Die Unsichtbaren

Das gescheiterte Asylverfahren

Wenn Du in Deutschland Asyl beantragst, musst Du warten können. Erstmal bei der Ausländerbehörde melden. Woher kommst Du? Wieso suchst Du Schutz in Deutschland? Dann wird entschieden, ob Du bleiben darfst – aber das kann dauern. Ein halbes Jahr, ein Jahr oder länger. Wenn Du abgelehnt wirst, musst Du das Land verlassen. Folge der Geschichte eines jungen Manns aus Pakistan, der länger als zwei Jahre auf seine Entscheidung gewartet hat.

von Benedict Wermter , Julian Jestadt , Florian Bickmeyer

Vier Schwestern und zwei Brüder hast Du schon, als Du in einem kleinen Dorf in Pakistan geboren wirst. Drei Jahrzehnte später wirst Du sagen, Du hast gerne mit den Mädchen, mit ihren Puppen und mit Make-up gespielt. Du hättest damals eine weibliche Seite in Dir entdeckt – und wahrscheinlich sei das ein erstes Zeichen gewesen.

Du bist dreizehn, als Du Dich zum ersten Mal verliebst. In einen Jungen. Du machst ihm Geschenke und als Ihr Euch küsst, fühlt es sich gut an. Jeder Tag, an dem Du ihn siehst, ist schöner als die, an denen Du ihn nicht siehst. Eure Liebe aber zeigt Ihr Euch nur heimlich, versteckt, denn bei Euch zu Hause im Dorf, tief in Pakistan, gehört sich das nicht. Pakistan nennt sich „Islamische Republik“, ausgelebte Homosexualität wird mit Gefängnis bestraft. Die Leute tuscheln, seit Du als Kind mit den Puppen spieltest, und sie sticheln, machen sich lustig.

In den nächsten Jahren triffst Du viele Männer, die meisten sind deutlich älter als Du und Familienväter. Deine glücklichste Zeit verlebst Du, als einer von ihnen, verheiratet und Vater, beruflich versetzt wird. Er nimmt Dich mit in die neue Stadt, Du arbeitest für ihn, kochst und putzt, machst den Haushalt während er im Büro sitzt. Ihr lebt wie ein Paar, aber gemeinsam vor die Tür geht Ihr kaum. Nach drei Jahren wird er wieder zurück beordert – und Du, Mitte 20, ziehst wieder ins Haus Deiner Eltern, er zu seiner Familie.

Seine Frau erfährt von Euch, auch sein Bruder, der Dich anruft und droht, Dich zu erschießen. Den selben Satz hörst Du noch einmal von Deinen eigenen Brüdern. Du hast Angst. Ein Freund rät Dir, das Land zu verlassen, um Dein Leben zu retten. Er verschafft Dir einen Kontakt zu einem Mann. Von diesem Mann weißt Du nichts, außer, dass er Dich außer Landes bringen kann. Du willst nach Kanada. Dafür will er mehr als 20.000 Euro. Für 14.000 bringt er Dich nach Deutschland.

Am Flughafen, auf deutschem Boden, nimmt er Dir Deinen Pass ab und wünscht Dir Glück.

Du weißt nicht, wohin mit Dir, nimmst eine Bahn in die Stadt, setzt Dich in ein Fast-Food-Restaurant. Du verstehst, dass es kein Zurück mehr gibt. Du weinst. So sitzt Du dort Stunden lang. Dann siehst Du einen Mann, mit brauner Haut, braunen Augen, schwarzen Haaren, ein Vorderasiat wie Du. Du sprichst ihn an, sagst ihm, was ist, und dass Du ohne Pass Angst vor der Polizei hast. Er bietet Dir seine Couch an, und sagt, dass die Polizei in Deutschland Dir helfen würde. Also gehst Du hin.

Dort wirst Du in einen Raum geschlossen und wartest. Für die Nacht schieben sie Dich in eine Zelle mit einer Pritsche. Am nächsten Tag gibt Dir ein Beamter eine Adresse und ein Zugticket nach Berlin. Die Adresse gehört zur Ausländerbehörde. Mit einem Dolmetscher erzählst Du Deine Geschichte. Die Sachbearbeiterin nickt, sagt wenig, und als Du gehst, dass sie Dir ein gutes Leben in Deutschland wünscht. Du lernst ein schwieriges deutsches Wort: Aufenthaltsgestattung. Nun darfst Du drei Monate lang nicht arbeiten, und danach nur, wenn sich kein Deutscher für den Job findet.

Dir wird ein Zimmer in einem Wohnheim zugewiesen, wo man Dich zweimal nachts verprügelt. Weil Du schwul bist, rufen die Männer Dir zu. Nach Monaten darfst Du umziehen, in eine sichere Wohnung. Dreimal hat die Ausländerbehörde Deine Aufenthaltsgestattung verlängert, aber nach zwei Jahren hast Du immer noch keine Entscheidung, ob Du bleiben darfst. Die Angst, zurück nach Pakistan zu müssen, plagt Dich jede Nacht. Manchmal denkst Du daran, zu viele von den Schlaftabletten zu nehmen, die Du jeden Abend schluckst.

Nein. Ein Freund bietet Dir an, bei ihm einzuziehen. Die Tür Deiner Wohnung ziehst Du zum letzten Mal in einer Nacht zu, dann verlässt Du das Haus. Und wirst Dich nie wieder bei den Behörden melden. Die Polizei, das weißt Du nun, wird Dir nicht helfen.

Folge dem dritten Weg in die Unsichtbarkeit: Du kommst ins Land, um zu Studieren.


Du giltst jetzt als illegal.

  • Du darfst nicht arbeiten, nur schwarz, und Deinen Lohn kannst Du nicht einklagen, ohne Deine Identität zu offenbaren.
  • Du bist nicht krankenversichert und kannst auch sonst keine Versicherungen abschließen.
  • Du hast keine Altersvorsorge.
  • Du wirst Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu mieten.
  • Du meidest jede Begegnung mit Polizei, Behörden und Menschen, die Dich verraten könnten.
  • Du kannst kein Verbrechen anzeigen. 
  • Du bekommst keine sozialen Leistungen.
  • Du darfst nicht wählen.

Redaktion: Florian Bickmeyer
Gestaltung: Thorsten Franke, Simon Jockers, Ivo Mayr