Kanada das Freihandelsabkommen CETA verhandelt. Bis zuletzt wurde an dem Deal herumgeschraubt. Zurecht wurden die Handelsschiedsgerichte reformiert, zurecht wurde zugesichert, dass CETA keinen zwingt, seine Wasserwerke oder Krankenhäuser zu privatisieren. Das deutsche Verfassungsgericht fordert zudem, CETA dürfe kein Eigenleben an der Demokratie vorbei entwickeln.

Könnte der Pakt noch besser sein? Sicher. Die Wallonen wollten sinnvolle Verbesserungen erreichen, vor allem bei den Schiedsgerichten. Nicht CETA stoppen.

Peinliche EU, Politiker gekauft

Doch das geht bei den Kritikern unter oder wird heruntergespielt. Sie feiern die Wallonen als Helden des Widerstands. Eines Widerstandes gegen die EU, gegen die Globalisierung, einer Herrschaft der Konzerne.

Auf Facebook zeigt sich, dass es vielen nicht darum geht, wer in Brüssel was fordert. Auch in den Kommentaren zu CETA zeigt sich eine Abscheu gegen das politische System generell – von links wie von rechts. Manche nannten die Wallonie ein „kleines gallisches Dorf“, das „uns vor unseren eigenen Politikern retten musste“. Weil wir Deutschen von den Politikern „ungefragt an die amerikanischen Konzerne“ verkauft würden.

„Europa will CETA nicht“

Auch Campact heizte die Stimmung gegen CETA an. Campact ist eine im Jahr 2004 gegründete Internetplattform, die Kampagnen zu tagespolitischen Themen macht, die Themen reichen von Glyphosat und Kohlekraftwerke bis Erbschaftssteuer und Massentierhaltung. In einem Kommentar auf der Campact-Internetseite beglückwünschten die Kampagnenprofis die Wallonen zu ihrem Nein: „Die Unterzeichnung von CETA wackelt, sie könnte durch Wallonien ganz gestoppt werden! (…) Immer mehr Menschen stehen auf und sagen: Wallonien spricht auch für uns. Europa will CETA nicht!“ Campact erwähnt zwar, dass die Wallonen gar nicht ganz Nein sagen, sondern ein Ja in Aussicht stellen, wenn ein paar wichtige Änderungen in den Vertrag aufgenommen werden. Um gleich danach zu schreiben: „Nur die Walloninnen und Wallonen haben bislang noch diesen Kampfgeist gegen CETA, stehen ein für eine faire und gerechte Handelspolitik – und haben die Chance, zu siegen.“

Es geht hier nicht mehr darum, dass Politik auch bedeuten kann, einem hart erkämpften Kompromiss zuzustimmen. Diejenigen, die sich durch Änderungen – vor allem auf Druck von harter Kritik aus der Zivilgesellschaft – auf CETA eingelassen haben, gelten als Umfaller. Die deutschen Gewerkschaften zum Beispiel. Das bekam auch der CETA-Kritiker Sven Giegold zu spüren. Der Europapolitiker der Grünen hatte in Interviews gesagt: „Allerdings sehe ich die Entscheidung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn die Art und Weise, wie CETA gestoppt wurde, schadet Europas Handlungsfähigkeit.“ Giegold argumentierte differenziert, trennte zwischen den Aufgaben des Europäischen Parlaments und der Regionalregierungen. Prompt wurde ihm auf Facebook vorgeworfen, er falle um und breche sein Wort.

Wer so argumentiert, verkennt das Wesen von Politik. Deren Kern besteht nicht im sturen Durchsetzen von Maximalforderungen, sondern im Aushandeln von Kompromissen. Wie fatal wäre es, wenn fortan keiner mehr seine Position ändern dürfte? Wenn jede Meinungsbildung, die sich im Prozess verändert, jedes ausgehandelte Zugeständnis, mit „Verrat“ und „Verlust von Glaubwürdigkeit“ gebrandmarkt würden?

Auch Medien füttern den Zorn

Einige Medien tragen eine Mitverantwortung an dieser Debatte. Weil sie unsauber oder desinteressiert über die Vorgänge in der EU berichten. Kaum hatte der wallonische Ministerpräsident seinen Widerstand gegen CETA Anfang der Woche angekündigt, schrieben manche Zeitungen, CETA sei gescheitert. Dass am Ende eines umstrittenen Vorhabens politisch gefeilscht wird, sollte auch unter Journalisten bekannt sein. Wie oft werden im Bundesrat in letzter Minute kleine Deals mit Bundesländern ausgehandelt, um die Zustimmung zu einem Gesetz zu sichern? Aber die EU galt da schon als peinlich, weil sie handlungsunfähig sei.

Die „Welt“ behauptete in einem Kommentar, ein Problem sei, dass die EU alle Parlamente über CETA abstimmen lasse. Das ist im Fall Walloniens nicht richtig. Die nationalen Parlamente stimmen erst über CETA ab, wenn die Regierungen den Pakt beschlossen haben. Die belgische Regierung braucht, wegen der komplizierten föderalen Struktur des Landes, bei jeder Entscheidung zur Handelspolitik die Zustimmung aller drei Regionen. Das mag man bedauern. Ändern kann die EU das aber nicht.

„Tagesschau.de“ feierte CETA als das transparenteste Abkommen überhaupt: Die EU „veröffentlichte eine solche Fülle an Dokumenten, dass die allermeisten CETA-Gegner sie wohl nie geprüft haben.“ Auch das hält einem Faktencheck nicht stand. Wurde hier CETA mit TTIP verwechselt? CETA wurde vollkommen geheim verhandelt. Erst nach Abschluss der Verhandlungen hat die EU zwar die langen offiziellen Vertragsdokumente veröffentlicht, aber keine „Fülle von Dokumenten“. TTIP ist im Vergleich dazu relativ (mit Betonung auf relativ) transparent.

Sind das Kleinigkeiten? Nein. Auch Kommentare der Medien müssen auf Fakten basieren. In einer Zeit, in der politische Gruppen damit werben, dass Wahrheit auch gefühlt sein darf, ist es wichtig, sauber zu arbeiten.

Transparent und sachlich

Alles andere lädt zu Unterstellungen ein: die dämliche EU, die zu nichts mehr fähig ist. Die faulen Kritiker, die keine Lust haben, zu lesen. Oder die Wallonen als gefallene Helden der Anti-CETA/TTIP-Bewegung, die jetzt „weichgekocht“ wurden, wie die „taz“ titelte.

Inhaltliche Bewegung kann es nur geben, wenn transparent gearbeitet wird, wenn Medien verlässlich informieren und wir alle sachlich debattieren. Und Politiker müssen um Kompromisse ringen können, ohne dass alles und jeder gleich als peinlich, handlungsunfähig, undemokratisch oder gekauft verunglimpft wird.


Alle unsere Recherchen zum Thema Freihandel, TTIP und CETA findet Ihr unter correctiv.org/ttip.