Wirtschaft

Sind 700.000 Euro Jahresgehalt angemessen für den Leiter eines Diakoniewerkes?

Offenbar bezieht ein Vorstand des Diakoniewerkes Bethel ein Jahresgehalt von rund 700.000 Euro. Viel zu viel, urteilen Experten. Nun droht der Verlust der Gemeinnützigkeit.

von David Wünschel , Frederik Richter

Ein Seniorenheim des Diakoniewerkes Bethel: Einblicke von außen sind unerwünscht. Das kann den Konzern jetzt teuer zu stehen kommen.© David Wünschel (correctiv.org)

CORRECTIV hat berichtet, wie trickreich Karl Behle das Diakoniewerk Bethel unter seine Kontrolle gebracht – und wie er dem von ihm beherrschten Werk eine Villa zu einem erstaunlich niedrigen Preis abgekauft hat. Offenbar bezieht Behle ein Jahresgehalt von rund 700.000 Euro. Hinzu kommen Pensionsansprüche von rund 5,6 Millionen Euro. Diese Informationen stammen aus der Stellungnahme eines Wirtschaftsprüfers und sind bisher unbestätigt. Behle und das Diakoniewerk schweigen bisher zu den Vorwürfen.

Jetzt stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Vorgänge auf die Gemeinnützigkeit des Unternehmens haben.

Es ist nicht festgelegt, wie viel die Chefs gemeinnütziger Organisationen höchstens verdienen dürfen. Laut Paragraph 55/3 der Abgabenordnung dürfen gemeinnützige Einrichtungen niemanden durch „unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen“. Am Ende beurteilt das jeweilige Finanzamt, ob das Gehalt vereinbar ist mit dem steuerbegünstigten Status. Doch von uns kontaktierte Experten sind sich einig: Verdient Karl Behle tatsächlich 700.000 Euro pro Jahr, dann ist das unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit des Diakoniewerks.

„Wenn das Finanzamt sich das anschaut, kann die Gemeinnützigkeit aberkannt werden“, sagt Rupert Strachwitz, Direktor des Maecenata-Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft. „Es ist ganz eindeutig gegen das Gewinnausschüttungsverbot verstoßen worden.“ Das Finanzamt, die staatliche Stiftungsaufsicht und der Bund Evangelischer Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) hätten früher eingreifen müssen. „Die haben Behle über viele, viele Jahre machen lassen.“

Auch Christoph Glaser, Rechtsanwalt aus Heidelberg und Experte für Gemeinnützigkeitsrecht, hält finanzielle Konsequenzen für das Diakoniewerk für möglich. „Wenn die Verstöße schwer genug sind, kann die Gemeinnützigkeit rückwirkend aberkannt werden“, sagt Glaser. Dies kann in extremen Fällen bis zu zehn Jahre zurückreichen. „Dann können Sie davon ausgehen, dass für diese Zeit grob die Hälfte der Gewinne weg ist.“ Weil es Steuernachzahlungen in Millionenhöhe geben könnte.

Sollte das Finanzamt auf Steuernachzahlungen pochen, könnte das Diakoniewerk versuchen, Behle grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz nachzuweisen. Und ihn so haftbar zu machen. Zudem hätte die Stiftungsaufsicht die Möglichkeit, Behle als Stifter abzuberufen und ihn ebenfalls in Regress zu nehmen.

Gehalt mehr als vier Mal so hoch

Im Sinne der Gründer des Diakoniewerkes sind die Vorgänge sicher nicht. Der Pastor Eduard Scheve und seine Frau Berta gründeten im Jahr 1887 das Diakonissenhaus Bethel, um Armen und Schwachen zu helfen. Heute arbeiten rund 1.700 Mitarbeiter in 13 Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungen in ganz Deutschland. Das Unternehmen erzielt einen Jahresumsatz von etwa 75 Millionen Euro.

„Das Gehalt ist immer ein Spagat“, sagt Manfred Lehmann von der Kanzlei Schomerus und Partner und Experte für Gemeinnützigkeit. Einerseits müssen gemeinnützige Organisationen Top-Personal rekrutieren. Andererseits müssen sie Spenden und öffentliche Gelder besonders sorgfältig einsetzen. Lehmann verweist auf ein Gerichtsurteil aus Mecklenburg-Vorpommern vom Dezember 2016: Dort entzog das Finanzamt einem Unternehmen die Gemeinnützigkeit, weil der Geschäftsführer zu viel verdiente. Und zwar bis zu 346.000 Euro.

Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern bestätigte die Entscheidung. Nach einer Revision liegt der Fall jetzt beim Bundesfinanzhof. Eine Studie, auf die sich das Gericht stützte, gab an: Das durchschnittliche Gehalt eines Geschäftsführers im Gesundheitswesen liegt bei etwa 170.000 Euro. Karl Behle soll mehr als vier Mal so viel verdienen.

Titel Illustration.png

Der Vorstand Karl Behle dominiert das Diakoniewerk Bethel.

Charlotte Hintzmann

Schon lange mahnen Experten mehr Transparenz im gemeinnützigen Sektor an. Denn dort fehlt ein wichtiges Korrektiv: Kein Eigentümer, kein Aktionär beschwert sich, wenn ein Vorstand ein zu hohes Gehalt bezieht. Birgit Weitemeyer, Expertin für Steuerrecht an der Bucerius Law School in Hamburg, kritisiert, dass es keine verbindlichen Regeln gibt, die Transparenz in gemeinnützigen Organisationen vorschreiben. Oder Ämterhäufungen verhindern.

„Transparenz ist in diesem Bereich in Deutschland unterentwickelt“, sagt Weitemeyer. Anders als etwa in den USA und in Großbritannien. Weitemeyer: „Nur auf Basis von Freiwilligkeit, das zeigt die Erfahrung, funktioniert es nicht. Aber damit die Politik etwas unternimmt, braucht es wohl mehrere Großskandale.“

Die politische Macht des e.V.

Nicht einmal nach der Affäre beim ADAC habe es ein Umdenken gegeben, kritisiert Weitemeyer. Bei dem Autoverband hatten Führungskräfte nicht sauber zwischen Ehrenamt, privaten und geschäftlichen Interessen getrennt.

Die Politik scheue sich, den 600.000 eingetragenen Vereinen in Deutschland mehr Transparenz aufzuerlegen, weil sie damit unweigerlich Wählern auf die Füße treten würde, sagt Weitemeyer.

Dem Diakoniewerk drohen auch so schon Konsequenzen: Die Dachorganisation Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO) stellte dem Diakoniewerk ein Ultimatum: Bis Monatsende soll es vier Forderungen erfüllen. Eine davon: der sofortige Rücktritt von Karl Behle aus dem Vorstand. Sonst geht der DWBO davon aus, dass das Diakoniewerk nicht länger Mitglied im DWBO sein will. Angesichts der Kürze der Frist gleichen diese Forderungen einem Rausschmiss.

Illustration: Charlotte Hintzmann